Deutsche Heilpraktiker-Zeitschrift 2006; 1(1/02): 21-23
DOI: 10.1055/s-2006-939970
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Osteopathische Aspekte bei akutem Kopfschmerz

Markus Opalka
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
28. November 2006 (online)

Inhaltsübersicht #

Zusammenfassung

Lokale Schmerzsymptome sind nur singuläre Zeichen einer überforderten Selbstregulation. Eine osteopathische Behandlung sollte alle Bereiche des Organismus ansprechen, um die körpereigene Mobilität zur Selbstheilung zu nutzen. Nicht der Therapeut heilt, sondern immer noch der Körper sich selbst.

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Markus Opalka

Massenbergstr. 15-17

44787 Bochum

Markus Opalka ist Physiotherapeut, Heilpraktiker und Osteopath, HDIO. Er ist niedergelassen in eigener Naturheilpraxis in Bochum. Darüber hinaus ist er aktiv als Dozent in der Ausbildung von Heilpraktikern und Hebammen und leitet die Werner Peper Akademie® für Osteopathie und moderne Chiropraxis in Essen. Seit 2006 ist er Schriftleiter der DHZ.

eMail: markus-opalka@t-online.de

Lokale Schmerzsymptome sind nur singuläre Zeichen einer überforderten Selbstregulation. Eine osteopathische Behandlung sollte alle Bereiche des Organismus ansprechen, um die körpereigene Mobilität zur Selbstheilung zu nutzen. Nicht der Therapeut heilt, sondern immer noch der Körper sich selbst.

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„Was von selbst kam, geht auch wieder von selbst”

Wer hat diesen Spruch nicht schon gehört oder selbst gesagt? Wie bei vielen anderen Volksweisheiten auch, verbirgt sich dahinter ein tieferer Sinn: die Fähigkeit unseres Organismus zur Selbstregulation. Dieser ist ununterbrochen damit beschäftigt, das Gleichgewicht (Homöostase) zwischen inneren und äußeren Anforderungen zu halten und zu erhalten. Vor allem aber gleicht er ständig Störungen beispielsweise im Stoffwechsel, im Hormonhaushalt oder bei den Muskeln aus oder integriert sie in bestehende Regelkreise.

Selbstheilung funktioniert im Idealfall von selbst, schnell und unbemerkt. Nur manchmal braucht sie etwas mehr Zeit und ist mit Schmerzen verbunden, die aber auch wieder von alleine verschwinden.

Erst wenn zu viele körperliche oder geistige, möglicherweise auch miteinander konkurrierende, Anforderungen gleichzeitig auf den Organismus einwirken, kommt es zu einer Überlastung der Regulationsfähigkeit. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn sich der Mensch einseitig oder denaturiert ernährt, er seinen Körper zu wenig bewegt, gleichzeitig seine psychosoziale Belastung zunimmt und er dennoch körperlich-geistige Höchstleistungen erbringen soll.

Die Folge: Akute Beschwerden wie Kopfschmerzen können sich einstellen.

Jede dauerhafte oder akute Störung im Gewebe - hervorgerufen beispielsweise durch eine Verletzung (Trauma), Narbe oder Entzündung - hinterlässt eine neuronale Informationsspur, die sich bis zum Rückenmark verfolgen lässt (afferente Faszilitation). Anhaltende und überlastende Reize in einem Rückenmarksegment überfordern die Regulationsfähigkeit des Organismus, so dass schmerzhafte Beschwerden auftreten können.

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Osteopathische Behandlung von Kopfschmerzen

In meiner täglichen praktischen Arbeit stelle ich oft fest, dass Kopfschmerzen ihre Wurzeln in vielen Bereichen des Organismus haben können, die ich in [Tabelle 1] aufgelistet habe. Da jeder Teil mit dem Gesamtsystem vernetzt ist, findet zwischen allen Ebenen ein permanenter Austausch statt; folglich sind mehrere Bereiche zur gleichen Zeit am selben Schmerz beteiligt.

Die Kunstfertigkeit des Osteopathen besteht darin, diejenigen Bereiche zu identifizieren, die einen Bewegungs- und Mobilitätsverlust (Dekompensation) zeigen und anhand derer sich ein anatomischer Bezug zu den akuten Beschwerden herstellen lässt. Eine osteopathische Behandlung umfasst neben der genauen Anamnese die Palpation und die manuelle Untersuchung in den genannten Bereichen (siehe [Tab. 1]). Mithilfe dieser Techniken kann der Osteopath aufspüren, in welchem Bereich es echte Pathologien oder Regulationsstörungen gibt. Ziel einer osteopathischen Behandlung ist es, funktionelle Störungen durch Mobilisation zu beheben oder zu kompensieren. Leben ist Bewegung und Beweglichkeit.

