Diagnostik und Therapie akuter und chronischer Schmerzen sind als Aufgabengebiet von
Anästhesisten inzwischen etabliert. Ausgangspunkt für die internationale Entwicklung
der Schmerztherapie war die Tätigkeit des Anästhesisten John Bonica [3 ]. Die Schmerztherapie bestand entsprechend der Ausbildung der Anästhesisten zunächst
hauptsächlich aus Blockadetechniken mit Lokalanästhetika oder neurolytischen Substanzen
wie Alkohol oder Phenol.
In Deutschland wurde die Schmerztherapie mit der Gründung der Schmerzklinik Mainz
im Jahr 1971 durch Gerbershagen institutionalisiert [4 ]. 1975 wurde die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS) gegründet,
1989 der Arbeitskreis Schmerztherapie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie
und Intensivmedizin (DGAI) ins Leben gerufen. Ebenfalls im Jahr 1989 richtete die
Universität Göttingen erstmals eine Professur „Algesiologie” am Zentrum Anästhesiologie,
Rettungs- und Intensivmedizin ein.
Entwicklung der Schmerztherapie
Entwicklung der Schmerztherapie
Schmerztherapie in den Neunzigern: Bittere Realität
In Deutschland gab es Anfang der 90er Jahre drei Untersuchungen über Problem und Stand
der Versorgung von Schmerzpatienten durch Anästhesisten an Universitätskliniken von
Tolksdorf, Hildebrandt und Zenz [7 ]. Die Umfrage brachte ernüchternde Ergebnisse zu Tage [11 ]: Die Ambulanzen versorgten wenige Patienten, die räumlichen und personellen Verhältnisse
waren durchweg ungenügend - so waren in nur zehn der 31 Universitätskliniken, die
Schmerztherapie durchführten, Psychologen integriert -, die Aus- und Weiterbildung
war unzureichend, und es wurde kaum Forschung durchgeführt. Außerdem fehlte eine interdisziplinäre
Zusammenarbeit weit gehend.
Augenblicklich wird unter dem Dach der Deutschen Gesellschaft für interdisziplinäre
klinische Medizin (DGIKM) und der DGSS an deutschen Krankenhäusern die Studie „Schmerzfreies
Krankenhaus” durchgeführt, in der Häufigkeit, Ausmaß und Ursachen von Schmerzen untersucht
und Strategien zur Verbesserung der Situation erprobt werden.
Einführung der „Speziellen Schmerztherapie”
Nur wenige Konsequenzen folgten aus der Vereinbarung mit dem Berufsverband der Orthopäden
zur interdisziplinären Zusammenarbeit im Jahr 1991. Eine Vereinbarung mit dem Berufsverband
der Chirurgen zur Organisation der postoperativen Schmerztherapie wurde erstmals im
Jahr 1993 getroffen [2 ] und 1997 präzisiert.
Im Jahr 1992 wurde das erste deutsche Repetitorium Schmerztherapie unter der Leitung
von Zenz in Bochum institutionalisiert und die Schmerztherapie in den Weiterbildungskatalog
für den Arzt für Anästhesie verankert. Mit zehn Fragen war die Schmerztherapie von
1993 im Prüfungskatalog zum zweiten Staatsexamen vertreten, wurde allerdings mit der
neuen Ausbildungsordnung für Ärzte 2004 wieder gestrichen. 1995 wurde unter wesentlicher
Beteiligung der DGAI die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Schmerztherapie
(DIVS) gegründet. In Zusammenarbeit mit der DGSS und der Deutschen Gesellschaft für
Schmerztherapie (STK) wurden entscheidende Vorarbeiten geleistet, um 1996 auf dem
Deutschen Ärztetag die Zusatzbezeichnung „Spezielle Schmerztherapie” einzuführen.
Die Bundesärztekammer gab 1997 ein Kursbuch „Spezielle Schmerztherapie” heraus, das
von der DIVS erarbeitet worden war.
