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DOI: 10.1055/s-2006-954416
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Neue Studienergebnisse mit Rivastigmin - Verbesserung der Alltagskompetenz bei Parkinson-Demenz
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
11. Oktober 2006 (online)
- Prävalenz: Erste deutsche Studie zeigt Behandlungsbedarf
- Therapie so früh wie möglich
- Therapieerfolge mit Rivastigmin
- Positive Ergebnisse in der Langzeittherapie bestätigt
- Patienten frühzeitig behandeln
- Literatur
Fast zwei Drittel der Parkinsonpatienten leiden nach einer bundesweiten Querschnittstudie in Deutschland an neuropsychiatrischen Symptomen, wie Demenz, Depression und Psychose. Nach neuesten Studienergebnissen sollten diese Symptome möglichst frühzeitig behandelt werden. Kognitive Einbußen führen zu verminderter Lebensqualität, sozialem Rückzug, Erwerbsunfähigkeit und vermehrter Pflegeleistung. Verbesserungen kognitiver und nichtkognitiver Defizite bei Parkinsonpatienten können mit Rivastigmin (Exelon®) erreicht werden, ohne dass motorische Funktionen beeinträchtigt werden. Dieser Cholinesterasehemmer ist als einziger seiner Klasse in diesem Jahr zur Behandlung der leichten bis mittelschweren Demenz bei idiopathischer Parkinson-Krankheit zugelassen. Aktuelle Daten einer Verlängerungsstudie bestätigen den anhaltenden klinischen Nutzen. Aufgrund der eindeutigen Datenlage wird Rivastigmin in den Leitlinien der DGN mit dem Evidenzgrad Klasse 1 zur Behandlung der Demenz bei Parkinson-Krankheit empfohlen.
Die Parkinson-Krankheit ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen im höheren Lebensalter. Bei den über 65-Jährigen sind etwa 2-3% betroffen, bei den über 80-Jährigen rund 10%. Neben den Kardinalsymptomen Akinese, Rigor und Ruhetremor treten auch häufig neuropsychiatrische Störungen wie Demenz, Depression und Psychosen auf. Diese Symptome werden vor allem zu Beginn der Erkrankung oft von den motorischen Symptomen überdeckt und daher lange Zeit ignoriert. Ihre Bedeutung nimmt jedoch im Laufe der Erkrankung zu und kann die Lebensqualität und Alltagsfähigkeit des Patienten erheblich beeinflussen. Im späteren Stadium sind beispielsweise demenzielle Beeinträchtigungen der häufigste Grund für eine Heimeinweisung ([1]).
#Prävalenz: Erste deutsche Studie zeigt Behandlungsbedarf
Kognitive Defizite bei Parkinsonpatienten im Sinne einer Demenz sind bereits seit langem bekannt. Parkinsonpatienten haben, im Vergleich zu altersgleichen Menschen ohne diese Erkrankung eine sechsfach erhöhte Inzidenz einer Demenz ([1], [5]). Die Angaben zur Häufigkeit von neuropsychiatrischen Symptomen beim Parkinson-Syndrom variieren in den bisherigen Studien erheblich. Für Deutschland lagen bisher keine Studiendaten vor. Aus diesem Grund untersuchte die so genannte GEPAD-Studie (German Study on Epidemiology of Parkinson's Disease with Dementia) die Prävalenz von demenziellen und depressiven Komplikationen bei Patienten mit idiopathischen Parkinson-Syndromen (IPS) in Deutschland ([4]).
In dieser nicht interventionellen bundesweiten Querschnittstudie wurden über 500 Fachärzte für Neurologie, Psychiatrie und Nervenheilkunde im gesamten Bundesgebiet gebeten, an einem Stichtag bis zu zehn Patienten mit einem IPS hinsichtlich neuropsychiatrischer Begleiterkrankungen einzuschätzen. Insgesamt wurden 1326 Patienten beurteilt. Nach Einschätzung der Ärzte wiesen 40,4% der Patienten demenzielle Symptome auf. Depressive und psychotische Symptome wurden bei 37,2 bzw. 20,4% der Patienten beobachtet. Diese Daten bestätigen den hohen Stellenwert der Demenz bei Patienten mit Parkinson. Demenzielle Symptome nahmen mit dem Lebensalter und der Krankheitsdauer zu. Neuropsychiatrische Komplikationen wie Demenzen bedürfen in der Regel frühzeitige Interventionen, die sorgfältig mit der Behandlung der Parkinsonsymptomatik abgestimmt werden müssen ([5]).