Tabelle 1 Lokalisation möglicher Kopfschmerzursachen

1. Ebene: Organismus

Parietaler Bereich (Bewegungsapparat)

z. B. artikuläre, kapsoligamentäre (Übergang zwischen Kapsel und Bandstrukturen), muskuläre Strukturen

Viszeraler Bereich (innere Organe)

z. B. Peritoneum (Bauchfell), Mesos (Aufhänge- und Befestigungsbänder, „Gekröse”)

Kraniosakraler Bereich (Kopf, Schädelknochen)

z. B. Stirnbein, Schläfenbein, Hirnhäute

2. Ebene: Vaskulär (die Körpergefäße betreffend)

Arteriell

Venös

Lymphatisch

3. Ebene: Neurovegetatives System (Regelung der Vitalfunktionen)

Orthosympathisch

Parasympathisch

Zentralnervös

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Wie ein kranker Magen den Kopf schmerzen lässt

Anhand eines konkreten Beispiels möchte ich die Zusammenhänge zwischen einer organischen Störung und Kopfschmerzen näher erläutern (siehe hierzu [Tab. 2]): Eine chronische Erkrankung des Magens (z.B. Gastritis oder Ulkus) kann über den Nervus vagus (afferente Faszilitation) eine artikuläre und muskuläre Irritation in den oberen Kopfgelenken bzw. in der oberen Halswirbelsäule verursachen. Der erkrankte Magen kann zusätzlich durch den Verlust seiner Mobilität und/oder durch einen veränderten Tonus das über ihm liegende Bauchfell (Peritoneum) sensibel reizen. Diese Reizung des Peritoneums - innerviert über den Nervus phrenicus - wiederum kann zu artikulären und muskulären Regulationsstörungen im Bereich der mittleren Halswirbelsäule führen.

Ein Magengeschwür kann also auf neurovegetativem Wege die Regulation der oberen und mittleren Halswirbelsäule soweit irritieren, dass sowohl die vaskuläre Versorgung als auch die artikuläre Basis des Kopfes gestört werden. Eine Folge sind Kopfschmerzen. [Tabelle 2] zeigt, mit welchen Bereichen des Körpers die Halswirbelsäule über Nerven oder mechanisch verbunden ist.

Tabelle 2 Körperbereiche, mit denen die Halswirbelsäule verbunden ist

Verbindungen

Halswirbelsäule

Viszeraler Bereich (innere Organe)

Nervus vagus (parasympathisch)

Obere HWS C0-2

Kopf-/Halsorgane, Herz, Lunge, Thymus, Ösophagus, Magen, Milz, Pankreas, Duodenum, Leber, Gallenblase, Dünndarm, Caecum, Colon ascendens, Colon transversum, Nieren, Nebennieren, oberes Drittel des Ureter (Harnleiter)

Ganglion cervicale superius (sympathisch)

Region Occiput-Atlas-Axis

 

Nervus phrenicus (sensibel und motorisch)

Mittlere HWS C3-5

Kopf-/Halsorgane, Herz, Lunge, Thymus, Ösophagus, Magen, Milz, Pankreas, Duodenum, Leber, Gallenblase, Dünndarm, Caecum, Colon ascendens, Colon transversum, Peritoneum, Nebennieren, Nieren, oberes Drittel des Ureter (Harnleiter)

Ligamentum cervicopleurale (mechanisch)[*]

Untere HWS C6-7

Herz, Lunge, Ösophagus, Magen, Milz, Pankreas, Duodenum, Leber, Gallenblase, Nieren

Ganglion cervicale medium (sympathisch)

 

 

1 Über dieses Band ist die Lunge an der HWS befestigt

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Osteopathische Fachtermini

Gewebe, Faszien: kollagene Faserhülle einzelner Organe, Muskeln oder Muskelgruppen

Afferente Faszilitation: Erregungen, die Reize von peripheren Rezeptoren zum Zentralnervensystem leiten

Propriorezeptoren: Mechanorezeptoren zur Wahrnehmung und Kontrolle der aktuellen Lage des Körpers

Kompensation: Ausgleich einer verminderten Leistung durch andere Tätigkeit

Dekompensation: nicht mehr ausreichende Kompensation

Palpation: Untersuchung durch Betasten

Mobilisation: Bewegen, aktiv oder passiv

Homöostase: Konstanz (Aufrechterhaltung) des inneren Milieus des Körpers mit Hilfe von Regelsystemen

