Geburtshilfe Frauenheilkd 2005; 65(11): R221-R244
DOI: 10.1055/s-2005-873011
GebFra-Refresher

Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Vaginale und uterine Fehlbildungen

Teil 2P. Oppelt1 , S. Brucker2 , K. S. Ludwig3 , D. Wallwiener2 , M. W. Beckmann1
  • 1Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen, Universitätsstraße 21 - 23, 91054 Erlangen
  • 2Universitäts-Frauenklinik Tübingen, Calwerstr. 7, 72076 Tübingen
  • 3Anatomisches Institut der Universität Basel, Pestalozzistrasse 20, CH-4056 Base
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Publication Date:
02 December 2005 (online)

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Diagnostik

Vaginale Fehlbildungen werden normalerweise oft erst in der Pubertät bzw. zu Beginn der Geschlechtsreife festgestellt, uterine Fehlbildungen oft erst in der reproduktiven Lebensphase.

Bei den üblichen Kinder-Vorsorgeuntersuchungen U1 - U9/J1

In den Vorsorgeuntersuchungen U1 - U9/J1 bleiben innere genitale Malformationen oft unbemerkt.

wird zunächst die Vitalität des Neugeborenen und das Vorhandensein äußerer Fehlbildungen bzw. Magen-Darm-Passagestörungen untersucht. Die U2 beinhaltet vor allem ein Stoffwechselscreening. Die weiteren Untersuchungen beurteilen im Wesentlichen die motorische und geistige Entwicklung, das Verhalten sowie das Hör- und Sehvermögen. Die neue J1 beinhaltet zwar eine körperliche Untersuchung, ist aber im Wesentlichen ausgelegt auf ein Beratungsgespräch, bei dem Themen wie z. B. Alkohol, Drogen, Rauchen und Sexualität besprochen werden.

Dies bedeutet, dass bis auf Fehlbildungen des äußeren Genitales, wie z. B. eine Labiensynechie, eine Klitorishypertrophie (z. B. im Rahmen eines AGS‐Syndroms) oder eine Hymenalatresie, die durch die Inspektion festgestellt werden können, weitere Fehlbildungen vor allem des inneren Genitales oft nicht bemerkt werden.

Nur mittels weiterer eingehender Untersuchungen

Zur Beurteilung der inneren genitalen Situation dienen Traktionsmethode, Vaginoskopie, rektale Palpation oder abdominale Sonographie.

unter Zuhilfenahme z. B. der Traktionsmethode, bei der die großen Labien durch vorsichtigen dorsolateralen Zug separiert werden, gelingt eine genaue Betrachtung des Vestibulum vaginae und damit die Beurteilung von Urethra, Paraurethralregion, Introitus, Hymen, hinterer Kommissur sowie distalem Vaginaldrittel. Eine vaginale Palpation vor der Adoleszenz ist obsolet. Bei blutigem Fluor oder dem Verdacht auf Fremdkörper kann eine Vaginoskopie durchgeführt werden. Die rektale Palpation oder die abdominale Sonographie bei gut gefüllter Blase dient zum Ausschluss pathologischer Resistenzen im kleinen Becken, zur Größen- und Lagebeurteilung des Uterus und zur Palpation von Fremdkörpern.

Die jungen Mädchen mit Verdacht auf Fehlbildungen

Bei Mädchen mit primärer Amenorrhö (häufigstes Symptom), evtl. wiederkehrenden Unterbauchschmerzen und/oder v. a. Schmerzen und Schwierigkeiten beim Geschlechtsverkehr besteht der Verdacht auf Fehlbildungen des inneren Genitales.

des inneren Genitales stellen sich deshalb oft erst zu einem Zeitpunkt beim Arzt vor, der geprägt ist von der Differenzierung und Entwicklung eines eigenen weiblichen Körpergefühls, der Sexualität und dem Thema „Frau werden“. Sie berichten meist von folgenden Symptomen: einer primären Amenorrhö, rezidivierenden Unterbauchschmerzen und/oder dem schmerzhaften, erschwerten bis unmöglichen Geschlechtsverkehr und dies bei normaler weiblicher zeitgerechter (Beurteilung durch Festlegung des Tanner-Stadiums) Entwicklung. Da dies meist der erste Kontakt zum Frauenarzt ist, sollte hierbei sehr einfühlsam vorgegangen werden und das Wissen über die vielfältigen Fehlbildungen und deren Therapie von ärztlicher Seite her vorhanden sein, um eine weitere psychische Belastung und „Odyssee“ der Patientinnen zu vermeiden.

Bei dem Syndrom „primäre Amenorrhö“, eines der häufigsten Symptome vaginaler und uteriner Fehlbildungen, hat sich zur Abklärung das klassische WHO‐Diagnostikschema nach Gitsch und Janisch 1991 etabliert (Abb. [1]). Die primäre Amenorrhö ist definiert als fehlende Menstruationsblutung bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres (normales Menarchealter 13,5 ± 1 Jahr) bei nachweislicher Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale.

Abb. 1 WHO-Diagnostikschema nach Gitsch u. Janisch (1991) zur Abklärung der primären Amenorrhö.

