Aktuelle Ernährungsmedizin 2005; 30(4): 194-196
DOI: 10.1055/s-2005-866934
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Künstliche Ernährung - Stehen wir wieder am Anfang?

Die Ergebnisse der FOOD trials an Patienten nach einem SchlaganfallArtificial Nutrition - Are We Still at the Beginning?The Results of FOOD Trials on Stroke PatientsM.  J.  Müller1
  • 1Institut für Humanernährung und Lebensmittelkunde, Christian-Albrechts-Universität, Kiel
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Publication Date:
29 July 2005 (online)

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Technischer Fortschritt, sichere Anwendung sowie wissenschaftlich begründete und leitliniengestützte Konzepte kennzeichnen heute die künstliche Ernährung. Dieses erklärt ihre weite Verbreitung im klinischen und ambulanten Bereich. Natürlich wissen wir nicht alles, aber: Wir sind uns nahezu unumstößlich sicher, dass Mangel und Malnutrition negativ und eine adäquate Versorgung mit Nährstoffen positiv auf den Verlauf schwerer Krankheiten wirken. Diese grundsätzlich positive Wertschätzung der künstlichen Ernährung lässt uns gelegentlich auch Grenzen überschreiten und der Ernährung oder auch einzelnen Nährstoffen sogar therapeutische Bedeutung beimessen. Doch manchmal kommt es anders und dann müssen wir noch einmal überlegen.

Die so genannte FOOD (feed or ordinary diet) trials sind 3 miteinander zusammenhängende internationale Multizenterstudien, deren Autoren (überwiegend Neurologen aus der so genannte stroke community in Zusammenarbeit mit der Cochrane-Gruppe) die Bedeutung der Ernährung bei Patienten nach einem Schlaganfall untersucht haben ([1] [2]; vgl. Editorial in [3]). In einer 1. randomisiert an insgesamt 4023 Patienten durchgeführten Untersuchung [1] zeigte sich über eine Beobachtungszeit von 6 Monaten kein günstiger Einfluss von oral verabreichten Nahrungssupplementen (zusätzliche Gabe von etwa 550 kcal und 22,5 g Eiweiß pro Tag) auf den klinischen Verlauf und die Mortalität. In der Gruppe der unterernährten Patienten (8 % der Studienpopulation) wurde ein schwacher, aber nicht signifikanter Effekt (Odds Ratio 0,78 bzw. 0,87 bei Tod und ungünstigem Verlauf bzw. Tod alleine) beobachtet. Das Studiendesign war geeignet, Unterschiede von 4 % zu erkennen. Im Vergleich zu früheren Untersuchungen zu diesem Thema wurden in den FOOD trials etwa 10-mal mehr Patienten rekrutiert. Zum Nachweis eines möglichen Nutzens von 1 - 2 % hätten die Autoren 20 000 - 40 000 Patienten rekrutieren müssen. In einer 2. Untersuchung [2] wurde der Effekt einer frühzeitigen (d. h. innerhalb der 1. Woche nach Aufnahme begonnenen) Sondenernährung bei Patienten mit Schluckbeschwerden untersucht. Im Vergleich zu Patienten, die erst zu einem späteren Zeitpunkt ernährt wurden, fand sich kein nachweisbarer Nutzen einer frühzeitigen Sondenernährung. Entgegen der Erwartung wurden in der frühzeitig ernährten Gruppe sogar mehr Patienten mit einem im Hinblick auf die Rehabilitation ungünstigen Verlauf beobachtet. Im 3. Teil der FOOD trials [2] wurde die Technik der enteralen Ernährung (nasogastrale Sonde versus PEG) hinterfragt. Die frühzeitige Ernährung über eine PEG zeigte im Vergleich zur nasogastralen Sonde einen ungünstigeren klinischen Verlauf und eine höhere Mortalität der Patienten. Diese Ergebnisse sprechen dafür, Patienten mit Schluckstörungen primär über eine nasogastrale Sonde und nicht über eine PEG zu ernähren. Zusammengefasst stellen die Befunde der FOOD trials die Sinnhaftigkeit von Nahrungssupplementen und auch der frühzeitigen enteralen Ernährung sowie ihrer heute bevorzugten Techniken (PEG) bei Patienten nach einem Schlaganfall infrage. Dieses widerspricht den DGEM-Leitlinien [4]. Müssen wir uns also neu positionieren und Antworten auf die folgenden Fragen finden?

Literatur

Prof. Dr. med. Manfred James Müller

Institut für Humanernährung und Lebensmittelkunde · Agrar- und Ernährungswissenschaftliche Fakultät · Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

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