Der Klinikarzt 2006; 35(7): X-XI
DOI: 10.1055/s-2006-948077
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Intervention bei Appetitsteigerung lohnt sich - Erfolgreiches Gewichtsmanagement bei psychiatrischen Patienten

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Publication Date:
24 July 2006 (online)

 
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Psychische Erkrankungen gehen häufig mit Veränderungen des Körpergewichts einher, die in der Regel multifaktoriell bedingt sind ([10]). Gewichtsveränderungen können unter anderem als Begleitphänomen der Grunderkrankung auftreten oder mit einer durch Psychopharmaka induzierten Appetitsteigerung assoziiert sein. Da viele Patienten eine Gewichtszunahme als (zusätzlich) stigmatisierend empfinden, kann diese Begleiterscheinung der Erkrankung die Therapietreue der Patienten gefährden und dadurch das Auftreten von Rezidiven erhöhen.

Durch frühzeitige Aufklärungs- und Interventionsmaßnahmen lassen sich Appetitsteigerungen und Gewichtsveränderungen jedoch handhaben. So zeigen aktuelle Ergebnisse eines Psychoedukationsprogramms, dass Arzt und Patient mithilfe von Ernährungs- und Bewegungsprogrammen wie BELA[*] - einem von der Lilly Deutschland GmbH, Bad Homburg, initiierten Programm - einer Gewichtszunahme von psychiatrischen Patienten erfolgreich entgegen wirken können ([8]).

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Gewichtszunahme unter Psychopharmaka vermeidbar?

Die Prävalenz von Übergewicht bei psychiatrischen Patienten beträgt 40-62% und ist damit höher als in der Allgemeinbevölkerung ([4], [7]). Bewegungsmangel, ungünstige Ernährungsgewohnheiten und die Einnahme von Psychopharmaka wie zum Beispiel trizyklische Antidepressiva und Neuroleptika - sowohl konventionelle als auch atypische - gelten als wesentliche Risikofaktoren ([1]).

Abgesehen von internistischen Konsequenzen kann die Gewichtszunahme die Compliance der Patienten beeinträchtigen und somit das Risiko für ein Rezidiv erhöhen, da ein Therapieabbruch ein bedeutender Risikofaktor für einen Rückfall ist ([12]). Einen Rückfall zu vermeiden, hat jedoch höchste Priorität bei der Behandlung psychischer Erkrankungen, sodass eine wirksame und gut verträgliche Medikation eine der zentralen Anforderungen an eine effektive Therapie ist.

In der Akuttherapie sowohl der Manie als auch der Schizophrenie kann der Arzt mithilfe des atypischen Neuroleptikums Olanzapin (Zyprexa®) eine rasche und zuverlässige Symptomkontrolle ([3], [16]) erzielen. Dazu kommt eine für Olanzapin nachgewiesene hohe Therapietreue ([5]), die dazu beiträgt, dass die Patienten über die Akutphase hinaus von der zuverlässigen Symptomkontrolle und damit der zuverlässigen Phasen-[**] bzw. Rezidivprophylaxe des modernen Neuroleptikums profitieren ([2], [13], [15]).

Wie bei vielen Psychopharmaka kann es unter der Behandlung mit Olanzapin ebenfalls zu einer Appetitsteigerung und einer daraus resultierenden Gewichtszunahme kommen ([6], [9]). Im Hinblick auf die erwähnte zuverlässige Wirksamkeit des Atypikums sollte jedoch diese handhabbare Nebenwirkung direkt angegangen werden, bevor durch eine Umstellung der Medikation ein möglicher Rückfall riskiert wird.

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Effektive Gewichtskontrolle durch Psychoedukation

Die Veränderung des Körpergewichts unter Olanzapin manifestiert sich in der Regel bereits in den ersten Behandlungswochen ([9]). Daher lohnt es sich, die Patienten frühzeitig über diese potenzielle Nebenwirkung aufzuklären und sie über die Interventionsmöglichkeiten zu informieren, um einer möglichen Gewichtszunahme schon zu Therapiebeginn gezielt entgegenwirken zu können. Psychoedukative Maßnahmen, die auf Ernährungs-, Verhaltens- und Bewegungsmodifikation ausgerichtet sind, sind dabei besonders effizient ([7], [11], [14], [17]).