Vor allem Anästhesisten in Schmerztherapie tätig
Eine aktuelle systematische Umfrage über die Durchführung von Schmerztherapien an
allen Kliniken Deutschlands [9 ] ergab, dass sowohl die ambulante als auch die teilstationäre und stationäre Schmerztherapie
vor allem von Anästhesisten durchgeführt wird [Abb. 1 ]. Trotzdem ist die Unterstützung der Schmerztherapie durch den Bund Deutscher Anästhesisten
(BDA) und die DGAI rundweg ungenügend.
Bei der Schmerztherapie muss zwischen der Behandlung von akuten oder subakuten und
chronischen Schmerzen unterschieden werden. Ein Schmerz wird dann als chronisch definiert,
wenn er trotz Behandlung länger als zwölf Wochen besteht. Die Therapie akuter Schmerzen
wird in der Regel von den zuständigen medizinischen Fachgebieten durchgeführt. Eine
Ausnahme bilden posttraumatische Schmerzen wie CRPS I („complex regional pain syndrome”),
vormals M. Sudeck, und Neuralgien (z.B. Herpes Zoster), falls Nervenblockaden einen
wesentlichen Therapiebeitrag leisten können.
Postoperative Schmerztherapie
Postoperative Schmerztherapie
Die postoperative Akutschmerz-Therapie ist ein gutes und wichtiges Beispiel interdisziplinärer
Kooperation zwischen Anästhesisten und Chirurgen. Patienten haben nach operativen
Eingriffen einen Anspruch auf eine Schmerztherapie. Die Basisanalgesie, die für die
meisten Patienten nach kleinen oder mittleren Eingriffen ausreicht, gewährleistet
der behandelnde Chirurg. Nach stark schmerzhaften, größeren Eingriffen reicht deren
Wirkung jedoch nicht aus [8 ].
Patientenkontrollierte intravenöse Analgesie
Die Verfahren der speziellen Analgesie, wie die patientenkontrollierte intravenöse
Analgesie (PCA) oder regionale Katheterverfahren, sind wesentlich wirksamer. Die PCA
mit einem durch den Patienten selbst verabreichten, fraktionierten und gering dosierten
starken Opioid kommt der individuell unterschiedlichen Schmerzempfindung und dem individuellen
Analgetikabedarf entgegen. Die Schmerzlinderung ist hierbei stärker als bei der Basisanalgesie,
problematisch sind jedoch dosisabhängige, opioidspezifische Nebenwirkungen wie Übelkeit,
Erbrechen, Sedierung und Hemmung der Magen-Darm-Tätigkeit.
Regionale Analgesieverfahren
Diese Nebenwirkungen treten bei regionalen Analgesieverfahren nicht auf. Während der
epiduralen Analgesie (EDA) oder der peripheren Nervenkatheteranalgesie werden Lokalanästhetika
- entweder in Kombination mit Opioiden oder allein - vorzugsweise kontinuierlich,
aber zunehmend auch patientengesteuert appliziert. Eine Vielzahl überwiegend randomisierter,
kontrollierter Studien und mehrere Metaanalysen belegen die Vorteile der regionalen
Analgesie im Vergleich zur systemischen Opioidanalgesie [Tab. 1 ].
Die vielschichtigen Vorteile einer regionalen Schmerztherapie gegenüber der systemischen
Opioidanalgesie sind insbesondere nach viszeralen bzw. thorakalen Eingriffen mit einer
mindestens 48-stündigen Epiduralanalgesie (EDA) bei Verwendung niedrig konzentrierter
Lokalanästhetika mit oder ohne zusätzlichem Opioid nachgewiesen. Das gilt ebenso für
die Katheteranalgesie peripherer Nerven mit einem Lokalanästhetikum nach Eingriffen
am Kniegelenk und an der Schulter.
