Deutsche Heilpraktiker-Zeitschrift 2006; 1(4): 27-30
DOI: 10.1055/s-2006-954033
DHZ | spektrum
Im Gespräch
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1:0 für die Naturheilkunde - Ganzheitliche medizinische Betreuung im Profi-Fußball

Thorsten Rarreck
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Publication Date:
22 February 2007 (online)

Dr. med. Harald Kämper im Gespräch mit Dr. med. Thorsten Rarreck

Dr. med. Thorsten Rarreck ist seit 1998 Mannschaftsarzt des FC Schalke 04 und hat seit Anfang dieses Jahres seine Praxis im neuen Gesundheitszentrum medicos.AufSchalke in Gelsenkirchen. Es ist ihm ein Anliegen, dass auch im Leistungssport der ganzheitliche Ansatz der Behandlung nicht zu kurz kommt. Deshalb wendet er häufig naturheilkundliche Methoden an. Seine Erfahrungen sind nicht nur für Heilpraktiker interessant, die (Leistungs-) Sportler betreuen. Lesen Sie, was er z.B. über Kneipp-Therapie, Akupunktur und naturheilkundliche Doping-Mittel im Leistungssport verrät und blicken Sie hinter die Kulissen eines Bundesligavereins.

Herr Dr. Rarreck, Sie sind bekannt dafür, dass Sie viel mit Naturheilverfahren arbeiten. Welche komplementären Verfahren wenden Sie bei Ihren Spielern an?

Meine Behandlung basiert nach eingehender Anamnese und Untersuchung im Wesentlichen auf den fünf Säulen der Kneipp-Therapie. Das beginnt bei der Ordnungstherapie. Ich kläre den Familien-Background ab, versuche psychische Hemmungen abzubauen, führe die Spieler auch mal zu nicht materialistischen Themen hin oder leite Entspannungsmaßnahmen wie z.B. Meditation, Tai Chi, QiGong, Yoga oder Autogenes Training ein. Ich versuche, bei den Spielern ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass die Reizüberflutung unserer Zeit nicht unbedingt zuträglich für ihre Gesundheit oder ihre Leistungsfähigkeit ist.

Natürlich spielt darüber hinaus die Bewegungstherapie eine große Rolle. Man meint ja, dass Spieler sich genug bewegen. Aber ihre Bewegung ist oft einseitig. Daher muss über Koordinations- und Flexibilitätsübungen die gesamte myogene Kette erfasst und trainiert werden.

Hinzu kommt die Ernährung. Ich denke hier vor allem an eine basenbildende vitalstoffreiche (Vollwert-)Kost. Wir arbeiten zusammen mit einem Ökotrophologen, mit dem ich das bei den Spielern durchsetze. Ferner ergänze oder ersetze ich schulmedizinische Medizin durch Phytotherapeutika. Das schließt auch homöopathische Therapeutika ein. Hierzu zähle ich Einzelmittel, aber auch die Komplexpräparate. Last but not least greife ich auf die gesamte physikalische Therapie zurück, also alle Wasseranwendungen im weiteren Sinne wie Wechselduschen, Lumbalgüsse oder Trockenbürsten.

Abb. 1 Dr. med. Thorsten Rarreck (links) und Dr. med. Harald Kämper (rechts) mit der DHZ

Und welche Rolle spielt die TCM?

Ich setze Methoden der TMC ein. Allerdings bin ich in den letzten Jahren ein wenig davon weggekommen. Ich wende zuerst die fünf Säulen nach Kneipp an und dann erst berücksichtige ich die TCM. Es gibt durchaus einige nadelphobische Spieler. Deshalb hat sich einer meiner Therapeuten auf die Akupunktmassage nach Penzel spezialisiert. Wir arbeiten auch mit Akupressurpunkten. Bei der chinesischen Diätetik und Phytotherapie habe ich den Eindruck, dass die meisten Patienten unseres Kulturkreises besser mit einer vitalstoffreichen Ernährung zurechtkommen und daher bevorzuge ich diese Ernährungsform.

Wie stehen Sie orthomolekularen Medikamenten gegenüber?

