Handchir Mikrochir Plast Chir 2005; 37(6): 363-364
DOI: 10.1055/s-2005-872990
Editorial

Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Angiogenese-Gentherapie - Auf der Schwelle zu einem neuen Innovationsschub für die Plastische Chirurgie?

Angiogenesis Gene Therapy - A New Innovation Push in Plastic Surgery?R. E. Giunta1 , B. Gänsbacher2
  • 1Abteilung für Plastische und Wiederherstellungschirurgie (Vorstand: Univ.-Prof. Dr. E. Biemer), Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München
  • 2Institut für experimentelle Onkologie und Therapieforschung (Vorstand: Univ.-Prof. Dr. B. Gänsbacher), Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München
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Publication History

Eingang des Manuskriptes: 20.10.2005

Angenommen: 20.10.2005

Publication Date:
02 January 2006 (online)

Grundlage für jede Art Lappenplastik ist eine exakte Kenntnis der Anatomie und Physiologie der Gewebeperfusion. Mit der Entwicklung und Einführung der Mikrochirurgie wurden Anfang der 70er-Jahre Replantationen und später auch freie Lappenplastiken möglich. Diese neuen Möglichkeiten haben die Plastische Chirurgie dramatisch verändert und die anatomische Blutversorgung der unterschiedlichen Gewebetypen in den verschiedenen Regionen des menschlichen Körpers ins Zentrum der wissenschaftlichen Bemühungen gerückt. Die historischen Arbeiten vor allem von Manchot [[1]] und Salmon [[2], [3]] wurden wiederentdeckt und bildeten eine Grundlage für die Entwicklung einer Vielzahl von Lappenplastiken in allen Körperregionen. Gleichzeitig wurde auch eine Vielzahl neuerer anatomischer Untersuchungen durchgeführt mit dem Ziel, neue Lappenplastiken zu entwickeln. In diesem Zusammenhang sind unter anderem die detaillierten anatomischen Arbeiten von Taylor und Palmer [[4]] zu nennen, die mit eine Grundlage für diesen Innovationsschub in der Plastischen Chirurgie waren. In deren Folge wurde eine Vielzahl von muskulokutanen und fasziokutanen Lappenplastiken beschrieben, die ermöglichten, sich von den bis dato etablierten langwierigen Techniken der Rundstiellappenbildung und den temporär gestielten Lappenplastiken zu lösen und somit deren große Nachteile (lange Immobilisationszeiten, hohe Verlustrate) zu überwinden. Seither gehören gestielte und freie mikrochirurgische Lappenplastiken zum Standard der Defektdeckung in der Plastischen Chirurgie, und temporär gestielte Lappenplastiken sind nur noch in wenigen Fällen angezeigt.

Der letzte größere Innovationsschub aus dem Bereich der Lappenplastiken, der Einzug in die Klinik gefunden hat, war die Entwicklung der Perforans-Lappenplastiken. Diesem Thema haben wir im Jahre 2002 das erste Themenheft der Zeitschrift „Handchirurgie · Mikrochirurgie · Plastische Chirurgie“ gewidmet. Damals konnte eine aktuelle Übersicht über die neuesten Entwicklungen gegeben werden. Durch eine genauere Kenntnis der Gewebedurchblutung wurde es mit Perforans-Lappenplastiken möglich, große Haut-Fettgewebs-Lappenplastiken lediglich an einem einzelnen Perforansgefäß, am Hauptstamm gestielt oder frei mikrovaskulär, zu transplantieren. Dadurch konnte der Hebedefekt von Lappenplastiken weiter reduziert und gerade für die Brustchirurgie eine deutliche Weiterentwicklung erreicht werden. Aus anatomischer Sicht sind damit derzeit die Grenzen erreicht; ein weiterer Innovationsschub ist nicht unmittelbar zu erwarten.