„Fast-Track”-Konzept
Dieser weit reichende Nutzen lässt sich nur dann erzielen, wenn die regionale Schmerztherapie
in ein multimodales interdisziplinäres Konzept zur perioperativen Therapie eingebunden
ist. Dieses auch als „Fast-Track” bezeichnete Verfahren wurde ursprünglich für kolorektale
Eingriffe aufgestellt und dann auf andere große viszerale Eingriffe übertragen. Auch
nach anderen Eingriffsarten wie der Totalendoprothese des Kniegelenks führte die Integration
der regionalen Analgesie in kostenreduzierende Konzepte aufgrund früher Mobilisation
der Patienten zur Reduktion des Krankenhausaufenthalts. In den USA konnte mit dieser
Vorgehensweise eine Entlassung nach etwa vier bis fünf Tagen erreicht werden.
Die Organisation verschiedener wirksamer Formen der Schmerztherapie verlangt neue
Wege der Zusammenarbeit zwischen chirurgischen Fachrichtungen und der Anästhesie,
Pflegekräften und Physiotherapie. Die Arbeitskreise „Akutschmerz” in der DGSS sowie
die chirurgische Arbeitsgemeinschaft „Akutschmerz” der Deutschen Gesellschaft für
Chirurgie widmen sich verstärkt diesem Thema. Trotzdem fehlen in vielen Krankenhäusern
momentan noch die Voraussetzungen für deren Umsetzung. Nicht nur in der Vergangenheit
war die postoperative Schmerztherapie auch international unbefriedigend [15 ] - bis heute hat sich daran nichts geändert [1 ]. In beiden Untersuchungen wurden folgende Zahlen (15/1) genannt: 82/77 % der Patienten
hatten Schmerzen, davon waren 13/19 % leichte, 47/49 % mittelgradige, 21/23 % schwere
und 18/8 % extreme Schmerzen - trotz Therapie.
Eine postoperative Schmerztherapie ist jedoch nicht umsonst zu haben. Je nach Ausstattung
des Akutschmerzdienstes kann mit direkten und indirekten Kosten von etwa 75-240 Euro
pro Patient bezogen auf eine mittlere Therapiedauer von drei bis fünf Tagen gerechnet
werden. Andererseits sind mit postoperativen, kardialen, pulmonalen und anderen Komplikationen
hohe Kosten verbunden, sodass ein Akutschmerzdienst vermutlich im Endeffekt kostengünstiger
ist. Voraussetzung für den Einsatz von Fast-Track-Programmen sind jedoch erhebliche
Änderungen der bisherigen perioperativen Abläufe, die nur mit personellem und aparativem
Aufwand umgesetzt werden können.
Klientel von Schmerzambulanzen
Klientel von Schmerzambulanzen
Die Mehrzahl der chronischen Schmerzsyndrome fällt in die medizinischen Fachgebiete
Orthopädie, Neurologie, Rheumatologie, Onkologie und Psychosomatik. Bei den Schmerzsyndromen
handelt es sich nach der multiaxialen Schmerzklassifikation (MASK) (6) im Einzelnen
um folgende Bereiche:
Kopfschmerz (dies sind im Wesentlichen primäre chronische Kopfschmerzsyndrome wie
Migräne und Spannungskopfschmerz sowie Mischformen, medikamentös bedingter Kopfschmerz
und Kopfschmerz aufgrund einer Störung der Halswirbelsäule)
Gesichtsschmerz durch Erkrankungen des Schädels/Gesichts, einschließlich der Kauorgane
(Myoarthropathie), neurogene Schmerzen wie Trigeminusneuralgie sowie atypischer Gesichtsschmerz
Schmerz bei Durchblutungsstörungen (zumeist chronisch-periphere arterielle Verschlusskrankheit
(AVK) oder Angina pectoris)
Schmerz bei Läsion oder Erkrankung des Nervensystems, wie Postamputationsschmerz,
postoperative bzw. posttraumatische Neuralgie, CRPS („complex regional pain syndrome”)
Typ I (sympathische Reflexdystrophie/M. Sudeck) und Typ II (Kausalgie), Engpass-Syndrom,
periphere Neuropathien wie Polyneuropathie oder postherpetische Neuralgie, Schmerz
bei spinaler Störung wie Syringomyelie oder bei intrazerebraler Erkrankung wie nach
Apoplex mit Halbseitenschmerz
Schmerz im Bereich der Wirbelsäule (zumeist Rückenschmerz), dem eine mechanisch degenerative
und funktionelle oder - viel seltener - radikuläre Ursache zugrunde liegt, sowie so
genannte Postnukleotomiesyndrome als Folge von Bandscheibenoperationen mit funktionellen,
degenerativen und nervalen Störungen
muskulo-skelettärer Schmerz der Extremitäten (muskuläre Schmerzsyndrome, Tendopathien,
Gelenkschmerzen durch Arthritiden und Arthrosen sowie Knochenschmerzen infolge Ostitis,
Osteomyelitis oder Osteoporose) und komplexere Syndrome wie die Fibromyalgie
viszeraler Schmerz im Bereich von Herz, Pleura, Abdomen, bei Stoffwechselerkrankungen,
gynäkologischen und urologischen Erkrankungen.
