Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2006; 41(7/08): E8-E18
DOI: 10.1055/s-2006-925295
Originalie
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Fieber in der Intensivmedizin

Fever in Intensive Care Patients”A good dose of information will do all of us more good than another teaspoon of acetaminophen (Paracetamol)” [1] U.  Brüderlein1 , P.  Strupp1 , D.  A.  Vagts1
  • 1Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Universität Rostock (Direktorin: Prof. Dr. G. F. E. Nöldge-Schomburg)
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Publication Date:
15 August 2006 (online)

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Einleitung

Ein im Klinikalltag mindestens zweimal, auf Intensivstationen sogar noch häufiger, erhobener Parameter ist die Körpertemperatur der Patienten. Trotz dieser wohl seit Jahrzehnte langen gängigen Praxis gibt es immer noch Unsicherheit, zum Teil auch Unwissenheit im Umgang mit febrilen Patienten. Allein für die Definition der Normothermie sind in der Literatur Grenzwerte zwischen 37,0 °C und 38,3 °C angegeben. Zusätzlich setzt neu auftretendes Fieber häufig neben einer Kette von diagnostischen Untersuchungen auch eine Therapiekaskade (Antipyretika, Antibiotika) in Gang, welche in der Summe sehr kostenintensiv sein können. Auch wenn die beiden folgenden zitierten Herren im 19. Jahrhundert lebten und praktizierten, so zeigt sich anhand ihrer Aussagen doch, welche unterschiedlichen Ansichten zum Fieber existieren:

„Humanity has but tree great enemies: Fever, famine and war. Of these, by far the greatest, by far the most terrible, is fever” (Sir William Osler) [2].

„Gebt mit ein Mittel, um Fieber hervorzurufen, und ich will alle Krankheiten heilen” (Professor Dr. Harleß) [3].

Es ist daher nicht nur von Bedeutung, die gerade beim Intensivpatienten zahlreichen möglichen Ursachen für eine Temperaturerhöhung zu kennen, sondern auch deren Auswirkung auf den Organismus. Aus dieser Kenntnis leitet sich dann die in der jeweiligen Situation erforderliche Diagnostik und Therapie oder deren Unterlassung ab.

Physiologie der Thermoregulation

Der Mensch ist in der Lage, auch bei wechselnder Umgebungstemperatur seine Körperkerntemperatur konstant zu halten und gehört somit zu den homoiothermen (gleichwarmen) Lebewesen. Durch ein Gleichgewicht zwischen Wärmeproduktion, -aufnahme und -abgabe beträgt die Körperkerntemperatur ca. 37 °C. Dies ist jedoch nur ein Näherungswert und zeigt große interindividuelle Unterschiede. Mackowiak u. Mitarb. führten bei 148 Probanden insgesamt 700 orale Temperaturmessungen durch. Die ermittelten Werte betrugen minimal 35,6° C und maximal 38,2° C. Sowohl der Mittelwert als auch der Medianwert betrug 36,8° C. Bemerkenswert ist, dass nur 8 % aller Messungen eine Körpertemperatur von 37,0 °C ergaben [4]. Ebenso gibt es geschlechtliche Unterschiede. In der oben genannten Untersuchung von Mackowiak hatten Frauen im Mittel mit 36,9 °C eine um 0,2 °C höhere Temperatur als ihre männlichen Probanden bei gleich bleibender Varianz (0,56 vs. 0,54).

Die Thermoregulation erfolgt nach dem Reglerprinzip. Ihre Aufgabe ist es, den Sollwert (Körperkerntemperatur) konstant zu halten. Dieser obliegt jedoch physiologischen Schwankungen in Form einer zirkardianen Rhythmik. Bereits Wunderlich beschreibt im Jahre 1868, dass bei denen von ihm durchgeführten 25 000 Temperaturmessungen eine Tagesabweichung von ca. 0,5 °C vorhanden ist, wobei die niedrigste Temperatur in den Morgenstunden vorliegt. Heute werden bei oral gemessener Temperatur als Grenzwerte zwischen Normothermie und Hyperthermie am Morgen 37,2 °C und am Nachmittag 37,7 °C angegeben [5]. Es erscheint jedoch sinnvoller, morgens 37,1 °C und nachmittags 37,4 °C als Grenzwerte zu definieren, denn diese entsprechen der 95er-Perzentile [6]. Neben diesen kurzfristigen Sollwertverstellungen gibt es jedoch auch längerfristige Veränderungen, wie sie progesteronbedingt beim Menstruationszyklus und während der Schwangerschaft [7] oder krankhafter Weise beim Fieber auftreten.

Das Zentrum der Thermoregulation befindet sich im Bereich des vorderen Hypothalamus. Dort befindliche Thermorezeptoren registrieren zum einem die Kerntemperatur und erhalten zusätzlich Signale von Kälte- und Wärmerezeptoren der Haut, die über den Tractus spinothalamicus lateralis nach zentral verschaltet werden [8].

Kommt es zum Überschreiten des Sollwertes, das heißt die Körperkerntemperatur steigt an, so werden verschiedene regulatorische Prozesse in Gang gesetzt. Durch eine sympathikusvermittelte Vasodilatation kommt es zu einer Steigerung der Hautdurchblutung, welche bis zu 12 % des Herzzeitvolumens betragen kann [9]. Dies hat einen Wärmetransport vom Körperkern zur Peripherie zur Folge. Die Wärmeabgabe erfolgt dabei durch drei Mechanismen: Radiation, Konvektion und Evaporation.

