ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2006; 115(3): 68
DOI: 10.1055/s-2006-939540
Thema des Monats

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Medizinische Aspekte bei der Zahnerhaltung

Georg Meyer
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Publication Date:
22 March 2006 (online)

Vor einiger Zeit durfte ich an gleicher Stelle einige Gedanken zum Thema „Zahnmedizin ist Medizin” formulieren. Auch die moderne Zahnerhaltung muss sich mit all ihren Facetten den biologischen und allgemeinmedizinischen Aspekten ihrer Methoden und Werkstoffe stellen. Wer bisher der Meinung war, mit einer amalgamfreien Praxis (oder Klinik) diese Probleme gelöst zu haben, sollte sich durch aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen eines Besseren belehren lassen: Ebenso wie bei Metall- und Schwermetalllegierungen müssen auch die biologischen Eigenschaften der organischen Kunststoffchemie in ihren zahnmedizinischen Varianten hinterfragt werden. Spätestens mit Kenntnisnahme der Publikation „Die Biokompatibilität von Komposit-Kunststoffen” in der Deutschen Zahnärztlichen Zeitschrift 10/2005 von der Autorengruppe Schmalz (Deutschland), Geurtsen (USA) und Arenholt-Bindslev (Dänemark), die in den Zahnärztlichen Mitteilungen 3/2006 nachgedruckt wurde, sollten wir mehr als bisher Nutzen und Risiken unserer füllungstherapeutischen Verfahren gegeneinander abwägen.

Keinesfalls aber darf innerhalb oder gar außerhalb unseres Berufsstandes nach der Amalgampanik nun eine Kunststoffphobie einsetzen. Vielmehr gilt es, abwägend ärztlich zu reagieren, in Wahrscheinlichkeiten zu denken und eine umfassende, medizinisch ausgerichtete und präventionsorientierte (Risiko-)Diagnostik vorzunehmen, auf deren Basis dann verantwortbare Therapien erfolgen.

Im Zweifelsfall gilt der Grundsatz, bei seinen Patienten nur das zu machen, was man auch bei sich selbst tun würde. In einer wissenschaftlichen Studie wurden 757 Zahnärzte in den USA hinsichtlich ihrer eigenen Molarenversorgung befragt. 6034 ausgewertete Zähne hatten in 36 % der Fälle Amalgamfüllungen, 18 % Kronen, 13 % Goldinlays/-onlays und 7 % Kompositversorgungen. Länger als 20 Jahre hatten bisher gehalten: 57 % Amalgamfüllungen, 48 % Goldinlays/-onlays und 23 % der Kronen. Auch zukünftig würde eine signifikante Anzahl der Befragten in ihrem eigenen Molarenbereich nichtästhetische Restaurationen bevorzugen.

Ganz offensichtlich besteht hier wissenschaftlicher Handlungsbedarf: antibakterielle Eigenschaften (zahn-) medizinischer Materialien müssen hinterfragt und ggf. verbessert werden; Enzyme, die bei vitalen Zähnen den Dentinverbund auflösen können, müssen berücksichtigt werden; das allergisierende Potenzial von Kompositen muss minimiert werden - gerade auch im Sinne der Angehörigen unseres Berufsstandes, wo eine bedenkliche Zunahme von Allergien zu verzeichnen ist. International publizierte Studien, die eine geringere Fertilität bei Mäusen fanden, denen Bestandteile von Kompositfüllungen mit der Nahrung verabreicht wurden, sollten hinsichtlich ernsthafter ableitbarer klinischer Konsequenzen überprüft werden.

Eine wirklich seriöse (zahn-)medizinische Alternative im Bereich der Zahnerhaltung ist und bleibt die Prophylaxe. Auch hier besteht Forschungsbedarf, einschließlich der Evaluierung, Finanzierung und Durchsetzung ggf. staatlicher Prophylaxeprogramme, wie es in skandinavischen Ländern zum Teil beispielhaft geschieht - denn Karies und Parodontitis sind weitestgehend vermeidbare Volkserkrankungen.

Prof. Georg Meyer

Greifswald

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