Chronischen Tumorschmerzen kommt eine Sonderstellung zu, da sie eine starke somatische
Komponente haben können, mit unterschiedlichen Pathomechanismen einhergehen (neurogen,
Weichteilinfiltration, muskulär, Knochenschmerzen und drohende Instabilität durch
Metastasen) und häufig mit psychosozialen Problemen als Folge dieser lebensbedrohlichen
Erkrankung verbunden sind. Die Prävalenz von Schmerzen bei Tumorerkrankungen ist hoch.
Während eines Zeitraums von sechs Monaten wurde 1995 multizentrisch in sechs anästhesiologischen
Schmerzambulanzen untersucht, welchen Anteil die wichtigsten Schmerzursachen in den
Ambulanzen hatten [Abb. 2 ] [14 ]. Dabei wurden bei der Darstellung der einzelnen Ambulanzen die Gruppen Kopf/Gesichtsschmerz
unter „Kopf” und Wirbelsäule/Bewegungssystem unter „Bewegung” subsumiert [Abb. 3 ]. 12 % der Patienten hatten bei dieser Untersuchung akute Schmerzen, 5 % periodisch
auftretende und 83 % chronische Beschwerden.
Eine ähnliche Situation fand sich in einer Untersuchung von 14963 Patienten der Jahre
1990-2005 in der Schmerzambulanz Göttingen - hier dominierten neuropathische und wirbelsäulenbedingte
Schmerzen [Abb. 4 ]. In unserer Ambulanz waren ähnlich wie in den sechs Ambulanzen etwas mehr als die
Hälfte der Patienten weiblich (n = 7751) und etwas weniger als 50 % männlich (n =
7069). In der überwiegenden Zahl wurden die Therapien in allen Institutionen ambulant
durchgeführt.
Behandlungsspektrum chronischer Schmerzen
Behandlungsspektrum chronischer Schmerzen
Medikamentöse Abhängigkeit
Die häufigste Behandlungsart für chronische Schmerzen ist die medikamentöse Therapie.
Hier kommt es insbesondere bei der Therapie von Kopfschmerzen nicht selten zum Abusus.
Zum Teil liegen bei Schmerzpatienten iatrogen induzierte Abhängigkeiten von Tranquilizern
und Opioiden vor, insbesondere, wenn Letztere bei Bedarf und ohne Retardierung verordnet
werden. In letzter Zeit steigt die Anzahl von Patienten, die Schmerzambulanzen aufsuchen
und mit starken Opioiden vorbehandelt sind, sprunghaft an. Insbesondere Opioidpflaster
werden außerhalb von Schmerzambulanzen unkontrolliert verordnet, sind aber bei Patienten
mit Nicht-Tumorschmerz nur selten indiziert [10 ]
[13 ]. In diesen Fällen müssen die Medikamente entzogen werden.
Bei Patienten mit chronischen Schmerzen ist in einigen Bereichen eine Restitutio im
eigentlichen Sinne kaum möglich. Hierzu gehören insbesondere schwere neurogene Schmerzen.
Diese Schmerzsyndrome sind eine Domäne der medikamentösen Schmerzbehandlung, von Nervenblockaden
und neurostimulatorischen Verfahren, wie sie anästhesiologisch geführte Schmerzambulanzen
oder neurochirurgische Kliniken anbieten.