Demgegenüber bieten neue molekularbiologische Methoden erhebliches Entwicklungspotenzial. Denn durch Gentherapie wird die bewusste Manipulation der Bildung von körpereigenen Botenstoffen möglich. Eine Anwendung dieser neuen Behandlungsstrategie ist die Anregung der körpereigenen Bildung von neuen Blutgefäßen (Angiogenese), die normalerweise mit Ende des Wachstums im Wesentlichen abgeschlossen ist. Durch ein verbessertes Blutgefäßsystem könnten somit neue biologische Voraussetzungen für jede Art von Lappenplastik oder Gewebeverpflanzung sowie für die Wundheilung geschaffen werden. Einen strategischen Ansatzpunkt bietet die direkte Applikation eines Schlüsselproteins der Angiogenese, der so genannte Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF). Neben dem Basic Fibroblast Growth Factor (FGF) und den Angiopoetinen scheint dieser Faktor eine entscheidende Rolle in der Ausbildung neuer Blutgefäße zu spielen. Nicht umsonst ist die Blockade der VEGF-Funktion auch ein wesentliches Ziel neuerer Strategien der Behandlung maligner Tumoren. Auf der anderen Seite ist eine zeitlich begrenzte Stimulation des Gefäßwachstums durchaus von großem Nutzen in der Anwendung von Lappenplastiken, aber auch bei kritisch durchbluteten Lappenplastiken. Neben der direkten Applikation eines synthetisch hergestellten und damit auch sehr teuren Botenstoffes, der immer auch nur eine zeitlich begrenzte Wirksamkeit aufweist, kann auch die für den Botenstoff kodierende DNA-Sequenz direkt in die Zellen eingeschleust werden und dadurch die körpereigene Bildung des Stoffes dramatisch erhöht werden. Um eine Integration in die Zell-DNA zu erreichen, werden so genannte Fähren oder Vektoren benutzt. Virale Gentransfer-Technologien sind in den letzten Jahren in die Kritik geraten. Integrierende, retrovirale Vektoren hatten sechs von zehn SCID‐X1 („Severe Combined Immunodeficiency-X1“)-Patienten geheilt, bei drei Patienten aber durch Insertionsmutagenese eine lymphoproliferative Erkrankung ausgelöst. Zur Zeit werden deshalb nur nichtintegrierende Vektoren wie adenovirale Vektoren oder nichtvirale Vektoren am Menschen verwendet. Verschiedene Strategien des Gentransfers werden nun evaluiert. So können beispielsweise Zellen eines Organismus außerhalb des Patienten gezüchtet und gentherapeutisch behandelt werden, bevor sie in den Patienten zurück-implantiert werden. Eine andere Möglichkeit bieten die Verbindung der kodierenden DNA-Sequenz mit magnetischen Nanopartikeln und die Konzentration der Substanz auf ein Zielgebiet durch die Anwendung von Magneten und Ultraschall. Insgesamt sind die Möglichkeiten und Grenzen der Angiogenese-Gentherapie und deren Nutzen und Anwendbarkeit für die Plastische Chirurgie noch ein weitgehend unerforschtes Gebiet.

Der zweite Teil dieses experimentellen Schwerpunktheftes der Plastischen Chirurgie beschäftigt sich mit Methoden der Messung und Quantifizierung von Mikrogefäßen und der Perfusion von verschiedenen Gewebetypen und damit mit der Auswertung der Zielparameter der Angiogenese-Therapie.

Zusammenfassend soll das vorliegende Schwerpunktheft einen aktuellen Überblick über die derzeitigen experimentellen Möglichkeiten der Angiogenese-Gentherapie geben, die möglicherweise in naher Zukunft für die Plastische Chirurgie einen weiteren Innovationsschub erbringen könnte.

Literatur

  • 1 Manchot C. Die Hautarterien des menschlichen Körpers. Leipzig; Vogel 1889
  • 2 Salmon M. Les Artères des Muscles des Membres et du Tronc. Paris; Masson 1933
  • 3 Salmon M. Les Voies Anastomotiques Artèrielles des Membres. Paris; Masson 1939
  • 4 Taylor G I, Palmer J H. The vascular territories (angiosomes) of the body: Experimental study and clinical applications.  Br J Plast Surg. 1987;  40 113-141

Priv.-Doz. Dr. med. Riccardo E. Giunta

Abteilung für Plastische und Wiederherstellungschirurgie
Klinikum rechts der Isar
Technische Universität München

Ismaninger Straße 22

81675 München

Email: R.Giunta@lrz.tu-muenchen.de

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