Laryngorhinootologie 2005; 84(4): 288-290
DOI: 10.1055/s-2005-861212
Rechtsprechung
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Anerkennung eines Kehlkopfkarzinoms nach Einwirkung ionisierender Strahlen als Berufskrankheit

Bundessozialgericht, Urteil vom 18. 8. 2004 - B 8 KN 1/03 U R -Acknowledgement of a Laryngeal Carcinoma after Exposure to Ionising Radiation as an Occupational DiseaseO.  Walter, A.  Wienke
Further Information

Publication History

Publication Date:
14 April 2005 (online)

Sachverhalt

Das Bundessozialgericht (BSG) hat in seinem Urteil vom 18. 8. 2004 über die Anerkennung eines Kehlkopfkarzinoms als Berufskrankheit nach Einwirkung ionisierender Strahlen entschieden. Betroffen war ein Zechenarbeiter, der seit September 1951 bei der Staatlichen Aktiengesellschaft/Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut im Abbau von Uranerz beschäftigt war. Er arbeitete dort bis Ende 1977 unter Tage als Zechenarbeiter, Lokbegleiter und Hauer. Im August 1988 wurde bei ihm ein Plattenepithelkarzinom am Larynx nachgewiesen, das im September 1988 operativ entfernt wurde; anschließend erfolgte eine Strahlenbehandlung. Zu Rezidiven kam es nicht; infolge der Operation war der Zechenarbeiter allerdings sprachbehindert.

Im Oktober 1998 beantragte der Zechenarbeiter und spätere Kläger bei der zuständigen Berufsgenossenschaft (BG) die Anerkennung seiner Sprachbehinderung als Berufskrankheit. Hinsichtlich der berufsbedingt in Betracht kommenden Strahlenexposition errechnete die BG eine kumulative Belastung des Klägers von 263,17 WLM (= working level months) hinsichtlich der Radonfolgeprodukte und eine kumulative Äquivalentdosis (= Dosis in Körpergeweben, summiert über alle Komponenten der Exposition) von 22,07 Sievert (Sv). Daraus ergab sich auf der Grundlage eines Gutachtens des Instituts für Strahlenschutz von März 1995 (W. Jacobi und P. Roth) über die Verursachungswahrscheinlichkeit von extrapulmonalen Krebserkrankungen durch Strahlenexposition von Beschäftigten der ehemaligen Wismut AG eine Verursachungswahrscheinlichkeit von 52,3 %.

Der beratende Arzt der BG vertrat die Auffassung, bei Auswertung aller epidemiologischen Untersuchungen und der verfügbaren medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisse lasse sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Exposition und der Erkrankung des Klägers nicht wahrscheinlich machen.

Gleichwohl gab die BG ein weiteres strahlenmedizinisches Gutachten nach Aktenlage in Auftrag. Nach diesem Gutachten hatten internationale epidemiologische Studien an großen Uranbergarbeiter-Kollektiven bislang zwar keine signifikante Häufung von extrapulmonalen Krebserkrankungen im Vergleich zu deren Auftreten in der Normalbevölkerung erbracht. Jedoch sei davon auszugehen, dass ionisierende Strahlen nahezu alle bösartigen Neoplasien hervorrufen könnten. Gesicherte Dosis-Risiko-Beziehungen bestünden im Sinne der so genannten Verdoppelungsrate gegenüber der Spontanrate der Normalbevölkerung im Allgemeinen nach Überschreiten einer Ganzkörperdosis von etwa 1 bis 2 Sv. Dabei stelle vor allem das Lebensalter zum Zeitpunkt der Strahleneinwirkung eine variierende Größe dar; jugendliche Personen seien besonders strahlenempfindlich. Das Gutachten wies ferner darauf hin, dass strahlenbiologisch-epidemiologische Ergebnisse der Life-span-study an ca. 95 000 Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki dosimetrisch begründete Kausalitätskriterien stützten, denen auch strahlen- und arbeitsmedizinische Experten zugestimmt hätten. Auch dem Hauptverband der Berufsgenossenschaften sei nachdrücklich empfohlen worden, diese wissenschaftlich abgesicherte dosimetrische Vorgehensweise bei der Begründung der Kausalität bei extrapulmonalen Tumoren nach Wismut-Expositionen zu folgen. Bei Anwendung dieser Grundsätze sei die Verursachung der Erkrankung des Klägers durch die ionisierenden Strahlen während seiner Wismut-Tätigkeit überwiegend wahrscheinlich; die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 40 %.

Dennoch lehnte die BG mit Bescheid vom 12. 2. 1999 die Anerkennung der Berufskrankheit des Klägers ab und wies auch seinen Widerspruch mit der Begründung zurück, für extrapulmonale Krebserkrankungen sei nach gegenwärtigem Erkenntnisstand ein ursächlicher Zusammenhang nicht wahrscheinlich zu machen.

Nachdem sowohl das Sozialgericht als auch das LSG dem Kläger eine Verletztenrente zugesprochen hatten, legte die BG schließlich Revision zum Bundessozialgericht ein.

Rechtsanwalt O. Walter,
Rechtsanwalt Dr. A. Wienke

Wienke & Becker - Köln · Rechtsanwälte ·

Bonner Straße 323 · 50968 Köln

Email: OWalter@Kanzlei-WBK.de