Sprache · Stimme · Gehör 2006; 30(4): 193
DOI: 10.1055/s-2006-951758
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Aphasietherapie zeigt Wirkung. Bericht vom 7. wissenschaftlichen Symposium des Deutschen Bundesverbandes der akademischen Sprachtherapeuten (dbs) in Potsdam, 20. - 21. Januar 2006

U. de Langen-Müller, R. Schönweiler
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Publication Date:
30 November 2006 (online)

Jeder zweite Schlaganfallbetroffene und jeder fünfte Patient mit Schädelhirntrauma leidet bleibend unter einer Aphasie. Mühsam müssen sich Menschen mit Aphasien sprachliche Fähigkeiten wieder erarbeiten. Eine professionelle Sprachtherapie kann ihnen dabei helfen, wenn die Übungen intensiv und häufig genug durchgeführt werden. Im Symposion ging es um die Wirksamkeit neuer Therapieansätze wie beispielsweise die modellgeleitete Therapie phonologischer und agrammatischer Störungen, die hochfrequente Intervalltherapie sowie um die Gestaltung medizinischer und psychosozialer Randbedingungen, mit denen die Wirksamkeit der Übungen gesteigert werden kann. Mit den auf dem Symposion präsentierten neuen Erkenntnissen können Sprachtherapien besser theorie- und patientenbezogen vorbereitet, durchgeführt und ausgewertet werden, so Ria De Bleser, Professorin am Institut für Linguistik der Universität Potsdam und Referentin auf dem Symposium.

Barbara Giel, Sprachheilpädagogin vom Institut für Sprachtherapieforschung Moers, gab eine systematische Übersicht über die Inhalte und Anforderungen der Evaluationsforschung. Sie plädierte für eine differenzierte Therapieevaluation, auch wenn die Entwicklung und Implementierung zukünftiger Leitlinien „einen langen Atem” erfordere.

Nicole Stadie, Institut für Linguistik der Universität Potsdam, zeigte anhand eines Fallbeispiels, wie die Therapieevaluation in den Alltag integriert werden kann und eine differenzierte Planung und Strukturierung des Übungsplans vor Beginn der ersten Therapiesitzung den Verlauf der Behandlung verbessere.

Astrid Schröder vom Institut für Linguistik der Universität Potsdam sowie Sabine Corsten und Markus Mende von der Klinik für Neurologie der Technischen Hochschule Aachen zeigten, wie Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in die Gestaltung der Sprachtherapie einfließen. Beispielsweise wurde festgestellt, dass bei agrammatischer Satzproduktion nicht immer vom Einfachen zum Schwierigen vorgegangen werden muss. Es wurde exemplarisch gezeigt, wie eine Übung mit anspruchsvollen Strukturen der richtige Auslöser für den Lernerfolg sein kann.

Marcus Meinzer, Klinischer Psychologe von der Universität Konstanz, forderte für Patienten mit Aphasien das intensive Üben alltagsrelevanter Verhaltensformen. Vergleichbar mit dem kraftvollen und hochfrequenten Üben von Bewegungsfolgen beim Sport müsse auch der Patient mit Aphasie die Sprachstrukturen mit hoher Intensität und Frequenz üben. Nach einer kommunikativen Sprachtherapie mit 30 Therapieeinheiten innerhalb von 10 Tagen, d. h. 3 Therapieeinheiten pro Tag, konnte ein Langzeiteffekt nachgewiesen werden, der bei anderen Patienten mit Verteilung des gleichen Umfangs auf 6 Monate ausblieb.

Mit den neurophysiologischen Aspekten sprachlicher Rehabilitation befasste sich Annette Baumgärtner, Klinik für Neurologie der Universität Hamburg. Mit Hilfe funktioneller bildgebender Verfahren gelang ihrer Arbeitsgruppe der Nachweis eines unterschiedlichen Hirnaktivitätsniveaus in den verschiedenen Phasen der Rehabilitation.

Weitgehend unbefriedigt blieb das Evaluationsbedürfnis der kommunikationsorientierten Therapeuten. Und als bislang kaum messbar erwiesen sich die Bedürfnisse und Wünsche der Betroffenen. De Bleser schlug vor, auch die Spontansprache vermehrt mit in wissenschaftliche Studien aufzunehmen und schlug ein gemeinsames Forschungsprojekt der Universität Potsdam und des dbs vor.

Fazit: Spezifische Sprachtherapien bei Aphasien sind wirkungsvolle Behandlungen, die zunehmend Evidenzkriterien erfüllen und sich damit als unstrittige Bestandteile der Heilmittelrichtlinien bewähren.

Prof. Dr. med. Rainer Schönweiler

Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie

Universitätsklinikum Schleswig-Holstein

Ratzeburger Allee 160

23538 Lübeck

Email: rainer.schoenweiler@phoniatrie.uni-luebeck.de

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