ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2006; 115(4): 126
DOI: 10.1055/s-2006-941382
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Kinderzahnheilkunde: Mundgesundheit heute

Norbert Krämer
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Publication Date:
21 April 2006 (online)

Die Kinderzahnheilkunde in der Bundesrepublik wurde in den letzten Jahren aufgrund des deutlichen Kariesrückgangs verwöhnt. Dabei wird hervorgehoben, dass nicht alle Kinder in gleichem Maße von dem Kariesrückgang profitieren. So gab der Focus im August 2003 „Kariesalarm”. Doch trifft das wirklich den aktuellen Trend in der Kinderzahnheilkunde?

Seit 1989 wurden die Voraussetzungen für die zahnmedizinische Prophylaxe in Deutschland durch Änderungen der Sozialgesetzgebung schrittweise verbessert. In der Folge wurden die präventiven Aktivitäten in Kindergärten und Schulen systematisiert und verstärkt. Die Erfolge dieser Bemühungen sind durchaus feststellbar. In Bayern wurden beispielsweise die Erfolgskontrollen seit 1989 umgesetzt. Dabei zeigte sich ein kontinuierlicher Rückgang des Kariesbefalls bei den 6- bis 12-jährigen Schulkindern. Doch schon damals wurde berichtet, dass vom Erfolg nicht alle Kinder profitierten.

Bundesweit fand die letzte Studie zur Mundgesundheit von Schulkindern im Jahr 2004 statt. Dabei wurden 6/7-, 12- und 15-jährige Schulkinder sowohl in Grundschulen als auch in weiterführenden Schulen untersucht. Exemplarisch kann anhand der epidemiologischen Daten aus Bayern der aktuelle Stand der Kinderzahnheilkunde nachvollzogen werden. Etwa die Hälfte der 6- bis 7-Jährigen haben naturgesunde Milchzähne. Für Kinder, die bereits Karies erlebt haben, fiel ein ungünstiger Sanierungsgrad auf. Etwa die Hälfte der Milchzähne mit Karieshistorie (d.h. kariöse, wegen Karies extrahierte oder bereits gefüllte Zähne) blieben zum Untersuchungszeitpunkt unversorgt. Rein statistisch hat deshalb etwa jedes 3. Kind unbehandelt kariöse Läsionen.

Prinzipiell muss jedoch davon ausgegangen werden, dass das Problem „Milchzahnkaries” nicht erst in der Schule beginnt. So weisen Untersuchungen zur Häufigkeit der frühkindlichen Karies darauf hin, dass der Anteil der Kinder die bereits mit 3 Jahren an dem Problem leiden auf über 10 % geschätzt wird. Leider bleibt über 80 % der Milchzahnkaries in dieser Altersgruppe unbehandelt [Robke et al. 2002]. Trotz aller Erfolge in der Prävention muss daher gerade bei dem Problem „Milchzahnkaries” eine Versorgungslücke festgestellt werden. Einer der Gründe für die „Nichtbehandlung” der Kinder mag darin liegen, dass spezifische Kenntnisse und Erfahrung in der Kinderzahnheilkunde fehlen. Häufig funktioniert die Therapie nur mit speziellen Maßnahmen, wie Behandlung unter Sedierung bzw. Narkose.

Doch auch an einer anderen Stelle weist die Studie auf einen Missstand in der Betreuung unserer Kinder und Jugendlichen hin: Während 55 % der 12-Jährigen naturgesunde Gebisse aufwiesen, lag der Anteil bei den 15-Jährigen bei lediglich 42 %. Um das Augenmerk auf die Gruppe von Kindern und Jugendlichen mit dem höchsten Kariesbefall zu lenken, führte Bratthall im Jahr 2000 den so genannten Significant Caries Index (SiC) ein [Bratthall et al. 2000]. Der SiC fokussiert auf das Drittel einer Population mit den höchsten DMFT-Werten. In Bayern lag der Wert für die 12-Jährigen bei 3,3 und für die 15-Jährigen sogar bei 5,95 (der Grenzwert der WHO für 12-Jährige im Jahr 2015 liegt bei maximal 3). Der deutliche Unterschied weist darauf hin, dass auch diese Gruppe (häufig Real- oder Hauptschüler) eine effektivere vorbeugende zahnärztliche Betreuung benötigt. Die „Erkrankung Karies” korreliert also auch aktuell mit soziodemografischen Faktoren.

In den kommenden Jahren besteht eine Herausforderung darin, Prophylaxeleistungen dorthin zu bringen, wo sie besonders benötigt werden: Aufgrund der aktuellen Ergebnisse ist dieser besondere Betreuungsbedarf je nach Region gerade in der Altersgruppe der 12- bis 15-jährigen Haupt- und Realschüler vorhanden. Bei den Vorschul- und Schulkindern müssen die kariösen Milchzähne versorgt werden.

Prof. Dr. Norbert Krämer

Erlangen

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