Notfall & Hausarztmedizin (Hausarztmedizin) 2005; 31(11): 515
DOI: 10.1055/s-2005-923692
Blickpunkt

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Minderung des kardiovaskulären Risikos - Körperliche Bewegung und Sartane gegen Hypertonie

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Publication Date:
02 January 2006 (online)

 
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Bei der Hypertonie-Therapie gibt es fast immer zwei Behandlungsansätze: Einerseits beim Lebensstil und andererseits bei der medikamentösen Therapie. In beiden Bereichen fehlt es in Deutschland aber an der nötigen Konsequenz, bedauerte Prof. Hans-Georg Predel von der Deutschen Sporthochschule Köln. Dabei ist mangelnde Bewegung nur ein Aspekt der Problematik, wie Prof. Walter Tokarski, Rektor der Deutschen Sporthochschule betonte. Weitere Risikofaktoren sind in der modernen Gesellschaft zur Normalität geworden: Alkohol, Nikotin, eine überkalorische und ungesunde Ernährung sowie Stress - auch in der Freizeit. Aber auch übertriebener Sport und die Kombination aus Sport und übermäßigem Alkoholkonsum tragen zu einem ungesunden Lebensstil bei. Den Ärzten kommt hier eine zentrale Bedeutung zu: Sie müssen den Betroffenen verdeutlichen, dass die Gesunderhaltung eine Entwicklungsaufgabe ist, die jeder zu leisten hat. Damit übernehmen Ärzte in gewisser Weise die Rolle eines Lebensberaters. Auch viele Kinder haben bereits ein deutliches Bewegungsdefizit: Nach Zahlen der WHO sind europaweit 15-20% der Kinder adipös, weitere 20% gelten als gefährdet. Daher entstand an der Sporthochschule Köln das CHILT (Childrens Health Intervention Trial)-Projekt, in dem Kinder zuhause und in der Schule mehrfach besucht werden und Angebote zu einer gesunden Ernährung und mehr Bewegung bekommen. Auf lange Sicht zeigen sich damit aber messbare Veränderungen, wenngleich der Prozess lange dauert.

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Zusatzindikationen bestimmen den Therapieansatz

Schlechter statt besser wurde die Behandlungsqualität der Hypertonie in den letzten Jahren, klagt Predel. Noch immer werden viele Hypertoniker nicht erkannt und damit auch nicht behandelt. Bei diagnostizierter Hypertonie werden die Leitlinien der Deutschen Hochdruckliga oft nicht befolgt. So werden lediglich 14% der hochdruckkranken Frauen und 8% der Männer leitliniengemäß behandelt. Auch die Möglichkeiten der fünf Substanzgruppen, die zur medikamentösen Therapie zur Verfügung stehen, werden nicht optimal ausgeschöpft. Ob Diuretika, Betablocker, Kalziumantagonisten, ACE-Hemmer oder AT1-Antagonisten, entscheidet sich individuell und in erster Linie anhand von Zusatzindikationen.

Was es konkret bedeutet, entsprechend der Zusatzindikationen zu behandeln, zeigt das Beispiel des adipösen Hypertonikers. Nach neuen Empfehlungen ist das kardiovaskuläre Risiko nicht mehr am Body Mass Index (BMI) abzulesen, sondern direkt anhand des Bauchumfanges. Dieser sollte bei Frauen nicht mehr als 88 cm, bei Männern nicht mehr als 102 cm betragen. Hier gilt besonders das viszerale Fettgewebe als kardiovaskulärer Risikofaktor. Da es endokrin aktiv ist, aktiviert es unter anderem das Renin-Angiotensin-System (RAS) und treibt den Sympathikus an. Darüber hinaus können mikroinflammatorische Prozesse des Gefäßsystems in Gang gesetzt werden. Adipöse Hypertoniker sollten daher ein Antihyertensivum bekommen, das stoffwechselneutral den Blutdruck senkt und gleichzeitig das RAS hemmt. Als primäre Medikation kommt hier ein ACE-Hemmer oder ein AT1-Antagonist in Frage, als Kombinationspartner empfiehlt sich ein niedrig dosiertes Diuretikum.

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Löst die "poly pill" bisher verfügbare Antihypertensiva ab?

Mehrere Wirkstoffe gegen unterschiedliche Risikofaktoren in einer Tablette zu kombinieren, schlugen erstmals Wald und Law als "poly pill"-Konzept im British Medical Journal vor. Diese Tablette sollte einen Betablocker, einen ACE-Hemmer, ein Thiazid, ein Statin, ASS und Folsäure enthalten. Damit, so die beiden Autoren, ließe sich rechnerisch eine hohe kardiovaskuläre Mortalität um mehr als 80% senken. Da rund 50% der Menschen in den Industrieländern kardiovaskuläre Risikofaktoren oder sogar manifeste Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufweisen, und sich die Risikofaktoren nicht addieren, sondern in ihrer Wirkung potenzieren, ist die "poly pill" theoretisch nicht abwegig, dennoch ist das Konzept unrealistisch.

Allerdings scheint es auch mit den verfügbaren Antihypertensiva möglich zu sein, neben dem Blutdruck gleichzeitig andere kardiovaskuläre Risikofaktoren günstig zu beeinflussen, bemerkte Prof. Thomas Unger von der Charité Berlin. So geben verschiedene Studien Hinweise auf eine pleiotrope Wirkung des AT1-Antagonisten Temisartan[1]. Sowohl in Tierexperimenten als auch beim Menschen wurde festgestellt, dass Telmisartan die Insulinsensitivität steigert und damit die Insulinresistenz verbessert. Offensichtlich wird dies durch die Aktivierung der PPAR-γ-Rezeptoren (Peroxisome proliferator Activated Receptor) vermittelt. Dabei scheint es sich um eine substanzspezifische Eigenschaft und nicht um einen Klasseneffekt zu handeln. Neueren Studien zufolge hat das Sartan außerdem günstige Eigenschaften auf den Lipidstoffwechsel. Es senkt das Gesamtcholesterin, das LDL und die Triglyceride und steigert das HDL. Telmisartan senkt über 24 Stunden den systolischen und diastolischen Blutdruck sowie die Blutdruckamplitude, einen unabhängigen Risikofaktor. Insgesamt führt dies zu einer nachhaltigen Minderung des kardiovaskulären Risikos beim Hypertoniker.

Quelle: Bericht zum Pressegespräch "Der kardiovaskuläre Risikopatient - brauchen wir neue präventive Strategien?" Juli 2005 in Köln. Veranstalter: Bayer Vital GmbH, Leverkusen.

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