psychoneuro 2006; 32(11): 510-511
DOI: 10.1055/s-2006-956994
Blickpunkt

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Behandlung der ADHS mit Atomoxetin - Eine Aktenauswertung von 47 Patienten

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Korrespondenzadresse:

Dr. med. Roland Albert

Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie

Rathsberger Str. 10, 91054 Erlangen

Email: info@praxis-dr-albert.com

Publication History

Publication Date:
12 December 2006 (online)

 
Table of Contents

ADHS ist eine der häufigsten psychiatrischen Störungsbilder im Kindes- und Jugendalter. Im Rahmen eines multimodalen Behandlungskonzeptes ist neben der Übungsbehandlung und psychotherapeutischer Begleitung auch die medikamentöse Behandlung Mittel der Wahl. Der selektive Neuroadrenalin-Wiederaufnahmehemmer Atomoxetin ist bei ADHS eine wirksame und gut verträgliche medikamentöse Behandlungsalternative zu Methylphenidat und unterliegt nicht dem Betäubungsmittelgesetz.

Mit einer Prävalenz von 4-5% der Kinder im Schulalter gehört ADHS zu den häufigsten psychiatrischen Störungen im Kindesalter. Ein Fortbestehen der Problematik im Jugend- und oft auch im Erwachsenenalter bedeutet eine notwendige langfristige Behandlung der Betroffenen. Die Kernsymptome Unaufmerksamkeit, motorische Unruhe und Impulsivität sind bei vielen Betroffenen durchgängig anzutreffen. Neben dem dopaminergen Transmittersystem spielt auch das noradrenerge System bei der Entstehung der ADHS eine bedeutende Rolle. Ätiologisch ist von einer multifaktoriellen Genese auszugehen. Die Bedeutung einer genetischen Disposition kristallisiert sich zunehmend heraus. Eltern von Kindern mit ADHS sind häufig selbst Betroffene und können eine entsprechende Krankheitsgeschichte vorweisen. Neben dem multimodalen Behandlungskonzept, zu dem ein psychotherapeutisches Angebot, eine umfassende Beratung und Aufklärung und wenn möglich auch die Teilnahme an einem Elterntraining sowie eine intensive familientherapeutische Begleitung und pharmakologische Unterstützung gehören, muss eine enge Zusammenarbeit zwischen Schule, Elternhaus und anderen Tageseinrichtungen stattfinden. Daneben ergänzen Maßnahmen wie Ergotherapie und Psychomotorik die Therapie.

Neurophysiologisch ist von einem postsynaptischen Neurotransmittermangel auszugehen, wobei die Hauptbotenstoffe Dopamin und Neuroadrenalin sind. Methylphenidat beeinflusst den Dopaminstoffwechsel, vorwiegend die Dopamintransporter, die für die präsynaptische Wiederaufnahme des Dopamins zuständig sind. Atomoxetin dagegen setzt selektiv beim Noradrenalin an und hemmt dessen Wiederaufnahme. Es unterliegt nicht dem Betäubungsmittelgesetz.

Neben der Verbesserung der Aufmerksamkeit liegt die Wirkungsweise gemäß den Erfahrungen aus meiner Praxis insbesondere in einer Verbesserung des psychosozialen Funktionsniveaus mit einer Wirkdauer von morgens bis morgens bei einmal täglicher Gabe, bei der ein Wechsel zwischen Wirkung und Nichtwirkung kaum zu erwarten ist.

Patienten und Methoden

Es liegen empirische Daten aus meiner Praxis über einen Beobachtungszeitraum von März 2005 bis September 2006 vor, die sich aus der Anamnese, Verlaufsbeobachtung, ADHS-Rating-Skalen sowie Eltern- und Patienteninterviews ergeben. Die Auswertung der retrospektiv analysierten Beobachtungsgruppe erfolgt deskriptiv. Erfasst wurden 47 Patienten, die mit Atomoxetin behandelt wurden, eine gemischte ADS/ADHS-Patienten-Population sowie mit komorbiden Störungen (22 Neueinstellungen, 25 medikamentöse Umstellungen). Die Stichprobe umfasste Kinder und Jugendliche aus meiner Praxis.

Mit der ersten Verfügbarkeit von Atomoxetin wurden von mir zunächst die Fälle von ADHS im Kindes- und Jugendalter behandelt, bei denen eine Methylphenidattherapie nicht den gewünschten Erfolg zeigte oder durch unerwünschte Nebenwirkungen oder Vorurteile der Eltern eine medikamentöse Umstellung erfolgen sollte. Mit zunehmender Erfahrung im Umgang mit Atomoxetin und dessen besonderen therapeutischen Möglichkeiten ergab sich eine Reihe an Indikationen für eine Ersteinstellung auf die Substanz: Dies betrifft vor allem Patienten mit ADHS und insbesondere Teilleistungsstörungen, affektiven bzw. emotionalen Störungen.