Bei der Radiation wird die Wärme an die Umgebung abgegeben, solange die Temperatur der sich in der Umgebung befindlichen Objekte niedriger ist als die Körpertemperatur. Dabei spielt die Temperatur der Luft eine geringe Rolle.

Für die Konvektion ist jedoch ein Temperaturgefälle erforderlich. Hier erfolgt die Wärmeabgabe an die Umgebungsluft. Wird diese in Bewegung versetzt, verstärkt sich dieser Effekt [10].

Durch diese beiden Mechanismen werden 65 % der Wärmeabgabe realisiert. Weitere 30 % erfolgen durch die Evaporation. Dabei gelangt das dafür erforderliche Wasser zum einem durch Diffusion (Perspiratio insensibelis) oder durch die sympathikusvermittelte Schweißdrüsensekretion auf die Hautoberfläche. Auch die Wärmeabgabe über den Respirationstrakt erfolgt über dieses Prinzip. Dabei werden pro Liter verdunsteter Flüssigkeit 580 kcal an Wärme entzogen [9]. Letztlich erfolgt ebenfalls, wenn auch nur gering, eine Wärmeabgabe über ausgeschiedene Körperflüssigkeiten.

Ein Unterschreiten des Sollwertes hat eine Zunahme der Wärmeproduktion zur Folge. Während in Ruhe der Anteil an der Wärmeproduktion für die intrathorakalen und intraabdominellen Organe 56 % und für die Muskulatur 18 % beträgt, kommt es unter körperlicher Aktivität zu einer Umverteilung des Anteils auf 8 % für die intrakorporalen Organe und 90 % für die Muskulatur [11]. Der durch das Muskelzittern bis zu 4fach erhöhte Grundumsatz hat eine vermehrte periphere Sauerstoffextraktion zur Folge, welche bei kardiopulmonal eingeschränkten Patienten erhebliche Probleme hervorrufen kann. Säuglinge hingegen sind in der Lage, im vorhandenen braunen Fettgewebe „zitterfrei” Wärme zu bilden.

Dabei scheint die hormonelle Achse zwischen Hypothalamus und Schilddrüse eine entscheidende Rolle zu spielen. Bereits in den 60er-Jahren war bekannt, dass Kälte erhöhte TRH-Konzentrationen im Hypothalamus verursacht [12] [13]. So konnte Riedel [14] zeigen, dass beim Kaninchen durch die Gabe von Propylthiouracil als bekanntem Deiodinationshemmer der Schilddrüsenhormone ein Anstieg der TSH- und fT4-Konzentrationen sowie ein Abfall der fT3-Konzentrationen zu verzeichnen war. Gleichzeitig kam es zu einer Erhöhung des renalen Blutflusses bei gleich bleibendem mittelarteriellem Druck und einer Zunahme der Körperkerntemperatur begleitet von einer Abnahme der Hauttemperatur. Im Gegensatz dazu war nach Gabe von fT3 dieser Zustand reversibel. Riedel schlussfolgert daraus, dass das ebenfalls im Hypothalamus gebildete TRH einen Einfluss auf die Temperaturregulation sowohl unter physiologischen als auch pathophysiologischen Zuständen hat.

Pathophysiologie der Thermoregulation

Hyperthermie und Fieber haben die gleiche Auswirkung, nämlich die Erhöhung der Körperkerntemperatur. Die primären Ursachen dafür sind jedoch unterschiedlich. Bei der Hyperthermie kommt es aufgrund einer übermäßigen Wärmeproduktion und/oder gestörten Wärmeabgabe zu einer Temperaturerhöhung. Der Sollwert wird dabei nicht verstellt.

Im Gegensatz dazu ist Fieber immer mit einer Erhöhung des Sollwertes verbunden. Um den niedrigeren Istwert auf das erforderliche Niveau anzuheben, wird die Wärmeabgabe durch Reduktion der Hautdurchblutung vermindert und aufgrund des damit verbundenen Kältegefühls die Wärmeproduktion durch „Muskelzittern” erhöht. Sinkt das Fieber, so wird durch die Steigerung der Hautdurchblutung und durch vermehrtes Schwitzen die Wärmeabgabe erhöht, um den noch erhöhten Istwert an den bereits niedrigeren Sollwert anzupassen (Abb. [1]).

Abb. 1 Temperaturregulation des Körpers bei Soll-Wert-Erstellung im Hypothalamus.

Im Rahmen dieser Vorgänge kommt es während des Fiebers zu einer verstärkten kardiopulmonalen und metabolischen Belastung des Organismus. Dies zeigt sich in einer Erhöhung der Herzfrequenz, die in der Literatur mit 8 - 12 Schlägen × min-1 × °C-1 [15] [16] angegeben wird, einer Steigerung des Herzzeitvolumens [17] und des Sauerstoffverbrauches sowie der Serumkatecholaminkonzentrationen [18]. Neben einer erhöhten Stoffwechselaktivität kommt es in Folge des starken Schwitzens zu extremen Flüssigkeits- (300 - 500 ml × m-2 × 24 h-1 × °C-1) [19] und Elektrolytverlusten.

Literatur

PD Dr. med. habil. D. A. Vagts, DEAA, EDIC

MSc. Krankenhausmanagement

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