Notfall & Hausarztmedizin (Hausarztmedizin) 2005; 31(5): B 244
DOI: 10.1055/s-2005-871683
Blickpunkt

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Älteren Herzpatienten keine Therapien vorenthalten

Further Information

Publication History

Publication Date:
24 June 2005 (online)

 
Table of Contents
    Zoom Image

    Viele Therapien sind bei alten Menschen genauso wirkungsvoll wie bei jüngeren. Trotzdem werden Herzpatienten im höheren Lebensalter oft untertherapiert, moniert Prof. Dr. Karl Werdan, Kongresspräsident der diesjährigen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie in Mannheim.

    Herr Prof. Werdan, was ist die wichtigste Botschaft des diesjährigen Kardiologen-Kongresses?

    Prof. Werdan: Schwerpunktthema der Tagung waren Herzerkrankungen beim älteren Menschen, die in der Vergangenheit oft stark vernachlässigt wurden. Immer noch sind viele ältere Herzpatienten untertherapiert. Dies gilt zum Beispiel für die Behandlung der Hypertonie mit Antihypertensiva, deren Nutzen bei alten Menschen oft sogar noch besser ist als bei jüngeren Patienten. Denn im hohen Alter ist naturgemäß viel häufiger mit lebensbedrohlichen Herzkreislauf-Komplikationen zu rechnen, sodass sich die Therapie-Erfolge schon bei einer viel geringeren Patientenzahl zeigen, was sich mit der "number needed to treat" einfach in Zahlen ausdrücken lässt. Dabei sollte man bedenken, dass es nicht nur um die Verlängerung des Lebens geht, sondern auch um die Vermeidung schwerwiegender Komplikationen. Zum Beispiel ist jeder verhinderte Schlaganfall für einen alten Menschen als hoher Gewinn an Lebensqualität anzusehen.

    Warum werden ältere Menschen untertherapiert?

    Werdan: Schuld ist häufig die Besorgnis vor Nebenwirkungen, mit denen man alte Menschen nicht mehr belasten will. Dies ist eine häufige Begründung, warum ältere Patienten oft nicht in den Genuss nützlicher Therapien kommen. Doch statt alten Menschen wirkungsvolle Therapien komplett vorzuenthalten, sollte man lieber darauf achten, die Präparate vorsichtiger zu dosieren und langsamer aufzusättigen. Bei der Herzinsuffizienz ist im hohen Alter die Betablocker-Dosierung dann eben bis zur Erreichung der Zieldosis nicht alle zwei Wochen zu verdoppeln, sondern erst nach vier Wochen.

    Bezieht sich Ihre Kritik nur auf die medikamentöse Therapie?

    Werdan: Nein. Ähnliches gilt auch für invasive Maßnahmen. Zum Beispiel werden Herzkatheter-Behandlungen bei älteren Patienten immer noch zu selten durchgeführt, da erhöhte Komplikationsraten befürchtet werden oder der Benefit als zu niedrig angesehen wird. Beide Einschätzungen sind allerdings oft nicht richtig. Nach einer neuen Studie ist zum Beispiel der Nutzen von Herzkatheter-Behandlungen bei über 80-jährigen Angina pectoris-Patienten genauso hoch wie bei den 60-Jährigen. Schmerzen und die subjektive Gesundheitseinschränkung verbesserten sich bei den über 80-Jährigen sogar etwas mehr, während die Komplikationsrate nur unwesentlich höher war.

    Ähnliches gilt für die Aortenstenose, die eine häufige Ursache für Leistungseinschränkungen im höheren Alter darstellt. Denn auch bei alten Menschen lassen sich mit einem Klappen-Ersatz hervorragende Therapie-Erfolge erzielen, wenn zum Beispiel statt künstlicher Herzklappen eine Bioprothese zum Einsatz kommt und somit auf eine dauerhafte Antikoagulation verzichtet werden kann. Auch hier ist zu betonen, dass es nicht nur um die Lebensverlängerung geht, sondern zu einem großen Teil um die Lebensqualität. Sowohl die Leistungsfähigkeit als auch die Beschwerdearmut lassen sich bei alten Menschen mit einem solchen Klappen-Ersatz oft immens steigern.

    Worauf sind die Fortschritte der invasiven Verfahren zurückzuführen?

    Werdan: Zum einen werden die neueren OP-Techniken aufgrund der weiter ansteigenden Lernkurve immer besser beherrscht. Zum anderen hat es in der Vergangenheit zahlreiche Weiterentwicklungen in der perioperativen Intensivmedizin gegeben, wie etwa die schonenderen Beatmungstechniken. Insgesamt kommt man heute mit der Multimorbidität alter Patienten immer besser zurecht, sodass invasive Eingriffe auch im hohen Lebensalter auf einem sicheren Boden stehen. Früher war es zum Beispiel selbstverständlich, dass die Patienten nach einem Herz-Eingriff mehrere Tage auf der Intensivstation lagen, während heute viel früher extubiert wird und häufig schon am ersten postoperativen Tag die Verlegung auf Normalstation erfolgen kann.

    Ein interessanter Kongress-Punkt betraf den Einfluss von Depressionen auf die koronare Herzerkrankung, der in den letzten Monaten immer stärker betont wurde. Hat man diesen Zusammenhang in der Vergangenheit unterschätzt?

    Werdan: Schon lange gibt es Vermutungen, dass psychische Erkrankungen das Voranschreiten von Herzerkrankungen fördern. Der exakte Einfluss war jedoch über viele Jahre nicht klar gewesen. Allerdings zeigen nun aufwendige epidemiologische Untersuchungen, allen voran die unlängst publizierte Interheart-Studie mit 30000 Teilnehmern, dass depressive Syndrome das Risiko für eine koronare Herzerkrankung ungefähr verdoppeln. Insgesamt muss man sagen, dass Depressionen in Bezug auf Herzerkrankungen noch viel mehr Aufmerksamkeit erfahren müssen und ab sofort in einem Atemzug mit den klassischen Risikofaktoren wie Rauchen, Bluthochdruck, Diabetes mellitus oder Fettstoffwechselstörungen zu nennen sind.

    Nicht vergessen sollte man auch, dass rund jeder zweite Patient nach einem Herzinfarkt depressive Symptome entwickelt, die dem betreuenden Arzt nicht entgehen sollten. Aus diagnostischer Sicht hat sich dabei zum Beispiel die Verwendung standardisierter Fragebögen als überaus hilfreich erwiesen, mit denen sich die psychische Ebene nicht nur zeitsparend, sondern auch sehr zuverlässig erfassen lässt.

    Herr Prof. Werdan, wir bedanken uns für dieses Gespräch!

     
    Zoom Image