Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2006; 41(3): 167-170
DOI: 10.1055/s-2005-921125
Mini-Symposium
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neuroaxiale Regionalanästhesie bei Kindern - Das Innsbrucker Konzept

Neuroaxial Regional Anesthesia in Children - The Innsbruck ConceptW.  Roth1 , G.  Kühbacher-Luz1 , C.  Keller1
  • 1Klinik für Anästhesie und Allgemeine Intensivmedizin, Medizinische Universität Innsbruck
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Publication Date:
23 March 2006 (online)

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Einführung

Neuroaxiale Anästhesieverfahren (NAV) machen in der Kinderanästhesie den größten Teil der Regionalanästhesieverfahren aus [1]. Dies spiegelt unter anderem deren lange Tradition, ihr breites Einsatzgebiet und die umfangreichen Erfahrungen mit diesen Verfahren in der Erwachsenenanästhesie wider. NAV gelten gemeinhin als sehr komplikationsarm, auch wenn es Hinweise darauf gibt, mit einer häufigeren Anwendung von peripheren Blockadetechniken die Sicherheit zu erhöhen [1]. Bis auf wenige Ausnahmen werden NAV bei Kindern mit einer Allgemeinanästhesie kombiniert. Damit gelingt es, die intraoperative Stressantwort [5], den Bedarf an systemischen Anästhetika [2] [6] und wahrscheinlich auch den Blutverlust zu senken [7]. Die entscheidenden Vorteile von NAV liegen jedoch in der postoperativen Periode, in dem sie die Analgesie eindrucksvoll verbessern und dadurch in der letzten Dekade das Bild der Stationen verändert haben, die postoperative Kinder betreuen. NAV können so zu einer frühzeitigeren Extubation, einer kürzeren Intensivverweildauer und einer schnelleren Mobilisation beitragen [8] [9] [10].

Eine neuroaxiale Punktion in Allgemeinanästhesie gilt unter Kinderanästhesisten gemeinhin als kindgerechter und sicherer und wird durch niedrige Komplikationsraten gestützt [2] [3] [26]. Regionalanästhesiologische Verfahren in ein multimodales Konzept einzubetten, das auch den überlappenden Einsatz von fix vorgeschriebenen Nicht-Opioid-Analgetika einschließt, hat sich dabei bewährt [12]. Als Kontraindikationen für NAV gelten fehlendes Einverständnis der Eltern, Gerinnungsstörungen und eventuell schwere Missbildungen der Wirbelsäule (Meningomyelocele). Bei unauffälliger Anamnese verzichten wir auf einen laborchemischen Gerinnungsstatus [34]. Vor Anlage der NAV gehören ein intravenöser Zugang und die Anlage des anästhesiologischen Monitorings (EKG, nichtinvasiver Blutdruck, Sauerstoffsättigung) zur Routine. Eine Testdosis mit 1 µg/kg Adrenalin (entsprechend 0,2 ml/kg einer 1 : 200 000 verdünnten Lösung) bei allen epiduralen Techniken gehören ebenfalls zum Standard [35] [40].

Anatomische und physiologische Besonderheiten

Rückenmark und Duralsack reichen beim Neugeborenen und Säugling tiefer als beim Erwachsenen. Beim Neugeborenen reicht das Rückenmark bis L3, der Duralsack bis S3/4, ab 9 - 12 Monaten werden Erwachsenenverhältnisse erreicht (Rückenmark L1, Duralsack S1/2.) [36] [37] Das epidurale Fettgewebe beim Säugling und Kleinkind ist locker, was die Ausbreitung von injizierten Anästhetika und das Vorschieben eines Periduralkatheters von kaudal nach kranial wesentlich erleichtert. Ab dem 6. - 8. Lebensjahr nehmen fibröse Anteile zu und limitieren damit die Anästhesieausbreitung. Die Epiduralanästhesie mit Lokalanästhetika führt bei Kindern unter 8 Jahren nicht zur hämodynamischen Instabilität. Dies wird unter anderem auf den geringeren systemvaskulären Widerstand zurückgeführt [11].