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Osteopathische Regulation

Wie bringt nun der Osteopath einen aus dem Lot geratenen Organismus wieder ins Gleichgewicht? Die Methode ist einfach: Er befreit den Körper des Patienten von unnötigen Bewegungseinschränkungen und Spannungen im Gewebe. Erst ein entspanntes Gewebe ermöglicht den freien Fluss des Lebens (Arterie, Vene, Lymphe, Nerv). Die manuelle Behandlung eines einzigen Körperteils wirkt sich bereits auf den Menschen in seiner Gesamtheit aus. Selbst die geringste Verbesserung der Bewegungsfähigkeit eines Organs oder Gelenks hat über das vegetative Nervensystem einen positiven Einfluss auf die Wirbelsäule und damit auch auf Statik, Haltung und Beweglichkeit des ganzen Körpers. Die Selbstheilungskräfte können wieder in vollem Umfang aktiv werden.

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Denn nicht der Therapeut heilt, sondern immer noch der Körper sich selbst!

Für einen Patienten mag es nicht gleich einsichtig sein, wenn eine osteopathische Behandlung seiner Kopfschmerzen an den Füßen beginnt. Doch dieser Ansatz ist vollkommen in Ordnung, da er die nervlichen Anspannungen oder Reizungen (neuronale Faszilitationen) von der Peripherie (Hände und Füße) bis hin zum Zentrum (Becken und Wirbelsäule) reduziert.

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Im Dialog mit dem Gewebe

Um Gewebe nachhaltig zu entspannen, darf kein neuer Reiz hinzukommen. Für eine Kopfschmerzbehandlung ist deshalb besonders auf folgende Punkte zu achten: Raum, Bank, Lagerung und Wärmehaushalt des Patienten (siehe Übersicht S. 23). Der Therapeut sollte zentriert stehen, seine Grifftechniken sollten weich und sicher sein, die Gewebetechniken rhythmisch, dreidimensional und gekonnt. Alle unnötigen Bewegungen, Schritte oder zusätzliches Umgreifen sind zu vermeiden. Somit ist alle Aufmerksamkeit auf die Spannung und Mobilität der Struktur gerichtet - der Dialog mit dem Gewebe entsteht. Nicht der Osteopath entscheidet letztendlich, was richtig oder falsch ist, sondern das „organisierte Gewebe” (Muskeln, Gelenke, Kapseln, Organe) zeigt ihm den Weg zur Entspannung.

So gelingt es schon mit einer Behandlung, körpereigene (propriozeptive) Reize aus den Muskeln, Sehnen und Gelenken des Patienten vom Ballast der Gewebeverspannungen zu befreien, sie neu zu ordnen und zu strukturieren. Der etwas andere osteopathische Aspekt an dieser Kopfschmerzbehandlung ist, dass sie gerade nicht am Kopf ansetzt, also an der akut faszilitierten Zone, wo sie diesen regulationsunfähigen Bereich nur weiter reizen würde, sondern weit davon entfernt.

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Kriterien für eine osteopathische (Kopfschmerz-)Behandlung

  • Ruhige und warme Räumlichkeit (Radio an? Telefon?)

  • Individuelle Lagerung des Patienten (Rücken-, Bauch-, Seitenlage, inklusive Lagerungsmaterial)

  • Gesicherter Wärmehaushalt (Decke, eventuell Kirschkernsäckchen, Wärmflasche)

  • Ruhige sichere Grifftechnik

  • Keine häufigen Lage- und Stellungswechsel

  • Weich fließende, aber gezielte Bewegungen

  • Wahl einer reiz- und schmerzfreien (manuellen) Technik

  • Vertrauen in den Patienten und seine Selbstheilungskräfte

Zu guter Letzt: Behalten Sie als Therapeut die Ganzheitlichkeit Ihres Tuns im Auge. Glauben Sie an die Intelligenz des Körpers und an seine Fähigkeit der Selbstregulation. Manchmal ist weniger mehr.

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Literatur

  • 1 Kuchera W, Kuchera M. Osteopathic Consideration in Systemic Dysfunction. Revised 2nd ed. Greyden Press, USA 1994
  • 2 Hinkelthein E, Zalpour C. Diagnose- und Therapiekonzepte in der Osteopathie. Heidelberg: Springer Verlag 2006
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Literatur

  • 1 Kuchera W, Kuchera M. Osteopathic Consideration in Systemic Dysfunction. Revised 2nd ed. Greyden Press, USA 1994
  • 2 Hinkelthein E, Zalpour C. Diagnose- und Therapiekonzepte in der Osteopathie. Heidelberg: Springer Verlag 2006
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