Für mich ist das immer die Lösung 1B. Ich ziehe eine ganzheitliche Ernährung vor und versuche auch, das den Spielern zu vermitteln. Wenn ich damit aber keinen Erfolg habe, ist es mir lieber, der Spieler führt Mikronährstoffe zu, statt in einen Mangelzustand zu geraten.

Wie kommt es bei den Spielern an, wenn Sie so genannte Entspannungstechniken vermitteln möchten?

Ich muss zugeben, dies ist ein schwieriges Feld. Viele Kollegen berücksichtigen zunehmend die physikalische Therapie oder die Ernährung. Aber im Bereich der Psyche oder der seelischen Arbeit besteht noch ein ziemliches Niemandsland in der Bundesliga und bei Profisportlern. Wir arbeiten jedoch gerade hieran verstärkt.

Abb. 2 Die beiden im Gespräch

Abb. 3 Dr. Rarreck wägt seine Worte ab

Und die Spieler machen mit?

Die Spieler lassen sich nur zum Teil darauf ein. Ich versuche, sie zu überzeugen. Inzwischen mache ich das seit zehn Jahren, und ich habe schon viele Leute dorthin gebracht, wo ich es nie erwartet hätte. Aber es dauert. Die Spieler fassen nur langsam Vertrauen, und es sind ja immer wieder neue. Ich kann bei einem neuen Spieler nicht mit der Tür ins Haus fallen und ihm erklären: „Mit dir machen wir erst mal QiGong”.

Besteht da nicht aus Sicht der Vereinsführung die Gefahr, dass man dem Spieler durch solche Verfahren seine Aggression, seinen Biss nimmt?

Die Gefahr besteht sicher. Wir hatten jedoch in der letzten Saison zu viele gelbe und rote Karten sowie Platzverweise. Die Spieler konnten sich nicht beherrschen. Sie haben auch wegen Übererregung Tore nicht getroffen, Fehler in der Verteidigungsarbeit gemacht und dadurch viele Spiele verloren. Es ist an der Zeit, das Aggressionspotenzial auf ein gutes Niveau zu reduzieren.

Spieler müssen schnell wieder einsatzfähig sein. Naturheilkundliche Methoden brauchen jedoch Zeit, und die Spieler ebenfalls eine gewisse Regenerationszeit. Wie gehen Sie mit diesem Spannungsfeld um?

Für mich ist dies der größte Stressfaktor in meiner Arbeit. Der Druck, dass der Spieler schnellstens wieder gesund werden muss, ist sehr belastend. Mir tun die Spieler leid. Sie leben zum Teil unter dem subtilen Druck der Spielerberater, dem sie oftmals nachgeben. Das führt dazu, dass sich die Mikroläsionen immer mehr aufschaukeln und letztendlich zu manifesten Gelenkstörungen, zu Knorpelschäden, zu Myotendinosen oder anderen Entzündungen führen. Die sind dann sehr, sehr hartnäckig und bereiten den Spielern im Verlauf ihrer weiteren Karieren oft dauerhafte Beschwerden.

Ich versuche daher, die Spieler zu schützen und erkläre ihnen die besten medizinischen Optionen. Ich dränge den Spieler zu nichts, was aus medizinischer Sicht unvernünftig ist. Ich kläre ihn auf. Und nur wenn ein von mir entsprechend aufgeklärter Spieler trotzdem eine Maßnahme haben will, die nicht unproblematisch ist, unterstütze ich ihn dabei. Ich spritze dann immer noch kein Kortison, aber ich lasse ihn zumindest mit Restbeschwerden ins Training gehen. Über die weitere ganzheitliche Therapie versuche ich, seine Beschwerden im Zaum zu halten. Aber es ist durchaus so, dass jeden Tag Spieler auf dem Platz sind, die eigentlich gar nicht trainieren dürften.

Wie ist denn die Compliance Ihrer Spieler, wenn es um die ordnungstherapeutischen Verfahren geht?