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Dosierung

Die Dosierung wurde ursprünglich nach den vorgegebenen empfohlenen Dosierrichtlinien begonnen: Start mit 0,5 mg pro Kg Körpergewicht pro Tag (1. Woche), Erhaltungsdosis 1,2 mg pro Kg Körpergewicht pro Tag. Dabei erscheint es empirisch sinnvoller, über mehrere Wochen hinweg bis zum Erreichen der Erhaltungsdosis eine langsamere Aufdosierung vorzunehmen. Die Einnahme der Medikamente erfolgte wie vorgegeben einmalig pro Tag. Im Rahmen der langsameren Aufdosierung konnte im Verlauf durchweg ein niedrigeres Nebenwirkungsprofil als zuvor bei dem ursprünglichen Aufdosierungsschema beobachtet werden, was zusätzlich zu einer Steigerung der Compliance beitragen mag.

Verträglichkeit

Es wurden in regelmäßigen wöchentlichen Interviews die Wirksamkeit sowie die Nebenwirkungen erfragt und dokumentiert. Die Verträglichkeit der Behandlung wurde unabhängig von der Therapiedauer von den Eltern bzw. den Patienten selbst insgesamt als "gut" bewertet. Nebenwirkungen traten in der Regel in den ersten Wochen auf. Einzelne Beschwerden waren: dauerhafte Müdigkeit (n = 5), Magen-Darm-Beschwerden (n = 14), die zum Absetzen des Medikaments führten. Am häufigsten klagten die Patienten über gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit (n = 12), Bauchschmerzen (n = 14) und Appetitstörungen (n = 8). Die Nebenwirkungen verringerten sich mit der langsameren Aufdosierung erheblich.

Wirksamkeit

Die Beurteilung des Therapieerfolges erfolgte anhand von Verlaufsberichten (Verhaltensbeobachtungen, Interviews, Leistungsnachweisen, Fragebögen von Eltern und Patienten sowie, wenn die Mitarbeit vorhanden war, von Lehrern und Erziehern). Insgesamt konnte bei 28 Fällen ein positiver Verlauf festgestellt werden. In 19 Fällen zeigte sich kein bzw. kein ausreichender Behandlungserfolg, so dass die Therapie mit Atomoxetin entweder beendet oder in Kombination mit Methylphenidat fortgesetzt wurde. Hierbei stellte sich jedoch heraus, dass die Patienten besonders von einer Primäreinstellung auf Atomoxetin profitieren. Bei ihnen war die Therapie in 86% der Fälle erfolgreich. Bei Umstellungen von Methylphenidat auf Atomoxetin lag die Erfolgsquote bei 36%.

Diskussion

Die vorliegende retrospektive Aktenauswertung zeigt die Erfahrung von Beginn der Verfügbarkeit von Atomoxetin an bis zur jetzt nahezu zweijährigen Anwendungszeit im Hinblick auf Wirksamkeit, Verträglichkeit und Dosierungsstrategien beim Einsatz des neuen Medikamentes in der Behandlung von ADHS bei Kindern und Jugendlichen.

Bei der längerfristigen Beobachtung ließ sich feststellen, dass der hochselektive Neuroadrenalin-Wiederhaufnahmehemmer im Rahmen eines multimodalen Behandlungsansatzes bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS eine wirksame Behandlungsalternative darstellt, die dazu beiträgt, die medikamentöse Behandlungslücke neben Methylphenidat weiter zu schließen. Das im ambulanten Behandlungs-Setting untersuchte Atomoxetin zeigt in 28 Fällen, vor allem bei den Neueinstellungen, eine hohe Wirksamkeit und ist für Kinder und Jugendliche unabhängig von Alter und Geschlecht bei entsprechend vorsichtiger und langsamer Aufdosierung gut verträglich. Aus der retrospektiven Betrachtung können wertvolle Hinweise für den praktischen Umgang mit der Substanz im Alltag gewonnen werden. Insbesondere Kinder und Jugendliche mit AD(H)S und affektiven oder emotionalen Störungen können von der Therapie mit Atomoxetin profitieren.

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Durch die Gabe von Atomoxetin (Strattera®) können nicht nur die ADHS-Kernsymptome verbessert werden. Das psychosoziale Funktionsniveau der behandelten Patienten kann sich ebenfalls verbessern. Den Kindern kann es leichter fallen, sich in ihr soziales Umfeld zu integrieren; der Umgang mit Klassenkameraden, Freunden und der Familie kann sich deutlich entspannen. Auch das Selbstbewusstsein kann gestärkt werden. Mit Atomoxetin können ADHS-Patienten und ihr soziales Umfeld in allen Lebensbereichen profitieren.

Literaturverzeichnis: über den Autor.

Mit freundlicher Unsterstützung der Lilly Deutschland GmbH, Bad Homburg.

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Dr. med. Roland Albert

Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie

Rathsberger Str. 10, 91054 Erlangen

Email: info@praxis-dr-albert.com

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Durch die Gabe von Atomoxetin (Strattera®) können nicht nur die ADHS-Kernsymptome verbessert werden. Das psychosoziale Funktionsniveau der behandelten Patienten kann sich ebenfalls verbessern. Den Kindern kann es leichter fallen, sich in ihr soziales Umfeld zu integrieren; der Umgang mit Klassenkameraden, Freunden und der Familie kann sich deutlich entspannen. Auch das Selbstbewusstsein kann gestärkt werden. Mit Atomoxetin können ADHS-Patienten und ihr soziales Umfeld in allen Lebensbereichen profitieren.