Kopf- und Gesichtsschmerzen
Patienten mit Kopf/Gesichtsschmerzen benötigen selten aufwändige stationäre Maßnahmen,
sondern sind meist durch ambulante, vorwiegend medikamentöse und psychotherapeutische
Verfahren gut zu beeinflussen. Eine Ausnahme bilden Patienten mit Medikamentenabhängigkeit
und daraus resultierenden Folgen oder erheblichen psychosomatischen Störungen. Insbesondere
Schmerzen infolge eines Tranquilizerabusus müssen auf stationärer Basis behandelt
werden.
Schmerzen bei Durchblutungsstörungen
Schmerzen bei ischämischen Krankheiten lassen sich teilweise medikamentös (Vasodilatanzien
bei Angina pectoris), operativ, oder - wie bei der Claudicatio intermittens (AVK)
- mittels Sekundärprävention (Beeinflussung der Risikofaktoren, Gehtraining, lumeneröffnende
Maßnahmen) beeinflussen. Auch hier steht die medizinische Behandlung im Vordergrund.
Der Anästhesist kann in diesem Fall mit Sympathikusblockaden und -lysen seinen Beitrag
leisten.
Tumorschmerzen
Tumorschmerzen können zu über 90 % medikamentös behandelt werden. Invasive und insbesondere
neurodestruktive Maßnahmen sind heute nur noch sehr selten indiziert. Die Versorgung
ist jedoch immer noch unzureichend, was an den immer noch bestehenden Vorurteilen
gegenüber einer Behandlung mit starken Opioiden liegt. In jüngster Zeit werden auch
in Deutschland zunehmend Palliativstationen eingerichtet, deren Schwerpunkt auf medikamentöser
Schmerztherapie, Ernährung und psychosozialer Betreuung liegt. Auch hier sind Anästhesisten
federführend tätig, aber auch andere medizinische Fachgebiete bekunden immer häufiger
ihr Interesse, sodass sich die Verhältnisse zu ungunsten der Anästhesie zu verschieben
beginnen [12 ].
Schmerzen im Bewegungsapparat
Bei spezifischen Rückenschmerzen somatischer Genese, wie dies beispielsweise bei Wurzelreiz-
oder Kompressionssyndromen ohne OP-Indikation, spinalen Stenosen oder Arthropatien
des Iliosakralgelenks der Fall ist, können Blockadeverfahren mittels periduraler Kortikosteroide
und lokaler Injektionen den Heilungsprozess beschleunigen oder erst ermöglichen. Meist
benötigt man für diese Blockaden jedoch bildgebende Kontrollen (z.B. Röntgendurchleuchtung).
Schmerzen im Bereich des Bewegungsapparates infolge von Arthrosen oder Arthritiden,
werden ebenfalls zunächst in erster Linie durch medizinische Maßnahmen behandelt:
Dies können nichtsteroidale entzündungshemmende Medikamente, intraartikuläre Blockaden
mit Kortikosteroiden, physiotherapeutische Maßnahmen und eventuell auch operative
Eingriffe sein.
Bei Patienten mit chronischen Rücken- und/oder Schulter-Nackenschmerzen sowie multilokulären
Schmerzbildern (z.B. Fibromyalgien) und Panalgesien reichen die üblichen schmerztherapeutischen
Maßnahmen normalerweise nicht aus. In Schmerzkliniken und -ambulanzen werden aber
häufig passive schmerztherapeutische Methoden, wie transkutane Nervenstimulation (TNS),
Nervenblockaden, Akupunktur, Hypnose, autogenes Training oder medikamentöse Therapie
angewendet, die dem Problem „komplexer chronischer Schmerz” jedoch meist nicht ausreichend
gerecht werden und weder gestörte Körperfunktionen wiederherstellen noch die Arbeitsfähigkeit
ermöglichen.
