psychoneuro 2006; 32(9): 405
DOI: 10.1055/s-2006-954418
Im Gespräch

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Interview mit Michael Wüstefeld - Rechtliche und budgetäre Aspekte in der Praxis

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Publikationsdatum:
11. Oktober 2006 (online)

 
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    Michael Wüstefeld

    Kürzlich wurden die neuen S3-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) veröffentlicht, in denen Empfehlungen für die Versorgung von Schizophreniepatienten gegeben werden. Anfang Mai trat auch das Arzneiverordnungswirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG) in Kraft, das die budgetären Aspekte der Arzneimittelversorgung regelt. Die Konsequenzen, die sich aus Leitlinie und gesetzlicher Verordnung für Neurologen und Psychiater in der Praxis ergeben, sind das Thema eines Gesprächs mit dem Rechtsanwalt Herrn Michael Wüstefeld, Fachanwalt für Medizinrecht, Köln.

    Die aktuellen S3-Leitlinien der DGPPN sprechen sich mit Empfehlungsstärke A für die Verordnung von Atypika in der Langzeittherapie aus. Welche Bedeutung hat diese Empfehlung für Neurologen und Psychiater in der Verordnung von Antipsychotika?

    Wüstefeld: Da S3-Leitlinien den höchstmöglichen Standard unter den Leitlinien bilden und zudem die Empfehlung A ausgesprochen wurde, repräsentiert dies den medizinischen Standard der Schizophrenie-Therapie. Während Leitlinien per se zunächst nur Expertenmeinungen und Empfehlungen ohne Rechtsverbindlichkeit darstellen, ist in der Rechtswissenschaft mittlerweile anerkannt, dass eine S3-Leitlinie - als höchste Stufe der Leitlinien - als rechtsverbindlich anzusehen ist. Hinzu kommt, dass die DGPPN-Leitlinien Ende letzten Jahres veröffentlicht wurden und damit derzeit den aktuellen medizinischen Standard repräsentieren.

    Neben der Auswahl der bestmöglichen Therapie für den Patienten spielen in der Praxis auch immer mehr budgetäre Aspekte eine Rolle: Befindet sich der verordnende Neurologe und Psychiater aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebots nicht in einem Spannungsfeld zwischen leitliniengerechter Behandlung und Kostendämpfung?

    Wüstefeld: Nein, das ist ein verbreiteter Irrtum der Ärzteschaft. Das Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 SGB V meint mit "ausreichenden" Leistungen, die der Versicherte beanspruchen kann, nicht "ausreichend" im Sinne des Schulnotensystems, sondern § 12 repräsentiert auch den medizinischen Standard unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes. Dieser Anspruch des Patienten ergibt sich aus § 2 SGB V, wonach der Patient eine Versorgung gemäß dem Stand der medizinischen Erkenntnisse beanspruchen kann. Die Krankenkasse schuldet umgekehrt die Übernahme der entsprechenden Kosten. Das Wirtschaftlichkeitsgebot ist gleichwohl zu beachten, schließt aber den medizinischen Standard nicht aus. Die Klammerwirkung ist also immer der medizinische Standard, und das ist dann kein Widerspruch gegenüber dem Wirtschaftlichkeitsgebot.

    Um ein Beispiel zu geben: Kostengünstig oder wirtschaftlich zu verordnen heißt, dass ich, wenn mir mehrere Therapien zur Verfügung stehen, bei festgestellter Gleichwertigkeit verpflichtet bin, das kostengünstigere Arzneimittel zu nehmen - aber nur dann. Das bedeutet, anders formuliert, wenn Atypika teuer sind, dann ist die Verordnung nicht per se unwirtschaftlich - im Gegenteil.

    Zudem trat am 1. Mai das AVWG (Arzneiverordnungswirtschaftlichkeitsgesetz) in Kraft, das u.a. eine so genannte Bonus-Malus-Regelung vorsieht. Inwiefern sind Neurologen und Psychiater davon betroffen?

    Wüstefeld: Neurologen und Psychiater sind nicht von der Bonus-Malus-Regelung betroffen. Nach diesem Gesetz wird sie im Jahre 2006 für keinen Arzt in Deutschland eine Relevanz haben, zumindest nicht, was den Malus angeht. Das geht schon deswegen nicht, weil die Haftungsgrundlagen für den Arzt noch überhaupt nicht feststehen. Im Gesetz steht, dass innerhalb gesetzter Fristen die Spitzenverbände der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) bis Ende des Jahres für verordnungsstarke Wirkstoffgruppen so genannte Tagestherapiekosten (DDD) festlegen müssen. Und je nachdem, was jetzt aus dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) an Signalen kommt, werden das wahrscheinlich zu Beginn vier Wirkstoffgruppen sein: die Protonenpumpenhemmer, die Sartane, die Statine und die Antibiotika. Das heißt, von diesen Segmenten sind Psychiater und Neurologen ohnehin nicht betroffen. Das AVWG hat also die Zielrichtung Hausärzte, hausärztlich tätige Internisten, weil diese vom Gesamtvolumen her gesehen auf KV-Ebene immer am meisten verordnen.

    Wie kann sich Ihrer Meinung nach ein Psychiater gegen mögliche Regressforderungen schützen?

    Wüstefeld: Da sind in meinen Augen zwei Dinge wichtig: Inhaltlich, dass er leitlinienorientiert, d.h. dem Standard gemäß verordnet und dass er das dann auch im patientenbezogenen Einzelfall entsprechend dokumentiert. Oder wie der Jurist im ersten Semester seines Studiums lernt: Wer schreibt, der bleibt.

    Herr Wüstefeld, vielen Dank für das Gespräch!

     
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    Michael Wüstefeld