Notfall & Hausarztmedizin (Notfallmedizin) 2005; 31(5): A193
DOI: 10.1055/s-2005-871836
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Wann darf ein Mensch sterben?

Ulrich Rendenbach
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Publication Date:
24 June 2005 (online)

Das unwürdige Medienspektakel um die Patientin im Wachkoma Terri Schiavo, aber auch der subtile Film „Das Meer in mir” um den Freitod eines querschnittsgelähmten Spaniers zeigen, dass eine öffentliche Diskussion um den Schwebezustand zwischen noch leben oder schon tot dringend notwendig ist. Unter dem Suchwort Schiavo findet man im Internet immerhin 583000 Antworten, ein Hinweis, wie sehr das Thema die Menschen beschäftigt. In einer Umfrage von TNS Emnid befürworten etwa 75 % der Befragten aktive Sterbehilfe bei Schwerstkranken, 20 % waren dagegen, 5 % hatten keine Meinung. Streitpunkt bleibt, der tödlich Kranke könnte seine Meinung aus gesunden Tagen geändert haben, und damit seien alle früheren auch schriftlichen Verfügungen unwirksam. Die Erfahrung mit den Menschen lehrt jedoch, dass die 20 % Gegner - so sie selbst oder Angehörige betroffen sind - schnell ihre ablehnende Haltung ändern.

Im Fall der Amerikanerin Terri Schiavo entscheiden sich Menschen „für das Leben”, das aber gar nicht das ihre ist und auch ohne nachzudenken, ob Terri überhaupt noch lebt im philosophischen oder religiösen Sinne. Ohne moderne Medizin wäre sie, wie so viele andere, längst trotz ihrer künstlichen Ernährung gestorben, denn einer Sondenernährung folgt irgendwann die Aspirationspneumonie, der Harnableitung der Infekt, dem langen Krankenlager der Dekubitus und die Gelenkkontrakturen, der Immobilität die Osteoporose, dem Besuch am Krankenbett der eingeschleppte Infekt, und der betreuende Arzt muss immer wieder die Entscheidung fällen, ob und wenn wie er behandelt. Eine Grenze muss also gezogen werden, die der künstlichen Ernährung ist nur eine von vielen. Wurde Terri Schiavo geimpft? Wurde eine Mammographie zur Früherkennung des Brustkrebses durchgeführt? Erhält sie Heparin als Thromboseprophylaxe? Wo endet die kurative Therapie und wann beginnt die palliative Medizin? Muss es denn sein, dass bei Sterbenden jedes Mal nach unterlassener Hilfeleistung gefragt wird? Mit Worten wie „verhungern” und „verdursten” wird dem Arzt Bösartigkeit und dem Kranken Leiden unterstellt, der Arzt wird sophistisch in eine Verteidigungsposition gedrängt, aber wann darf denn ein Mensch sterben? Wenn es den Angehörigen oder der Gesellschaft gefällt? Oder muss gar aktive Sterbehilfe geleistet werden wie in Belgien und Holland? Ärzte haben nicht gelernt zu erkennen, wann aus einer sinnvollen und notwendigen Intensivtherapie eine menschenunwürdige Apparatemedizin zur temporären Lebensverlängerung wird.

Im Schwebezustand zwischen Leben und Tod muss sich der behandelnde Arzt fragen lassen, wem er hilft, seinem Patienten oder deren Angehörigen, die den Tod nicht ertragen wollen, oder wie in Amerika am Ende gar der Politik. Der mutlosen Justizministerin in Deutschland war das Thema wohl zu emotionsgeladen, hat sie ihre Gesetzesinitiative zur Stärkung der Patientenverfügung 2005 zurückgezogen. Dazu beigetragen hat sicher auch die Ärzteschaft, denn die Zentrale Ethikkommission hat wohl auch zu viele Einwände vorgetragen. Auch unter Juristen ist keine Tendenz zur Einigung zu erkennen und viele irren auch, wenn sie annehmen, eine einmal begonnene lebenserhaltende Maßnahme (PEG Sonde) müsse ohne Rücksicht auf den Willen des Patienten fortgesetzt werden. So entschied der BGH „...die Hilfspflicht des Arztes findet ihre Grenze an der Patientenautonomie” und bereits am 08.05.1991 „Die Ausschöpfung intensivmedizinischer Technologie ist, wenn sie dem wirklichen oder anzunehmenden Patientenwillen widerspricht, rechtswidrig.”

Der Arzt Beleites formuliert im SPIEGEL treffend, den natürlichen Tod gebe es nicht mehr, und „wir wissen immer weniger, was noch Lebens- und was schon Sterbenszeit ist”. So muss der (Haus-)Arzt Entscheidungen treffen, die es früher nicht gab und diese Entscheidungen haben auch eine gesellschaftlich-moralische Dimension. Alle Menschen sind daher aufgerufen zu sagen, was sie am Ende ihres Lebens wollen! Der Gesetzgeber kann nicht alle in die Entscheidung einfließenden Fakten wie biologisches Alter, Machbarkeit (Hemikorporektomie, Ganzkörpertransplantation), religiöse Lebensphilosophie berücksichtigen. Ein Fall wie Terri Schiavo aber wurde vom OLG Karlsruhe am 26.03.2004 entschieden (NJW 2004, 1882): „Dabei ist es keine Voraussetzung, dass der Tod unmittelbar droht, sondern das gilt auch bei anderen unheilbaren Krankheiten.” Leider gibt auch eine schriftliche Patientenverfügung keine Sicherheit, denn der BGH in Zivilsachen hält sie für bindend, der BGH in Strafsachen mindert ihren Wert als Willenserklärung ohne Bindung für den Arzt. Hier also ist der Engpass, und dies zu ändern ist Aufgabe der Justizministerin!

Oder muss denn wirklich in einer Patientenverfügung als letzter Satz stehen: „Wird mir ohne Aussicht auf eine Rückkehr ins soziale Leben gegen meinen hier erklärten Willen eine PEG Sonde gelegt, sind meine Angehörigen verpflichtet, Klage gegen die behandelnden Ärzte wegen einer Körperverletzung zu erheben (nach §§ 223, 229 StGB und § 823 BGB).”

Dr. med. Ulrich Rendenbach

Duderstadt

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