Laryngorhinootologie 2005; 84(11): 799-800
DOI: 10.1055/s-2005-870449
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zum Konsensus-Papier zum universellen Neugeborenen-Hörscreening in Deutschland

Editorial Comment on the German Consensus Paper on Neonatal Hearing ScreeningA.  Keilmann1
  • 1 Klinik für HNO und Kommunikationsstörungen der Universität Mainz
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Publication Date:
11 November 2005 (online)

Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass angeborene Hörstörungen in Deutschland mit den früher etablierten Methoden nicht rechtzeitig erkannt werden, dann wäre er durch die neueste Umfrage der Eltern und Freunde schwerhöriger Kinder erbracht worden: Die Umfrage bei den Eltern von Erst- und Zweitklässlern nach dem Zeitpunkt des ersten Verdachts, der Diagnosestellung und der Hörgeräteversorgung ergab im Jahr 2004 genau die gleichen Werte wie 4 Jahre zuvor, und auch in den letzten 25 Jahren hatte sich jeweils nur wenig verbessert [1]. Allerdings kann aufgrund der befragten Population damit nichts über den Effekt des Neugeborenen-Hörscreenings bei Kindern ab dem Jahrgang 1998 gesagt werden. Es ist zu vermuten, dass in diesen Jahrgängen aufgrund des Neugeborenen-Hörscreenings mehr Kinder rechtzeitig behandelt wurden.

Prof. Dr. med. Annerose Keilmann.

Bezug nehmend auf die Stellungnahme der Interdisziplinären Konsensus-Konferenz zum Neugeborenen-Hörscreening „Grundlagen für das Neugeborenen-Hörscreening (Standard of Care, [2])” erarbeitete eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Ärzten als Vertreter von 11 Fachgesellschaften, darunter Ärzte für Phoniatrie und Pädaudiologie, HNO-Ärzte, Kinderärzte, Frauenärzte und ein Epidemiologe eine Empfehlung für das Neugeborenen-Hörscreening. Die Vorstände der entsprechenden wissenschaftlichen Gesellschaften und der jeweiligen Berufsverbände stimmten diesen Empfehlungen ausdrücklich zu, obwohl die Finanzierung des Screenings und des Trackings derzeit noch nicht gelöst ist.

Eingangs werden als die beiden wichtigsten Ziele des Neugeborenen-Hörscreenings die Erfassung aller Neugeborenen und die Abklärung einer therapeutisch relevanten Hörstörung vor dem Ende des 3. Lebensmonats genannt.

Zur Erreichung dieser Ziele tragen eine umfassende Aufklärung der Eltern und der Öffentlichkeit, die zeit- und fachgerechte Untersuchung und die vollständige Dokumentation in regionalen Screening-Zentren bei, gleichzeitig soll die Belastung von Familien hörgesunder Neugeborener möglichst gering gehalten werden.

Kinder mit therapeutisch relevanten Hörstörungen sollen möglichst vor Ende des 6. Lebensmonats versorgt werden.

Weiter thematisiert das Konsensus-Papier den optimalen Zeitpunkt des Screenings, diskutiert die verschiedenen Methoden und fordert eine fortlaufende Dokumentation und Qualitätskontrolle.

Es wird ein dreistufiges Screening- und Konfirmations-Programm empfohlen. Kinder, die bei der ersten Untersuchung (ggf. mit Wiederholung) testaufällig bleiben, sollen innnerhalb von 4 Wochen erneut untersucht werden und bei erneutem Nichtbestehen einer Konfirmationsdiagnostik durch HNO-Ärzte und Fachärzte für Phoniatrie und Pädaudiologie unterzogen werden. Die Sicherung einer zeitnahen Konfirmationsdiagnostik setzt ein funktionstüchtiges Tracking voraus, ohne eine solche Nachverfolgung durch ein Screening-Zentrum geht die Hälfte der testauffälligen Kinder verloren.

Schließlich wird die notwendige Diagnostik und Nachsorge bei den Kindern, die sich als hörgestört herausgestellt haben, beschrieben.

Für Deutschland ist es derzeit aufgrund der nicht hinreichenden Datenlage nicht möglich, die Kosten für ein generelles Neugeborenen-Hörscreening abzuschätzen und damit auch seine Effektivität zu beweisen. Auf die generelle Problematik, die Effektivität eines generellen Neugeborenen-Hörscreenings zu beweisen, geht Yoshinago-Itano sehr detailliert ein. Insgesamt kommt sie jedoch zu dem Schluss, dass das Alter bei der Diagnosestellung und der Beginn der Behandlung gesenkt werden können und sich das Ergebnis der Intervention, insbesondere im Hinblick auf die Sprachentwicklung, nachweislich bessern lässt [3].

Es bleibt zu hoffen, dass auch in Deutschland in der Zusammenarbeit aller Disziplinen, die an der Ausarbeitung des Konsensus-Papieres beteiligt waren, bald ein flächendeckendes Neugeborenen-Hörscreening einschließlich eines konsequenten Trackings und einer rechtzeitigen kompetenten Nachsorge verwirklicht wird.

Literatur

  • 1 Hartmann H, Hartmann K. Nach wie vor „Spät”erkennung. Erste Ergebnisse der 8. bundesweiten Befragung zur Früherkennung hörgeschädigter Kinder in Deutschland.  Spektrum Hören. 2/2005;  20-22
  • 2 Ptok M. Grundlagen für das Neugeborenen-Hörscreening (Standard of Care) - Stellungnahme der Interdisziplinären Konsensuskonferenz für das Neugeborenen-Hörscreening.  HNO. 2003;  51 876-879
  • 3 Yoshinago-Itano C. Levels of evidence: universal newborn hearing screening (UNHS) and early hearing detection and intervention systems (EHDI).  J Com Dis. 2004;  37 51-465

Prof. Dr. med. Annerose Keilmann

Klinik für HNO und Kommunikationsstörungen

Langenbeckstraße 1 · 55101 Mainz

Email: keilmann@kommunikation.klinik.uni-mainz.de

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