Mitunter fehlt es den Spielern an der Bereitschaft, die Eigenverantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen. Und meines Erachtens ist die Eigenverantwortung ein ganz entscheidender Aspekt. Ich als Arzt heile meinen Patienten nicht. Ich setze Impulse, damit sich der Körper heilen kann. Die mangelnde Compliance ist für mich mitunter genauso frustrierend wie die erwähnte latente Erwartungshaltung, dass alle Beschwerden innerhalb kürzester Zeit ausgeheilt sein müssen.

Haben Sie ein paar Tipps, welche Präparate oder Verfahren einen vertretenen Knöchel oder eine Muskelquetschung schnell wieder regenerieren lassen?

Das Wichtigste ist es, wie gesagt, die fünf Säulen der Kneipp-Therapie prophylaktisch zu etablieren. Darüber hinaus brauchen die Spieler eine gute Statik und ein gutes Flexibilitätsvermögen. Ich arbeite gerne mit Homöopathika. Hier verwende ich Traumeel®, Spascupreel® S, Neuroinjeel®, Lymphomyosot® N. Ferne injiziere ich auch viel. Meine Erfahrung ist, dass im Sinne der Homöosiniatrie die Injektionen besser helfen als die periorale Gabe der Präparate.

Darüber hinaus arbeite ich viel mit Medi-Tapes. Massagen, Triggerpunktbehandlungen, Lymphdrainagen und elektrotherapeutischen Anwendungen von Mikrostrom bis Laser. Ich glaube, dass die Polypragmasie zum Erfolg führt. Ich meide Schmerzmittel oder Antiphlogistika, weil diese Probleme mit sich bringen. Bei Diclofenac®-Gabe z.B. kann der Muskel nachher um so schneller reißen, weil es beim Heilungsverlauf nach Muskelverletzungen negativ wirkt.

Wie ist es mit Lokalanästhetika, also Procain und Lidocain?

Procain setze ich durchaus ein und zwar immer in einer Mischung mit mindesten einer doppelten Menge an komplexen Homöopathika oder auch entsäuernden Mitteln oder Natriumchlorid. Aber ich spritze ungern die Spieler einfach fit, nach dem Motto: „Da tut es dir weh, da spritze ich rein, dann kannst du spielen”. Dies kommt höchstens mal an den oberen Extremitäten vor, wenn zum Beispiel ein Handgelenk Probleme bereitet, das bei Fußballern ja nicht so beansprucht wird. Ich spritze aber bei Gelenkproblemen nicht an die Bänder. Das ist viel zu gefährlich, da die Propriorezeption unterdrückt wird.

Die Lokalanästhetika sind übrigens auf der Doping-Liste. Sie dürfen genommen werden, müssen aber bei Doping-Tests gemeldet werden.

Welche anderen Präparate oder Verfahren sind denn auf der Doping-Liste? Es stehen ja auch Phytotherapeutika darauf?

Hier sind besonders die Sauerstoffverfahren oder die Ozon-Therapie zu nennen. Vor allem die große Ozon-Therapie ist als Blutdoping nicht erlaubt. Ferner sind jegliche Infusionen verboten. Das ist schade, weil ich besonders in Erkältungszeiten gerne das hoch dosierte Vitamin C oder Zink einsetze. Alternativ kann man ein oder zwei Ampullen Vitamin C intravenös spritzen. Ich darf nicht einmal mehr Kochsalz geben. Kortikoide stehen natürlich auf der Liste. In infiltrativer Form darf man sie allerdings anwenden, wenn man sie vor Beginn der Therapie bei der nationalen Anti-Doping-Kommission angemeldet hat.

Ist z.B. die Große Eigenblutbehandlung grundsätzlich verboten oder nur während der Spielsaison?

Sie ist tatsächlich prinzipiell verboten. Aber in der wettkampffreien Zeit wäre das eine Überlegung. Es gibt dazu aber keine Erfahrungswerte. Die Kleine Eigenblutbehandlung können Sie allerdings jederzeit anwenden.

Was ist mit Asthma-Therapeutika? In vielen Allergie-Mischungen ist doch Ephedra enthalten.

Ephedra ist auf der Anti-Doping-Liste. Bronchialerweiternde Medikamente darf man nur nach der vorherigen Untersuchung und Bestätigung durch einen Pulmologen einsetzen, wenn dieser tatsächlich eine asthmatische Erkrankung bescheinigt.