#Therapie so früh wie möglich
Die Symptome einer Parkinson-Demenz entwickeln sich nach den motorischen Parkinson-Symptomen. Sie sind vor allem durch Störungen der Exekutivfunktionen, einer Beeinträchtigung räumlich-visueller Funktionen, Aufmerksamkeitsdefizite sowie Verhaltens- und Gedächtnisstörungen gekennzeichnet. Dies bedeutet für die Betroffenen und ihre Angehörigen neben den vorhandenen motorischen Beeinträchtigungen weitere Abstriche in ihrer Lebensqualität. Die Alltagsfähigkeit der Patienten wird eingeschränkt. Sie finden sich im Straßenverkehr nicht mehr zurecht, haben im fortgeschrittenen Stadium Probleme mit dem Essen oder beim Anziehen und sind auf die Hilfe anderer angewiesen. Die kognitiven Einbußen führen zu sozialem Rückzug, Erwerbsunfähigkeit und vermehrter Pflegebedürftigkeit. Die damit verbundenen erhöhten Krankheitskosten bedeuten eine enorme wirtschaftliche Belastung.
Trotz ihrer Relevanz werden neuropsychiatrische Störungen häufig nicht erfasst. Die nachlassende Aufmerksamkeit erschwert darüber hinaus die Diagnosestellung. Nach neuesten Studienergebnissen sollte jedoch eine Therapie so frühzeitig wie möglich beginnen ([5]), die Testung der kognitiven Funktionen sollte daher auch im Alltag zur Routine gehören. Seit kurzem steht mit dem PANDA© (Parkinson Neuropsychometric Dementia Assessment) ein neues Screening-Verfahren zur Abklärung Parkinson-spezifischer Kognitionsstörungen zur Verfügung. Unter www.panda.exelon.de kann der Test im Internet heruntergeladen werden.
#Therapieerfolge mit Rivastigmin
Ende Januar 2006 erhielt der Cholinesterasehemmer Rivastigmin (Exelon®) die EU-Zulassung zur symptomatischen Behandlung der leichten bis mittelschweren Demenz bei idiopathischer Parkinson-Krankheit. Die Zulassung beruht auf den Ergebnissen der EXPRESS-Studie ([5]). In dieser plazebokontrollierten multizentrischen Doppelblindstudie erhielten 541 Parkinsonpatienten, die eine Demenz entwickelt hatten, über sechs Monate Rivastigmin (3-12 mg, im Durchschnitt 8,7 mg/Tag, n = 362) bzw. Plazebo (n = 179). Dabei besserten sich alle untersuchten klinischen Demenzsymptome signifikant unter Rivastigmin gegenüber Plazebo, ohne dass sich die motorischen Parkinsonsymptome verschlechterten.
Aufgrund der eindeutigen Datenlage wurde Rivastigmin in den Leitlinien der DGN mit dem Evidenzgrad Klasse 1 zur Behandlung der Demenz bei Parkinson-Krankheit empfohlen ([7]).
#Positive Ergebnisse in der Langzeittherapie bestätigt
Eingeschlossen in die EXPRESS-Studie waren Patienten mit der Erstdiagnose Parkinson, die frühestens zwei Jahre später eine Demenz nach DSM-IV entwickelten. Patienten mit anderen neurodegenerativen Erkrankungen, z.B. Alzheimer-Demenz, oder einer vaskulären Demenz waren ausgeschlossen.
Verglichen mit Plazebo führte die Behandlung mit Rivastigmin zu signifikanten Verbesserungen der Kognition, Aufmerksamkeit, neuropsychiatrischen Symptomen, Verhaltensauffälligkeiten, Alltagsfähigkeiten (Activity of Daily Living) und Belastung der Bezugspersonen.
Zur Überprüfung der Sicherheit und Wirksamkeit in der Langzeitbehandlung wurde die EXPRESS-Studie anschließend weitere sechs Monate fortgesetzt ([7]). Dabei erhielten alle Patienten (n = 334), auch die Patienten der vorherigen Plazebogruppe, Rivastigmin (3-12 mg/Tag).