Spinalanästhesie Die Spinalanästhesie verwenden wir bei Kindern bei zwei Indikationen: als singuläres Verfahren beim ehemaligen Frühgeborenen mit Leistenhernie und als Adjuvans mit intrathekalen Opioiden bei großen Wirbelsäuleneingriffen in der Skoliosenchirurgie. Müssen sich ehemalige Frühgeborene in den ersten Lebensmonaten einem chirurgischen Eingriff unterziehen, sind sie für postoperative respiratorische Komplikationen wie Apnoen und Bradykardien prädestiniert 13 14. Diese Gefährdung kann durch vorbestehende pulmonale Einschränkungen (Bronchodysplasie) oder eine Anämie (Trimenonsanämie) noch verstärkt werden 14. Aus diesen Gründen gilt bei uns, wie an anderen Zentren, bei ehemaligen Frühgeborenen bis zur 50. postkonzeptionellen Woche die Spinalanästhesie als Verfahren der Wahl 16. Auf eine sedierende Prämedikation wird verzichtet, eine bestehende atemstimulierende Therapie mit Aminophyllin wird perioperativ weitergeführt. Ca. 60 min vor Anästhesiebeginn wird EMLA® auf die Punktionsstelle aufgetragen. Für den Erfolg der Punktion, die wir im Sitzen durchführen, ist die korrekte Positionierung des Säuglings mit Unterstützung des Kopfes von entscheidender Bedeutung. Wir verwenden Quincke-Nadeln der Größe 22 G. Dünnere Nadeln haben den Nachteil, dass einerseits der Duraclick weniger deutlich spürbar ist, andererseits der Liquor-Rückfluss erheblich langsamer erfolgt. Als Lokalanästhetikum verwenden wir isobares Bupivacain 0,5 % mit Adrenalin 1 : 200 000 in einer Dosierung von 0,2 ml/kg. Während des Eingriffes ist es mitunter hilfreich, den Säugling mit tropfenweise Glukose 10 % auf den Sauger geträufelt, zu beruhigen. Unter allen Umständen ist jedoch eine medikamentöse Sedierung zu vermeiden, wenn eine negative Beeinflussung des Atemzentrums verhindert werden soll 17. Intrathekale Opioide in der Wirbelsäulenchirurgie bieten signifikante Vorteile gegenüber der reinen Allgemeinanästhesie. Der Anästhesieverlauf ist geprägt von einer eindrucksvollen hämodynamischen Stabilität, einem insgesamt geringeren Opioidverbrauch und einem deutlich geringeren Blutverlust 18. Postoperativ ist die Beatmungsdauer signifikant verkürzt und eine stressfreie Extubation möglich. Potenzielle Nachteile dieses Verfahrens sind postoperative Nausea, Erbrechen (bis zu 25 %) und Pruritus, die neben den üblichen Antiemetika mit geringen Dosen Propofol oder Nalbuphin behandelt werden können 19 20. Die Gefahr des Harnverhalts ist ohne klinische Bedeutung, da diese Patienten üblicherweise über einen Harnkatheter verfügen. Besonderes Augenmerk gebührt der Atemdepression, die bis zu 23 Stunden nach Injektion beobachtet wurde. Aus diesem Grund ist eine Überwachung über 24 Stunden obligat. Als intrathekale Opioide verwenden wir Sufentanil 1 µg/kg (max. 50 µg) und Morphin 15 µg/kg (max. 1 mg). Diese Angaben sind momentan Gegenstand einer Dosisfindungsstudie.

Literatur

Dr. Winfried Roth, DEAA

Klinik für Anästhesie und Allgemeine Intensivmedizin · Medizinische Universität Innsbruck

Anichstraße 35 · 6020 Innsbruck · Österreich ·

Email: Winfried.Roth@uibk.ac.at