psychoneuro 2006; 32(11): 514
DOI: 10.1055/s-2006-956998
Im Gespräch

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Interview mit PD Dr. Haupt, Düsseldorf - Zum Vergessen zu wirksam - Zum Nutzen der Cholinesterasehemmer

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Publication Date:
12 December 2006 (online)

 
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    Martin Haupt

    Am 9. September dieses Jahres hat das Institut für Wirtschaftlichkeit und Qualitätssicherung seinen Vorbericht zum Nutzen der Cholinesterasehemmer veröffentlicht (www.iqwig.de). psycho neuro sprach aus diesem Anlass mit PD Dr. Martin Haupt, Neuro-Centrum Düsseldorf und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie (DGGPP).

    Hat das IQWiG die drei in Deutschland zugelassenen Wirkstoffe Donepezil, Galantamin und Rivastigmin bei Patienten mit leichter oder mittelschwerer Alzheimer Demenz jetzt als sinnvoll eingestuft?

    Haupt: Nach dem vorläufigen Bericht des IQWiG haben die Cholinesterasehemmer (ChE-Hemmer) in der entsprechenden Indikation hinsichtlich der kognitiven Störungen der Alzheimer Demenz und der Alltagsaktivitäten einen nachweislichen Nutzen für die Patienten. Dies wurde damit begründet, dass für die Parameter Kognition und Alltagsaktivitäten eine ausreichende Zahl von Studien über eine genügend lange Dauer, d.h. sechs Monate, vorliegen, die konsistent den Nutzen der ChE-Hemmer belegen.

    Wie beurteilen Sie den Bericht?

    Haupt: Insgesamt ist der Vorbericht sorgfältig ausgearbeitet, die zur Prüfung ausgewählten klinischen Studien wurden angemessen analysiert. Positiv beurteile ich zudem, dass in dem Vorbericht die Assessmentskala zur Bestimmung kognitiver Fähigkeiten (ADASkog) diskutiert wurde. Wenn ein Unterschied von etwa drei Punkten vor und nach Studiendauer durch die ChE-Hemmer als klinisch relevant beurteilt wird, dann wurde oft kritisiert, dass diese Differenz zu gering sei, wo doch die ADASkog-Skala einen Bereich von 0 und 70 Punkten umfasst. Hier hat das IQWiG klar darauf hingewiesen, dass für die Wirksamkeitsbewertung nur der Demenz-relevante Bereich berücksichtigt werden darf. Dieser liegt zwischen 20 und 40, so dass ein Differenzgewinn von drei Punkten dann einen ganz anderen Stellenwert hat.

    Was mich verwundert hat, ist, dass der Bereich "nichtkognitive Störungen" zu einem beachtlichen Teil aus der Bewertung herausgenommen wurde. Einfach weil das IQWiG nur plazebokontrollierte klinische Studien mit in die Bewertung einbezogen hat, die länger als vier Monate Laufzeit haben. Dadurch ist natürlich die Wirksamkeit der ChE-Hemmer in diesem Bereich nicht ausreichend berücksichtigt worden. Die Wirksamkeit der ChE-Hemmer liegt zwar auf der Hand, soll aber nach den Wünschen des IQWiG mit länger dauernden plazebokontrollierten Studien weiter untersucht werden. Plazebokontrollierte Ein-Jahres-Studie oder noch länger dauernde Studien sind aus ethischen Gründen heute nicht mehr durchführbar - einfach weil kein Patient, im Wissen, dass es eine nützliche Medikation gibt, es in Kauf nehmen wird, zu einer Plazebogruppe gehören zu können. Er wird daher nicht an dieser Studie teilnehmen. Auch einzelne Ethikkommissionen der Landesärztekammern haben hier erhebliche Bedenken.

    Insgesamt freut mich aber das Votum des Vorberichts, weil es in die richtige Richtung zeigt. Auch die Eingaben der Angehörigengruppen z.B. der deutschen Alzheimer Gesellschaft, wurden berücksichtigt - und ich bin optimistisch, dass kleinere Korrekturanmerkungen noch in den entgültigen Bericht eingebaut werden können. Ich hoffe sehr, dass das IQWiG, wenn es diese Aufgabe bekommt, auch ökonomisch Medikamente zu bewerten, nicht wie das NICE den Schluss zieht, die ChE-Hemmer seien zwar wirksam, aber dies reiche nicht aus, um sie für das gesamte bisherige Indikationsgebiet erstattungsfähig zu machen. Das wäre aus meiner Sicht fatal.

    Was ist zur Methodik noch anzumerken?

    Haupt: Wichtig erscheint mir auch wegen der anstehenden Beurteilung von Memantine und Ginkgo biloba, dass wir von den Fachgesellschaften bei der Eingabe unserer Stellungnahmen anstreben, bereits jetzt die Methodik festzulegen, die dann für die anderen Substanzen zugrundegelegt wird. Wir sollten uns auf eine gemeinsame Methodik verständigen, um nicht nachher bei den Vorberichten zu den weiteren Substanzen, wieder in die gleichen Streitigkeiten bzw. Missverständnisse zu verfallen und dann die Diskussion unnötig zu verlängern. Wir haben jetzt die Chance, dass das IQWiG und die Fachgesellschaften sich abstimmen, wie sie solche Substanzen bewerten.

    Auch wenn z.B. die Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie nicht die Möglichkeit hatte, bei der Ausarbeitung des Vorberichts beteiligt zu sein, hoffe ich sehr, dass unsere Eingaben bei der Formulierung des dann folgenden Abschlussberichtes Früchte tragen werden.

    Herr PD Dr. Haupt, wir danken Ihnen für das Gespräch!

     
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    Martin Haupt