273 Patienten (81,7%) beendeten die offene Verlängerungsstudie. Bei Studienende lag die mittlere Rivastigmindosis bei 7,9 mg/Tag. Nach zwölf Monaten lagen die Ergebnisse der Patienten in den gemessenen Parametern Kognition, Aufmerksamkeit, neuropsychiatrischen Symptomen, Verhaltensauffälligkeiten, Alltagsfähigkeiten und Belastung der Bezugspersonen immer noch über den Ausgangswerten. In Bezug auf die Alltagsfähigkeiten konnte die Patientengruppe, die von Beginn an Rivastigmin erhielt, nach einem Jahr immer noch eine deutliche Verbesserung aufzeigen. Die Patienten, die ursprünglich auf Plazebo eingestellt waren, erzielten nach der Umstellung auf Rivastigmin ein signifikant besseres Ergebnis in der Bewertung ihrer Alltagskompetenz (Abb. [1]). Die kognitiven Leistungen aller Patienten verbesserten sich trotz fortschreitender Erkrankung im Durchschnitt um zwei Punkte auf der ADAS-cog-Skala, fast jeder zweite Patient (41%) verbesserte sich sogar um mindestens vier Punkte. Die ursprüngliche Plazebogruppe erreichte dabei ähnliche Ergebnisse wie die ursprüngliche Exelongruppe.

Die Verbesserungen der kognitiven und nichtkognitiven Funktionen blieben in der Verlängerungsstudie erhalten. Die Patienten der ursprünglichen Plazebogruppe erzielten dabei jedoch, abgesehen von den ADAS-cog-Werten, nicht die gleichen Ergebnisse wie die ursprüngliche Exelongruppe ([7]). Eine frühzeitige Behandlung scheint demnach für einen optimalen Behandlungserfolg erforderlich zu sein.
Neue Nebenwirkungen oder Unverträglichkeiten wurden in der Verlängerungsstudie nicht beobachtet. Leichte bis mittelschwere Nebenwirkungen betrafen vorrangig Übelkeit und Erbrechen. Die motorischen Symptome, die anhand der UPDRS-Skala bestimmt wurden, blieben über die gesamte Studiendauer konstant.
#Patienten frühzeitig behandeln
Eine kontinuierliche Behandlung mit Rivastigmin scheint nach den Ergebnissen der EXPRESS-Studie und ihrer Verlängerungsphase die kognitiven und nichtkognitiven Symptome der Erkrankung über mindestens ein Jahr zu stabilisieren, obwohl die Parkinson-Erkrankung weiter fortschreitet. Im Vergleich zu Plazebo verbessern sich alle demenziellen Symptome u.a. Kognition, Exekutivfunktionen und Alltagsfähigkeit signifikant.
Da Demenz ein wichtiger prognostischer Faktor für den Verlauf der Erkrankung und Pflegebedürftigkeit ist, sollten Patienten frühzeitig behandelt werden.
KW
#Literatur
- 01 Aarsland D . et al . Prevalence and characteristics of dementia in Parkinson's Disease: an 8-year prospective study. Arch Neuro. 2003; 60 387-392
- 02 Emre M . Dementia associated with Parkinson's disease. Lancet Neurol. 2003; 2 229-37
- 03 Emre M . Dementia in Parkinson's disease: cause and treatment. Curr Opin Neurol. 2004; 17(4) 399-404
- 04 Riedel O . et al . Wie beurteilen Ärzte die Häufigkeit demenzieller, depressiver und psychotischer Symptome bei Patienten mit der Parkinson-Krankheit?. Akt Neurol. 2006; 33 374-380
- 05 Emre M . et al . Rivastigmine for dementia associated with Parkinson's disease. New Engl J Med. 2004; 351 2509-2518
-
06 Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Diener HJ et al. (Hrsg.). Stuttgart, Thieme, 2005.
- 07 Poewe W . et al . Long-term benefits of rivastigmine in dementia associated with Parkinson's disease: An active treatment extension study. Mov Disord. 2006; 21(4) 456-461
Literatur
- 01 Aarsland D . et al . Prevalence and characteristics of dementia in Parkinson's Disease: an 8-year prospective study. Arch Neuro. 2003; 60 387-392
- 02 Emre M . Dementia associated with Parkinson's disease. Lancet Neurol. 2003; 2 229-37
- 03 Emre M . Dementia in Parkinson's disease: cause and treatment. Curr Opin Neurol. 2004; 17(4) 399-404
- 04 Riedel O . et al . Wie beurteilen Ärzte die Häufigkeit demenzieller, depressiver und psychotischer Symptome bei Patienten mit der Parkinson-Krankheit?. Akt Neurol. 2006; 33 374-380
- 05 Emre M . et al . Rivastigmine for dementia associated with Parkinson's disease. New Engl J Med. 2004; 351 2509-2518
-
06 Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Diener HJ et al. (Hrsg.). Stuttgart, Thieme, 2005.
- 07 Poewe W . et al . Long-term benefits of rivastigmine in dementia associated with Parkinson's disease: An active treatment extension study. Mov Disord. 2006; 21(4) 456-461
