psychoneuro 2006; 32(7/08): 347
DOI: 10.1055/s-2006-948118
Im Gespräch

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interview mit Prof. David Baldwin - Hohe Dunkelziffer bei generalisierter Angststörung

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28 August 2006 (online)

 
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    David Baldwin

    Generalisierte Angststörungen (GAD) werden vielfach übersehen, falsch diagnostiziert, zu kurz und nicht effektiv behandelt. Zu den diagnostischen Hürden, aber auch zu aktuellen Therapieempfehlungen nahm Prof. David Baldwin, Southampton, im Rahmen des European College of Neuropsychopharmacology (ECNP) 2005 in Amsterdam Stellung.

    Manchmal erfolgt die korrekte Diagnosestellung einer generalisierten Angststörung erst nach bis zu zehn Jahren. Wie kann dieser Zeitraum verkürzt werden?

    Prof. Baldwin: Hausärzte sind für die Patienten die primäre Anlaufstelle. Bei ausgeprägten und lang anhaltenden Ängsten und Befürchtungen um die eigene Person oder Familienangehörige sowie einer großen Anspannung der Patienten sollten sie hellhörig werden.

    Um die Sensibilität für diese Erkrankung zu erhöhen, sollte darüber hinaus die Öffentlichkeit vermehrt auf die Symptome aufmerksam gemacht werden. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt ist die hohe Komorbidität von GAD-Patienten. Hausärzte sollten bei depressiven Patienten immer auch die Symptome einer generalisierten Angststörung abfragen. Ebenso werden Angststörungen wie die soziale Phobie oder Posttraumatische Belastungsstörung zu selten als Ursache depressiver Symptome erkannt.

    Die Therapieempfehlungen der Fachverbände für die Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe sind bislang nur vage ...

    Baldwin: Während randomisierte kontrollierte Studien sich meist nur über einen Zeitraum von 12 Wochen erstrecken, muss man eine GAD in der Praxis deutlich länger behandeln, um eine symptomatische Remission der Angstsymptome einschließlich der psychischen Komorbidität zu erreichen. Das kann drei bis vier Monate dauern.

    Im Anschluss müssen die Patienten dauerhaft stabilisiert werden. Neue, noch nicht veröffentlichte Studien zeigen, dass die Rezidivrate durch eine sechs- bis 18-monatige Erhaltungstherapie signifikant gesenkt werden kann.

    In wie fern wurden die von der British Association of Psychopharmacology (BAP) jüngst aktualisierten Therapieleitlinien zur GAD präzisiert?

    Baldwin: Die einzigen Medikamente, für die nach Ansicht der BAP ein ausreichender Wirknachweis in plazebokontrollierten Studien für alle Therapiephasen - Akut- und Langzeittherapie sowie Rezidivprophylaxe - vorliegt, sind die beiden SSRI Escitalopram und Paroxetin. Bei den nicht medikamentösen Interventionen ist die kognitive Verhaltenstherapie die Methode der ersten Wahl. Die Wirksamkeit der Akuttherapie sollte zunächst nach 12 Wochen beurteilt werden. Zeigen die Patienten eine deutliche Besserung der Angstsymptome, sollte die Therapie mindestens weitere sechs Monate fortgeführt werden. Bei Patienten, die bis zu diesem Zeitpunkt nur partiell respondieren, ist eine Kombination von Pharmako- oder Psychotherapie in Betracht zu ziehen.

    Welchen Einfluss hat die Verträglichkeit auf die GAD-Therapie?

    Baldwin:In einer randomisierten Doppelblindstudie wurde die Gabe von 10 bis 20 mg/d Escitalopram mit 20 bis 50 mg/d Paroxetin bei 123 GAD-Patienten über 24 Wochen verglichen. Beide SSRI waren vergleichbar gut wirksam, aber unter Escitalopram traten deutlich weniger Nebenwirkungen, insbesondere sexuelle Dysfunktion, auf. Auch die Drop-Out-Rate war mit 6,6% signifikant niedriger als unter Paroxetin mit 22,6%.

    Da GAD-Patienten überwiegend jung sind, ist eine sexuelle Dysfunktion als unerwünschte Begleiterscheinung einer Pharmakotherapie oft Grund dafür, das Medikament abzusetzen. Um diesen Schwierigkeiten vorzubeugen, sollte ein Medikament gewählt werden, das in dieser Beziehung unproblematisch ist.

    Dr. Alexander Kretzschmar

     
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