Notfall & Hausarztmedizin (Notfallmedizin) 2005; 31(7/08): A 315
DOI: 10.1055/s-2005-915220
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Europäische Dienstleistungs-Richtlinie - eine Gefahr für die Qualität im Gesundheitsmarkt?

Peter Knuth
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Publication Date:
15 August 2005 (online)

Dass europäisches Recht unser aller Leben beeinflusst und teilweise verändert, ist bei den Bürgerinnen und Bürgern deutlich geworden. Obwohl das Europäische Parlament und die Kommission im Bereich der Sozialsysteme keine direkte Rechtssetzungskompetenz hat, werden gleichwohl im Rahmen der offenen Koordinierung über eine Vielzahl von Einzelregelungen de facto Rechtssetzungssachverhalte geschaffen. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist die Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt, die sich derzeit in den Beratungen im Europäischen Parlament und in der Kommission befindet und die direkt Auswirkungen auf die gesundheitliche Versorgung hat. Die Dienstleistungs-Richtlinie hat die Zielsetzung, einen freien, grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr zu ermöglichen, um der Realisierung des einheitlichen europäischen Wirtschaftsraumes näher zu kommen. Ein wesentliches Prinzip der Dienstleistungs-Richtlinie ist die Festlegung, dass für Dienstleistungserbringer, die Dienstleistung in einem anderen Mitgliedsstaat anbieten, ohne sich dort ständig niederzulassen, das Herkunftslandprinzip Gültigkeit hat. Nach diesem Herkunftslandprinzip müssen die Dienstleistungserbringer lediglich die Vorschriften ihres Herkunftslandes erfüllen, ohne bei jeder grenzüberschreitenden Tätigkeit den Regelungen anderer Mitgliedstaaten unterworfen zu sein, welche nicht marktabschottend wirken sollen.

Um das Vertrauen in das Herkunftslandprinzip und in grenzüberschreitende Dienstleistungen generell zu stärken, sollen grundlegende Qualitätsanforderungen EU-weit harmonisiert werden. Hierzu gehören eine Berufshaftpflichtversicherung für Dienstleistungserbringer, Informationsverpflichtungen der Dienstleistungserbringer gegenüber Aufsichtsbehörden und Kunden und auch Bestimmungen über die Kommunikation durch Angehörige reglementierter Berufe, zu denen auch die Ärzte gehören. Für Ärzte und die Erbringung von grenzüberschreitenden Gesundheitsleistungen sind kaum Fälle denkbar, wo die Dienstleistungs-Richtlinie in vollem Umfang zur Anwendung kommt. Für Dienstleistungen, die mittels einer Niederlassung in einem anderen Mitgliedsstaat erbracht werden, ist das Herkunftsprinzip nicht anwendbar, sie müssen allen einschlägigen Vorschriften des Landes genügen, in dem die Dienstleistung erbracht wird. Als Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat gilt die Schaffung einer festen Einrichtung, wie zum Beispiel einer Arztpraxis, eines Labors oder eines Krankenhauses. Da das ärztliche Berufsrecht die Berufsausübung „im Umherziehen” verbietet, ist eigentlich nur die Berufsausübung als Niederlassung denkbar. Das Herkunftsland kann keine erschwerenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften grenzüberschreitend auferlegen. Vom Prinzip der Dienstleistungserleichterung gibt es gewichtige Ausnahmen, welche Mindestlöhne, Arbeits- und Mindestruhezeiten, den Mindestjahresurlaub sowie Gesundheitshygiene und Sicherheitsstandards betreffen.

Man sollte in Würdigung aller Umstände die Dienstleistungs-Richtlinie nicht als Angriff auf (in aller Regel sehr hohe) deutsche Standards bewerten, sondern sollte die Chancen erkennen und nutzen, welche für die deutsche Wirtschaft in grenzüberschreitenden Dienstleistungen liegen. Gerade in deutschen grenznahen Regionen ergeben sich auch für den Gesundheitsmarkt vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten, grenzüberschreitend tätig zu werden. Es gilt, diese Chancen konsequent zu nutzen.

Prof. Dr. med. Peter Knuth

Wiesbaden

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