psychoneuro 2006; 32(7/08): 344
DOI: 10.1055/s-2006-948115
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Leserbrief - Betrifft: Compliance

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Publication Date:
28 August 2006 (online)

 
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    in den Beiträgen K. Rabovsky und G. Stoppe, M. Schmauss und B. Grübler in psychoneuro 2006; 32 (6)

    Der interessierte Leser stutzt und staunt, wenn in den o.g. Beiträgen durchgehend der Begriff "Compliance" im Kontext mit dem Begriffsinhalt gebraucht wird, wie er in den 50er Jahren, d.h. zu Beginn der Compliance-Forschung, formuliert wurde. Es ist das Verdienst der Psychiatrie, die wissenschaftliche Bearbeitung der Compliance-Problematik experimentell und theoretisch mit großem Erfolg betrieben zu haben. Im Laufe der vergangenen fünf Jahrzehnte erfuhr der Terminus "Compliance" einen Begriffswandel, der die Entwicklung der psychiatrischen Therapiekonzepte widerspiegelt und bis heute analog auch in allen anderen medizinischen Disziplinen Gültigkeit besitzt.

    Zunächst wurde Compliance verstanden als die "Willfährigkeit und Gehorsam des Patienten gegenüber dem Arzt". Nicht selten gerieten die Patienten in die Rolle von "Tätern", die an Therapieversagen und an dissonanten Beziehungen zwischen ihnen und ihren dadurch zu Opfern gewordenen Therapeuten "schuld" waren.

    Compliance wird Mitte der 60er Jahre als die "Annahme ärztlicher Verordnung durch den Patienten" verstanden. Das Schwergewicht liegt auf der Versachlichung der therapeutischen Beziehung, im Vordergrund steht die Maßnahme, nicht allein Arzt hier und Patient da.

    In den 70er Jahren wurde der Begriffsinhalt dahingehend weiterentwickelt, dass unter Compliance das Ausmaß beschrieben wird, in dem sich das "Verhalten des Patienten mit der Erwartungshaltung des Arztes deckt - und vice versa".

    Erst Anfang der 80er Jahre wird das "therapeutische und soziale Umfeld des Patienten in das Compliance-Konzept einbezogen".

    Heute wird vor dem Hintergrund der angespannten finanziellen Situation im Gesundheitswesen Compliance auch mit einer ökonomischen Dimension versehen, sodass der derzeit angemessene Begriffsinhalt lautet:

    Compliance ist die Bereitschaft des Patienten und seines gesamten therapeutischen sowie sozialen Umfeldes, sich gegen eine Erkrankung synergistisch bei gleichzeitiger Kostenminimierung ohne Einbuße an therapeutischer Effizienz zusammenzuschließen.

    Hier ist nicht der Raum, der Ort wäre es schon, auf die therapeutisch wichtige Differenzierung des Compliance-Komplexes einzugehen, z.B. diskompliantes von nonkompliantem Verhalten zu unterscheiden. Soviel jedoch sei gesagt: Es gibt den inkomplianten Arzt ebenso wie seinen akademischen Kollegen aus der Pharmazie. Es gibt den nonkomplianten Angehörigen ebenso wie den diskomplianten Patienten.

    In diesem Zusammenhang bleiben drei Wünsche offen:

    • Zukünftige Publikationen über Compliance-Themen legen ausnahmslos die aktuelle Definition des Terminus Compliance zugrunde, u.a. um den Autoren zu ersparen, dass sie sich eine Begriffsdenaturation vorhalten lassen müssen.

    • In der Diskussion und Beschlussfassung (sog. Reformen) zur Steigerung der therapeutischen Effizienz mit Blick auf die medizinischen Kosten steht die aktuelle Compliance-Definition als Handlungsmaxime obenan.

    • Die Angehörigen und die Verantwortlichen des Gesundheitswesens i.w.S. stimmen einer Effizienzkontrolle ihrer Arbeit dergestalt zu, dass sich das Audit u.a. an den Maximen der aktuellen Compliance-Definition orientiert.

    Dr. O.K. Linde, Frankenweg 5, 67246 Dirmstein