PPH 2006; 12(5): 241
DOI: 10.1055/s-2006-927157
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Vom Nutzer - Kunden - Klienten - Patienten her denken?

P. Seidenstricker
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
16. Oktober 2006 (online)

In der Septemberausgabe der Psychiatrischen Praxis erscheinen unter der Rubrik „Debatte” ein Pro- und Kontra-Beitrag zur Separierung gerontopsychiatrischer Patienten. Bei den Pro-Argumenten wird u. a. die für psychisch kranke alte Menschen typische hohe Komorbidität mit somatischen Erkrankungen aufgeführt, die eine enge Verbindung zu somatischen Fächern erfordert. Ebenso wird auf die spezielle Kompetenz im Wissen um psychische Entwicklungen und Bedürfnisse im höheren Lebensalter hingewiesen. Der Kontra-Beitrag verweist auf ein günstiges Milieu auf psychiatrischen Stationen, wenn Patienten aller Diagnosegruppen dort gemeinsam untergebracht sind. Wobei der Autor betont, dass Patienten, die ein krankheitsspezifisches störendes Verhalten zeigen, zahlenmäßig kein Übergewicht bekommen dürfen.

In der Märzausgabe der Psychiatrischen Praxis nimmt der Landesverband Psychiatrie-Erfahrener e. V. NRW Stellung zur Frage der Anbindung von Psychiatrischen Kliniken an Allgemeinkrankenhäuser. Er bringt zum Ausdruck, dass diese Anbindung aus der Sicht seiner Mitglieder keineswegs wesentlich zu einer Entstigmatisierung beitragen würde und somit einen vernachlässigbaren Vorteil darstelle. Es wird im Gegenteil der Befürchtung Ausdruck verliehen, dass dadurch das Risiko einer rein somatisch-medizinischen Sicht- und Behandlungsweise steige.

Eine Kollegin, die als Pflegedienstleitung an einer größeren Psychiatrischen Klinik tätig ist, berichtet mir, dass in ihrer Abteilung immer öfter von psychisch erkrankten Frauen geäußert wird, dass sie während der akuten Phase ihrer Krankheit lieber auf einer geschlechtsspezifischen Station untergebracht wären.

In meiner Klinik scheiterten vor kurzem die gemeinsamen Außenaktivitäten von Männern und Frauen daran, dass sich einige Frauen weigerten, mit den Männern in die Stadt zu gehen. Die Begründung war, dass deren Äußeres zu sehr erkennen ließe, woher sie kämen. Dies sollte aus Sicht der Frauen verhindert werden.

Ganz unterschiedliche Themen und doch können alle zu der Frage führen, wie eigentlich psychisch Kranke versorgt werden möchten. Wie sollte aus ihrer Sicht eine Klinik organisiert sein, ein Behandlungskonzept aussehen, pflegerische Aktivitäten gestaltet werden? Sind es nicht oft nur die Vorstellungen der Professionellen, die dort ihren Niederschlag finden? Geleitet natürlich von lauteren Motiven, nämlich dem Bestreben nach Gleichbehandlung sowie der Vermeidung von Diskriminierung und Stigmatisierung. Es gibt noch zu wenig Forschung darüber, wie Patienten behandelt werden möchten und was ihnen aus ihrer Sicht tatsächlich hilft. Deshalb sollten wir möglichst oft überprüfen, ob das, was wir glauben, dass es dem Patienten gut tut, nicht nur unseren Idealen und Wünschen entspringt.

Wir sollten überlegen, ob unsere pflegerischen Angebote noch den heutigen Erkenntnissen entsprechen; ob unser Behandlungskonzept vielfältig genug ist, um möglichst allen Patienten gerecht zu werden; ob wir genügend stationsübergreifende und problemspezifische Therapien anbieten.

Ein letztes Beispiel: Oft höre ich von psychiatrisch Tätigen, wie schwierig man sich doch die Bedingungen auf einer Depressionsstation vorstelle („nur Depressive, das ist doch unerträglich für Patienten und Personal”). Eine gute Freundin, die an einer schweren Depression erkrankt war, wurde vor kurzem auf solch einer Station behandelt. Sie äußert, dass sie sich unter Menschen mit ähnlichen Beschwerden sehr gut aufgehoben und verstanden gefühlt habe. Man könnte sich hier natürlich fragen, ob nicht eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Erkrankungen und sozialen Situationen sinnvoll gewesen wäre. Die Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen und dem Willen von Betroffenen bleibt uns aber trotzdem nicht erspart.

Vom Patienten her denken - wir sollten es zumindest immer wieder versuchen.

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