Gibt es andere Phytotherapeutika, die auf der Doping-Liste stehen?

Meines Wissens nicht. Wenn ich aber nicht ganz sicher bin, frage ich bei der Nationalen Antidoping Agentur in Bonn nach (www.nada-bonn.de, E-Mail: info@nada-bonn.de). Dort erhalten Sie jederzeit zuverlässig Auskunft.

Sie behandeln auch viel mit Akupunktur?

Heute wende ich hauptsächlich Dry-Needling an und behandle an den Triggerpunkten. Ich arbeite zum Teil mit sehr langen Nadeln segmental.

Sie schreiben derzeit an einem Buch über Akupunktur in der Sportmedizin?

Ja, da geht es genau um diese Verfahren und wie man sie in der internistischen und orthopädischen Sportmedizin einsetzen kann. Das Buch entsteht in Zusammenarbeit mit den Kollegen Kastner und Strich. In dem Buch wird auch meine Methode, mit langen Nadeln segmental zu arbeiten, beschrieben. Das Buch ist auch für Heilpraktiker interessant. Es werden z.B. Punktekombinationen bei bestimmten Indikationen aufgeführt. Das gilt auch für solche Indikationen wie Fieber, die außerhalb der eigentlichen Sportverletzungen stehen, aber natürlich ebenfalls relevant sind.

Abb. 4 medicos.AufSchalke liegt direkt neben dem Stadion

Wie klappt die Integration der Spieler-Behandlung in Ihren sonstigen Praxisalltag?

Grundsätzlich behandle ich die akuten Probleme morgens vor der Sprechstunde, aber ansonsten auch mittags und abends. Selbstverständlich passiert auch immer wieder einmal etwas beim Training, das ich mir gleich anschaue. Die Spieler erwarten, dass ich immer für sie parat stehe. Im Wochendurchschnitt ziehen sich die Spieler beim Training ein halbes Duzend Verletzungen zu: Prellungen, Distorsionen, Hämatome. Oftmals muss ich nur abklären, ob weitere bildgebende Verfahren zum Einsatz kommen sollten, oder ob die normalen Methoden der Akutmedizin ausreichen.

Die Behandlung ist für mich nicht immer zeitaufwändig, weil die Spieler zur weiteren Diagnostik oder an die Physiotherapeuten weitergeleitet werden. Aber trotzdem unterbricht das meine Arbeit. Das kann schon mal zu Verzögerungen in meinem Praxisalltag führen. Im Großen und Ganzen hält sich dies jedoch in einem vertretbaren Rahmen. Ich reguliere das über meinen Einbestell-Turnus. Insgesamt ist die räumliche Nähe hier im medicos.AufSchalke natürlich für die Spieler und mich sehr praktisch.

Arbeiten Sie mit Heilpraktikern zusammen?

Ich arbeite viel mit Heilpraktikern zusammen, die besondere Spezialisierungen abdecken. Ich schicke z.B. einige Spieler zu einem Heilpraktiker, der sich auf die Ernährung nach Bruker spezialisiert hat. Ein anderer Heilpraktiker ist ein ganz hervorragender Osteopath. Die Heilpraktiker haben den Ärzten gegenüber den Vorteil, dass sie viel früher an die ganzheitliche Medizin herangeführt werden.

Es ist ganz wichtig, die Naturheilverfahren zunehmend in den Leistungssport einzubinden, weil die Spieler immer an der Grenze der Belastbarkeit trainieren. Und mit den Naturheilverfahren können wir die Belastbarkeit erhöhen und beeinflussen. Die Immunabwehr kann gesteigert werden, wobei hier die Ernährung einen hohen Stellenwert hat. Dabei sollte man auch den energetischen Aspekt der Ernährung berücksichtigen: Woher kommt das Lebensmittel und wie wurde es angebaut? Das ist ein Aspekt, der oftmals vernachlässigt wird, aber meines Erachtens berücksichtigt werden muss.

Herr Dr. Rarreck, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.

Informationen zu medicos.AufSchalke

www.medicos-aufschalke.de

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