Primär anästhesiologische Verfahren
Trotzdem spielen bei der Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen primär
anästhesiologische Verfahren wie Nervenblockaden, Neurolysen und die Radiofrequenztherapie
immer noch eine relativ große Rolle. In der Göttinger Ambulanz wurden in den Jahren
von 1990-2005 (n = 14963) bei 35 % aller Patienten Nervenblockaden eingesetzt. Von
den 19853 Blockaden wurden 10627 unter Bildwandlerkontrolle durchgeführt. In 8369
Fällen waren den Lokalanästhetika Kortikosteroide beigefügt. Eine Neurolyse mit Phenol
oder Alkohol erfolgte in 669 Fällen (3,2 %), eine Radiofrequenzbehandlung in 567 Fällen
(2 %) - genaue Informationen sind in der Tabelle 2 zusammengefasst. Die Häufigkeit
von Nervenblockaden ist aber in den verschiedenen anästhesiologischen Schmerzinstitutionen
sehr unterschiedlich (von 17-70 %, [Tab. 3 ]).
Probleme der Patientenversorgung
Probleme der Patientenversorgung
Zunahme chronischer Schmerzbilder
Eines der Hauptprobleme an den anästhesiologisch geleiteten Ambulanzen ist die Zunahme
komplexerer und schwer chronifizierter Schmerzbilder - einschließlich der Patienten
mit Kopf- und Gesichtsschmerzen sowie chronischen Rückenschmerzen - in den letzten
Jahren. Bei diesen Patienten besteht überdies das Problem, dass die Diagnosen auswärtiger
Fachärzte oft nicht korrekt oder unvollständig sind und häufig Veränderungen in bildgebenden
Verfahren und eine Beschreibung der Schmerztopografie als Diagnoseersatz dienen. Strukturelle
Diagnosen, die pathomorphologische Veränderungen mit den Schmerzen in Verbindung setzen
oder eine Definition von Funktionseinbußen - also handlungsanweisende Diagnosen -
fehlen meist.
Die Ärzte sind häufig nicht bereit, Patienten mit akuten oder subakuten Schmerzen
und Chronifizierungszeichen rechtzeitig an Spezialinstitutionen zu überweisen oder
selbst psychotherapeutische und soziale Maßnahmen einzuleiten. In Schmerzambulanzen
müssen daher Patienten mit bereits weit chronifizierten Schmerzsyndromen behandelt
werden, deren Betreuung außerordentlich aufwändig und deren Prognose ungünstig ist.
Der notwendige aber nicht honorierte Zeitaufwand sowie die fehlende Infrastruktur
für komplexere Maßnahmen in den meisten Schmerzambulanzen hat häufig nutzlose und
kostenintensive Ersatzstrategien in Form unnötiger Wiedervorstellungstermine, unpassender
Medikamentenverschreibung und unkritischer Wiederholungen technischer Leistungen sowie
Injektionsbehandlungsserien oder Kathetertechniken zur Folge.
Psychogene Ursachen
Häufig müssen Patienten behandelt werden, bei denen psychosomatische Symptome einen
wesentlichen Anteil am Schmerzgeschehen ausmachen. Die Schmerzen sind hierbei eher
diffus, werden als gering modulationsfähig beschrieben und die Vorgeschichte weist
häufige Arztbesuche unterschiedlicher Fachdisziplinen, wiederholte apparative Diagnostik
sowie multiple erfolglose Behandlungen als Zeichen des Chronifizierungsprozesses auf.
In der Göttinger Schmerzambulanz waren die Zahlen (n = 2590) des Chronifizierungsscores
nach Gerbershagen [11 ] wie folgt: Dem Stadium I konnten 19,58 %, dem Stadium II 54,32 % und dem Stadium
III 26,1 % aller Patienten zugeordnet werden. Eine größere Statistik von Gerbershagen
et al. [5 ] in 13 Schmerzambulanzen (n = 3159) bestätigt die Häufigkeitsverteilung der verschiedenen
Chronifizierungsstadien: Dem Stadium I wurden hier 19,4 %, zum Stadium II 43,2 % und
zum Stadium III 37,3 % der ambulanten Patienten zugeordnet.
