ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2006; 115(5): 177
DOI: 10.1055/s-2006-946550
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

„Gesunde Vitamine naschen”

Cornelia Gins
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Publication Date:
14 June 2006 (online)

An diesen Werbespruch können sich sicher viele von Ihnen erinnern. Gehörte doch das Bonbon „Nimm Zwei” zu den ersten Süßigkeiten, die - Zucker hin, Zucker her - durch den Zusatz von Vitaminen einen gesundheitlichen Mehrwert versprachen. Inzwischen ist es Gang und Gebe, Produkten mit zweifelhaftem Nährwert durch den Zusatz von Vitaminen, Mineralien, Ballaststoffen oder aktiven Bakterienkulturen den Anstrich von gesunder Ernährung zu geben. Surfend auf der Gesundheitswelle erfreuen sich diese Produkte durch geschickte Werbung beim Verbraucher steigender Beliebtheit. Was macht schon der Verzehr von Schokolade, Chips oder Joghurts aus, wenn doch so viele gesunde Dinge drin sind? Der zusätzliche Gehalt an Fett, Salz und Zucker tritt dabei völlig in den Hintergrund. 100 Gramm Fruchtgummi einer bekannten Marke, beworben von einem noch bekannteren Entertainer, enthalten beispielsweise neben Vitaminen, Kalzium und Magnesium über 70 Gramm Zucker.

In Deutschland hat die Verbraucherzentrale im Verein mit dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte inzwischen vehement gegen irreführende Gesundheitswerbung protestiert. Der Vorwurf: Viele Käufer vertrauen der Werbung, ohne zu realisieren, dass die Zusätze die negative Ernährungsbilanz der Produkte in keiner Weise aufheben. Ähnlich verhält es sich mit Bioprodukten: Schokolade oder Weingummis werden durch das Biozeichen weder zahn- noch figurfreundlicher.

Auch die EU in Brüssel hat sich inzwischen der Problematik angenommen. Die Diskussion um die Frage, was die Werbung dem Kunden versprechen darf, geht in die entscheidende Runde. Auslöser ist ein Gesetzentwurf des Verbraucherschutzkommissars. Unter dem Titel „Gesundheitsbezogene Werbung” soll europaweit geregelt werden, wann ein Nahrungsmittelproduzent behaupten darf, sein Produkt sei gesund. Einig sind sich EU-Kommission, Ministerrat und Parlament: Wer eine gesundheitliche Wirkung verspricht, muss sie auch wissenschaftlich absichern können. Seit Monaten erbittert gestritten wird aber über die suggestive Kraft der Werbung. Es geht um Botschaften, die zwar korrekt sind, aber dennoch einen falschen oder halbwahren Eindruck hinterlassen, da sie einem Produkt ein gesundes Image verschaffen, obwohl das gesamte Nährstoffprofil etwas ganz anderes aussagt. Die Mehrheit der EU-Regierungen, darunter auch die Bundesregierung, haben im Ministerrat den Entwurf unterstützt. Das sonst sehr verbraucherfreundliche EU-Parlament aber stimmte im vergangenen Jahr dagegen.

Dass der Gesetzentwurf tatsächlich eine Chance haben wird, ein Gesetz zu werden, wage ich zu bezweifeln. Zu stark wird die Lobby der Nahrungsmittelproduzenten sein. Aber ganz abgesehen davon: Möchte der Verbraucher sonst um jeden Preis geschützt werden, schlagen in diesem Fall sicher 2 Herzen in seiner Brust: Der süßen Verlockung nicht widerstehen müssen, sündigen und dabei gesundheitsbewusst sein - was für eine Chance! Damals im Paradies war es halt noch ein Apfel - so ändern sich die Zeiten.

Dr. med. dent. Cornelia Gins

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