Klinische Neurophysiologie 2005; 36(4): 178-185
DOI: 10.1055/s-2005-915323
Originalia
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TMS-induzierte Plastizität: Ein Fenster zum Verständnis des motorischen Lernens?

TMS-Induced Plasticity: A Window to Understanding Motor Learning?J.  Claßen1 , K.  Stefan1 , A.  Wolters1 , M.  Wycislo1 , R.  Gentner1 , D.  Zeller1 , A.  Schramm1 , F.  Sandbrink1 , V.  Litvak1 , A.  Schmidt1 , D.  Weise1
  • 1Labor für kortikale Physiologie des Menschen und zentrale Motorik, Neurologische Klinik, Bayerische Julius-Maximilians-Universität, Würzburg
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Publication Date:
08 December 2005 (online)

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Zusammenfassung

Ein physiologischer Schritt beim motorischen Lernen ist vermutlich die Bildung neuer motorischer Engramme. Um Prinzipien der Bildung motorischer Engramme, und damit also der Grundlagen motorischen Lernens, zu erforschen, lassen sich verschiedene plastizitätserzeugende Magnetstimulationsprotokolle nutzen. Ein zellulärer Kandidatenmechanismus für die Bildung neuer Engramme ist die Langzeitpotenzierung (long-term potentiation, LTP) von neuronalen Synapsen, die zu horizontal in oberflächlichen kortikalen Schichten verlaufenden Verbindungen gehören. Die assoziative Paarstimulation (PAS) wurde als ein Modell für die assoziative LTP beim Menschen entwickelt. PAS besteht aus einer niedrigfrequenten Stimulation eines peripheren Nervens kombiniert mit einer transkraniellen Magnetstimulation (TMS) über dem homotopen kontralateralen Motorkortex. Die Richtung der durch PAS induzierten kortikalen Exzitabilitätsänderung hängt vom genauen zeitlichen Intervall zwischen dem afferenten Stimulus und dem Magnetreiz ab und weist eine Reihe von weiteren Eigenschaften auf, die denen der assoziativen LTP in Tierversuchen ähneln. PAS-induzierte LTP-ähnliche Plastizität zeigt nach dem Erwerb neuer ballistischer oder dynamischer motorischer Leistungen vorübergehend eine Sättigungscharakteristik, die durch Anwendung eines Protokolls, das LTD-ähnliche Plastizität erzeugt, aufgehoben werden kann. Niedrigfrequente repetitive isolierte Magnetreize über dem motorischen Kortex, mit denen sich möglicherweise LTD-ähnliche Phänomene erzeugen lassen, verhindern die Konsolidierung einer motorischen Lernaufgabe, wenn die Intervention unmittelbar nach dem Training angewandt wird. Die Bildung von motorischen Engrammen hängt nach diesen Befunden zumindest temporär von LTP/LTD-ähnlichen Prozessen ab. Motorisches Lernen kann als Abfolge von verschiedenen Zustandsformen begriffen werden, in der eine anfängliche, leicht störbare Repräsentation von einer robusteren Repräsentation abgelöst wird. Auch bei diesem Vorgang scheinen LTP/LTD-ähnliche Prozesse beteiligt zu sein. Plastizitätsinduzierende TMS-Protokolle tragen zu einem detaillierten Verständnis der Abläufe und zellulären physiologischen Substrate des menschlichen motorischen Lernens bei. Modelle kortikaler Plastizität helfen die Rolle maladaptiver neuronaler Plastizität bei bestimmten motorischen Erkrankungen zu verstehen. Schließlich könnten durch externe Reizprotokolle induzierte Exzitabilitätsveränderungen selbst therapeutische Möglichkeiten besitzen.

Abstract

The formation of new motor engrams is a likely physiological step in motor learning. A number of plasticity inducing magnetic stimulation protocols may be used to investigate the principles of the formation of motor engrams, and, therefore, the underpinnings of motor learning. A cellular candidate mechanism for the formation of new engrams is long-term potentiation (LTP) of neuronal synapses that belong to fibres travelling horizontally in superficial cortical layers. Paired associative stimulation (PAS) has been developed as a model of associative LTP in humans. PAS consists of low-frequency peripheral nerve stimulation combined with transcranial magnetic stimulation (TMS) over the homotopic contralateral motor cortex. The direction of PAS-induced cortical excitability changes depends on the exact interval between the afferent stimulus and the magnetic pulse. PAS-induced plasticity displays a number of additional properties that resemble those of associative LTP as revealed in animal experiments. PAS-induced LTP-like plasticity is temporarily saturated after the acquisition of new ballistic or dynamic motor skills. The saturation can be overcome by application of a protocol inducing LTD-like plasticity. Low-frequency repetitive isolated magnetic stimulation over motor cortex, a protocol possibly inducing LTD-like phenomena, prevents consolidation of a motor learning skill if applied directly after the training. These observations indicate that the formation of motor engrams depends at least temporarily on LTP/LTD-like processes. Motor learning may be viewed as a sequence of different representations, in which an initial fragile representation undergoes a transformation into a robust representation. LTP/LTD-like phenomena may be involved in this process, too. Plasticity-inducing TMS-protocols may provide an opportunity to gain insight into the events leading to, and cellular physiological substrates of, human motor learning. Models of cortical plasticity may aid in understanding the role of maladaptive neuronal plasticity in certain neurological motor disorders. Finally, excitability changes induced by external stimulation protocols may themselves offer therapeutic benefit.

Literatur

PD Dr. Joseph Claßen

Neurologische Klinik · Bayerische Julius-Maximilians-Universität

Josef-Schneider-Straße 11

97080 Würzburg

Email: Classen_J@klinik.uni-wuerzburg.de