Der Erfolg einer langfristigen Gewichtsregulation ist dabei mit der Bereitschaft zu Lebensstilveränderungen verbunden ([7]). Die Patienten müssen zum einen über die mit Übergewicht assoziierten Risiken aufgeklärt und zum anderen motiviert werden, dieser unerwünschten Nebenwirkung aktiv entgegenzutreten. Genau hier setzt das psychoedukative Trainingsprogramm BELA an. Das strukturierte Programm wurde Anfang 2005 eigens für psychiatrische Patienten entwickelt und wird bereits an über 360 Kliniken in Deutschland durchgeführt. Ziel von BELA ist es, die Patienten durch die Vermittlung von Grundkenntnissen über eine gesunde und ausgewogene Ernährung sowie über die Bedeutung von regelmäßiger Bewegung bei der Vermeidung von Gewichtszunahmen zu unterstützen.

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Gezieltes Gewichtsmanagement mit BELA

Das Psychoedukationsprogramm BELA kann an verschiedene Patientengruppen angepasst werden und sollte idealerweise in den jeweiligen Gesamttherapieplan integriert sein. Durchgeführt wird das Programm vom Pflegepersonal, das durch Ökotrophologen im Auftrag der Firma Lilly speziell geschult und betreut wird.

Ein einzelner Kurs besteht aus zehn jeweils ein- bis zweistündigen Gruppensitzungen, in denen die Patienten Kenntnisse zu den Themen Ernährung und Bewegung erlangen. Die Lerneinheiten sind auf die Bedürfnisse psychiatrischer Patienten zugeschnitten und werden in erlebnisorientierten praktischen Übungen umgesetzt. Dazu zählt zum Beispiel das Zusammenstellen einer Mahlzeit, das Einkaufen und das Kochen. Inhaltlich deckt BELA folgende Kernbereiche ab:

  • Bedeutung einer verbesserten Ernährung und regelmäßiger Bewegung

  • Erkennen ungünstiger Lebens- und Essgewohnheiten

  • Übung und Stabilisierung vorteilhafter Lebens- und Essgewohnheiten.

Konzipiert wurde BELA für Gruppen von sechs bis zehn Patienten, die - das sind die Voraussetzungen für die Teilnahme - dem Kurs kognitiv folgen können, keine Essstörungen haben und keine Kontraindikationen (Diabetes, Herz- oder Stoffwechselerkrankungen) aufweisen. Nehmen die Patienten bereits zu Therapiebeginn an dem Interventionsprogramm teil, kann einer Gewichtszunahme besonders effektiv vorgebeugt und ihre Therapietreue langfristig günstig beeinflusst werden.

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BELA wissenschaftlich evaluiert

Mittlerweile liegen auch erste medizinisch-wissenschaftliche Daten zu den BELA-Kursen vor ([8]). Demnach erfuhr ein großer Teil der psychiatrischen Patienten, die an dem psychoedukativen Interventionsprogramm teilgenommen haben, keine Zunahme des Körpergewichts. Einige Patienten konnten ihr Gewicht sogar reduzieren (Abb. [1]). Evaluiert wurden die Ergebnisse des Ernährungs- und Bewegungsprogramms in 94 Kursen an 61 Zentren. Insgesamt hatten bis dahin 661 Patienten teilgenommen. 93% von ihnen gaben als Grund für ihre Teilnahme eine angestrebte Gewichtsabnahme an, 87% wollten ihre Essgewohnheiten ändern, 60% suchten den Austausch mit anderen Patienten und 45% wollten ihr Gewicht konstant halten (Abb. [2]).

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An den Kursen nahmen durchschnittlich sieben Patienten teil; sie dauerten im Mittel 48 Tage. Am Kursende hatten 42,9% der Patienten um 2,4 ± 2,2 kg abgenommen, bei 42,4% blieb das Gewicht stabil. Zu einem Anstieg des Körpergewichts kam es bei 14,8% der Teilnehmer; doch dieser fiel mit 1,3 ± 0,8 kg relativ gering aus. Lineare Regressionen ergaben, dass bei längerer Kursdauer die Gewichtsreduktion signifikant zunahm. Die Anzahl der Teilnehmer hatte dagegen keinen signifikanten Effekt auf den Erfolg des Programms.