Folgende Ursachen kommen infrage:

30 - 45 % genetische bzw. chromosomale Störungen im Sinne eines hypergonadotropen Hypogonadismus (FSH erhöht, E2-Spiegel erniedrigt), z. B.: Ullrich-Turner-Syndrom (XO‐Gonadendysgenesie), Swyer-Syndrom (46, XY‐Gonadendysgenesie), Deletionen und Mosaikbildungen der Gonosomen, Triplo-X‐Syndrom. 20 % Hemmungsmissbildungen der Genitalorgane: Uterus-/Vaginalaplasie, Hymenalatresie, Vaginalatresie, Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom. 17 % ovarielle Störungen: Hypoplasie der Ovarien, Tumoren, Gonadotropinresistenz (z. B. Autoantikörper gegen Ovargewebe). 17 % hypothalamisch-hypophysäre Störungen in Sinne eines hypogonadotropen Hypogonadismus (FSH‐Spiegel erniedrigt), z. B. Pubertas tarda, Kallmann-Syndrom, Hypothalamus-/Hypophysentumoren, Schädel-Hirn-Trauma, Anorexia. 7 % extragenital endokrine Störungen: Cushing-Syndrom, Addison-Krankheit, Hyperprolaktinämie, Androgen produzierende NNR‐Tumoren, adrenogenitales Syndrom (AGS), primäre Hypothyreose. 7 % testikuläre Feminisierung (XY), Hermaphroditismus.

Direkt zu Beginn des Abklärungsschemas steht die Anamnese, die Beurteilung des Phänotyps und eine gynäkologische Untersuchung.

Neben einer ausführlichen vaginalen Untersuchung bietet die Sonographie und ggf. die Magnetresonanztomographie richtungsweisende Informationen in der nichtinvasiven Abklärung uteriner Malformationen [[1]]. Da eine akkurate Deskription der anatomischen Gegebenheiten oft nur unzureichend möglich ist, sollte eine exakte Fehlbildungsklassifikation

Diagnostische Hysteroskopie und Laparoskopie ermöglichen eine genaue Fehlbildungsklassifikation.

mittels diagnostischer Hysteroskopie und Laparoskopie erfolgen. Ob die Kernspintomographie die Laparoskopie in der Diagnostik ersetzen kann, wird kontrovers diskutiert. Aus eigener Erfahrung können wir vor allem bei komplexen urogenitalen Fehlbildungen auf Fehlinterpretationen seitens der Kernspintomographie verweisen.

Liegt bereits eine Situsbeschreibung aufgrund einer zurückliegenden Operation vor, kann auf die Laparoskopie verzichtet werden. Nach Beendigung der Diagnostik erweist es sich als ratsam, eine schematische Zeichnung der Fehlbildung anzulegen, da eine exakte Abbildung in den derzeit gängigen Fehlbildungsklassifikationen oftmals schwer möglich ist und eine bildliche Reproduktion anhand des OP‐Berichtes für Dritte schwierig ist.

Bei geringgradigen Fehlbildungen empfiehlt sich eine Sonographie der Nieren bds., da bereits Malformationen des Urogenitaltraktes bestehen können.

In Tab. [1] soll ein Überblick über essenzielle und ggf. weiterführende Untersuchungen gegeben werden. Aufgrund unserer Erfahrung empfehlen wir grundsätzlich eine Sonographie der Nieren bds., da oftmals schon bei gering ausgeprägten Fehlbildungen, wie beim Uterus subseptus, Malformationen des Urogenitaltraktes vorliegen können. Im Zusammenhang mit ausgeprägten Fehlbildungen wie z. B. dem Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom (MRKH‐Syndrom) werden teils ausgeprägte assoziierte Fehlbildungen vorgefunden, die neben dem Urogenitaltrakt auch Skelett, Nervensystem und/oder das Herz betreffen. In diesem Fall wäre eine beschwerdeorientierte Diagnostik zu empfehlen. Als Orientierungshilfe werden in Tab. [2] ergänzende Punkte aufgeführt, die im Rahmen der Basisabklärung mit den Patientinnen angesprochen werden sollten.

Tab. 1 Basisuntersuchungen zur Abklärung von Fehlbildungen essenzielle Untersuchungen mögliche Zusatzuntersuchungen Ultraschall kleines Becken Ultraschall Nieren alternativ: NMR kleines Becken Introitus-/Rektalsonographie i. v. Pyelogramm diag. Hysteroskopie diag. Laparoskopie Ovarialbiopsie Chromosomenanalyse Hormonstatus (LH, FSH, E2)

Tab. 2 Leitsymptome für weitergehende Untersuchungen zur Abklärung assoziierter Fehlbildungen Symptome Abklärung Harninkontinenz Urodynamik schnelle Ermüdung Myogramm Echokardiographie skeletale Fehlbildungen Röntgenggf. CT Schwerhörigkeit Audiogramm

Komplexe Fehlbildungen erfordern gelegentlich im Rahmen der Abgrenzung gegenüber anderen Syndromen eine Chromosomenanalyse. Auch eine Bestimmung der Sexualhormone (LH, FSH, Östradiol) sollte je nach Indikationsstellung Bestandteil der Basisabklärung sein. Bei afunktionellen Ovarien kann die Östrogenproduktion völlig unterbleiben und sich somit unter anderem negativ auf den Knochenstoffwechsel auswirken.

Literatur

Dr. Sara Brucker

Universitäts-Frauenklinik

Calwerstr. 7

72076 Tübingen

Email: Sara.Brucker@med.uni-tuebingen.de