Damit weisen mehr als zwei Drittel der ambulanten Patienten einen hohen Chronifizierungsgrad
auf. Eine monokausalistische oder auf organische Ursachen reduzierte Betrachtungsweise
ist nicht imstande, die Ursache der Chronifizierungssymptomatik aufzuklären und eine
adäquate Behandlung zu gewährleisten. Es ist vielmehr nach vermittelnden Faktoren
zu fragen, die für diese Patienten ein Schmerzphänomen zu einer behandlungsbedürftigen
chronischen Schmerzkrankheit werden lassen. Dieses Grundverständnis sollte die vorherrschende
dichotome Sichtweise organischer versus psychogener Schmerz als ein „entweder - oder”
ersetzen und - bei entsprechender Chronifizierung - von einem „sowohl - als auch”
ausgegangen werden.
Körperliche, seelische und soziale Faktoren wirken gemeinsam an der Chronifizierung
von Schmerzsyndromen mit und müssen sowohl in ihrer ätiologischen Zuordnung als auch
in ihrer aufrechterhaltenden Bedeutung berücksichtigt werden. Meist ist der Anästhesist
allein mit dieser Klientel überfordert. Notwendig ist ein interdisziplinäres Team,
zumindest aber ein in die Schmerzinstitution fest integrierter Psychologe.
Abb. 1
Abb. 2
Abb. 3
Abb. 4
Tab. 1 Vorteil regionaler Techniken[* ]
Kriterium
Vorteil
Magen-Darm-Atonie
etwa 2 Tage kürzer
Myokardinfarkt
etwa 30 % geringer
kardiovaskuläre Komplikationen
etwa 75 % geringer
Lungenembolie (ohne Thromboseprophylaxe)
etwa 50 % geringer
Thromboembolie (ohne Thromboseprophylaxe)
etwa 40 % geringer
pulmonale Infektionen
etwa 30 % geringer
Blutverlust/Blutbedarf
etwa 20-30 % geringer
postoperative Beatmungsdauer
etwa 40 % kürzer
chirurgische Komplikationen
etwa 50 % geringer
Reoperations-/Amputationsrate nach peripheren Bypassoperationen
etwa 50 % geringer
Verweildauer im Krankenhaus (nach bestimmten größeren Eingriffen)
> 30-50 % kürzer
Erfüllung von Entlassungskriterien
25-30 % früher
Krankenhauskosten
> 20-50 % geringer
1 zur Anästhesie/Analgesie im Vergleich zur Allgemeinanästhesie mit folgender systemischer
Verabreichung von Analgetika
Tab. 2 Anzahl der Nervenblockaden in der Schmerzambulanz Göttingen (1990-2005)
Behandlung
Anzahl insgesamt (Prozent aller Behandlungen)
bei Patienten (Prozent aller Patienten)
peridural/kaudal
3796 (3,3 %)
2151 (14,4 %)
Wurzelblockade/G. Gasseri
1473 (1,3 %)
877 (5,7 %)
Sympathikus
zervikal
3621 (3,2 %)
554 (3,6 %)
thorakal
104 (0,1 %)
48 (0,3 %)
lumbal
1388 (1,2 %)
1393 (9,3 %)
iv. Guathenitin
1734 (1,5 %)
242 (1,6 %)
periphere Nerven
2265 (2,0 %)
895 (5,5 %)
Fassetten-Blockaden
4898 (4,3 %)
2061 (13,8 %)
Iliosakralgelenk
2861 (2,5 %)
1053 (7,0 %)
intraartikulär
845 (0,7 %)
363 (2,7 %)
Tab. 3 Blockaden in sechs Schmerzambulanzen
Ambulanz
Blockadehäufigkeit
Anzahl
je Patient
A
n = 491
38 %
2,7
B
n = 470
70 %
4,4
C
n = 683
45 %
3,3
D
n = 437
17 %
3,7
E
n = 402
30 %
7,1
F
n = 491
17 %
3,8
gesamt n = 2974
37 %
4,0
nach [14 ]