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Fazit

Die aktuellen Daten zum Einsatz des Interventionsprogramms BELA zeigen, dass es möglich ist, die Ernährung und das Körpergewicht psychiatrischer Patienten günstig zu beeinflussen. Psychoedukationsprogramme zum Gewichtsmanagement stärken das Know-how der Patienten bezüglich eines gesunden Lebensstils. Langfristig soll der Autonomiestatus der psychiatrischen Patienten gesichert werden, damit sie in einer kompetenten und informierten Weise die neu erlernten gesunden Lebensgewohnheiten in ihrem Alltag implementieren können. So zeigen auch andere Untersuchungen, dass verhaltenstherapeutische und psychoedukative Programme den Patienten helfen, ihre Ernährungsgewohnheiten umzustellen, die körperliche Aktivität zu erhöhen und so einer Gewichtszunahme vorzubeugen. Patienten, die keinerlei derartige Betreuung erfuhren, hatten bei Studienende ein statistisch eindeutig höheres Körpergewicht ([11]). Psychoedukative Interventionsprogramme können demnach die Lebensqualität psychiatrischer Patienten verbessern und die Therapietreue langfristig günstig beeinflussen.

A. Ameri, Weidenstetten

Eine Kooperation mit Lilly Deutschland GmbH

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Literatur

  • 01 Allison DB . et al . Am J Psychiatry. 1999;  156 1686-1696
  • 02 Beasley CM Jr . et al . J Clin Psychopharmacology. 2003;  23 582-594
  • 03 Czekalla J . et al . Schizophr Res. 2004;  67 (suppl 1) 214
  • 04 Faulkner G . et al . Acta Psychiatr Scand. 2003;  108 324-332
  • 05 Haro J . et al . Schizophr Bull. 2005;  31 (suppl) 486
  • 06 Hennen J . et al . J Clin Psychiatry. 2004;  65 1679-1687
  • 07 Hoffmann VP . et al . J Clin Psychiatry. 2005;  66 1576-1579
  • 08 Hundemer HP . et al . Posterpräsentation.  Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) Jahreskongress 2006.
  • 09 Kinon BJ . et al . J Clin Psychiatry. 2001;  62 92-100
  • 10 Kraus T . et al . Fortschr Neurol Psychiat. 2001;  69 116-137
  • 11 Littrell KH . et al . J Nurs Scholarsh. 2003;  35 237-241
  • 12 Möller HJ . Medikamentöse Rezidivprophylaxe schizophrener Erkrankungen.  In: Möller HJ (Hrsg). Therapie psychiatrischer Erkrankungen. Stuttgart, New York: Georg Thieme Verlag. 2000;  248-257
  • 13 Novick D . et al . poster NR249.  American Psychiatric Association 2005.
  • 14 Pendlebury J . et al . Eur Neuropsychopharmacol. 2005;  (suppl 3) S483 (abstract P.3.066)
  • 15 Tohen M . et al . Br J Psych. 2004;  184 337-345
  • 16 Tohen M . et al . Arch Gen Psych. 2002;  59 62-69
  • 17 Vreeland B . et al . Psychiatr Serv. 2003;  54 1155-1157

01 Bewegung, Ernährung, Lernen, Akzeptieren

02 nach vorherigem Ansprechen auf Olanzapin in einer manischen Episode

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Literatur

  • 01 Allison DB . et al . Am J Psychiatry. 1999;  156 1686-1696
  • 02 Beasley CM Jr . et al . J Clin Psychopharmacology. 2003;  23 582-594
  • 03 Czekalla J . et al . Schizophr Res. 2004;  67 (suppl 1) 214
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  • 08 Hundemer HP . et al . Posterpräsentation.  Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) Jahreskongress 2006.
  • 09 Kinon BJ . et al . J Clin Psychiatry. 2001;  62 92-100
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  • 14 Pendlebury J . et al . Eur Neuropsychopharmacol. 2005;  (suppl 3) S483 (abstract P.3.066)
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  • 17 Vreeland B . et al . Psychiatr Serv. 2003;  54 1155-1157

01 Bewegung, Ernährung, Lernen, Akzeptieren

02 nach vorherigem Ansprechen auf Olanzapin in einer manischen Episode

 
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