Zentralbl Chir 2005; 130(5): W58-W71
DOI: 10.1055/s-2005-836926
Weiterbildung

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Therapie bei Azetabulumfrakturen - aktuelle Diagnostik und Behandlungsstrategie

Fractures of the Accetabulum - Treatment Strategies and Actual DiagnosticsU. Culemann1 , G. Tosounidis1 , T. Pohlemann1
  • 1Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar
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Publication Date:
11 October 2005 (online)

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Azetabulumfrakturen stellen im Rahmen von Beckenverletzungen eine eigene Entität dar. Durch die anatomische Konstruktion des Azetabulums, das sich aus Anteilen des Darm-, Scham- und Sitzbeines zusammensetzt, und durch seine biomechanische Bedeutung als direkter Lastüberträger von der Wirbelsäule auf beide Beine, nimmt es als Gelenk eine zentrale Stellung im Beckenring ein.

Frakturen des Azetabulums galten lange Zeit nur als konservativ erfolgreich therapierbar. Durch grundlegende Arbeiten von Judet und Letournel [13], der stetigen Verbesserung der systematisierten Röntgenanalyse und der daraus abgeleiteten Klassifikationen und Therapiemöglichkeiten konnte sich auch die operative Behandlung der Azetabulumfraktur etablieren [2] [6] [8] [10] [15] [16] [18] [33]. Dabei wurden auch heute noch verwendete vordere und hintere Standardzugänge vordere und hintere Standardzugängezum Azetabulum (Kocher-Langenbeck, Ilioinguinaler Zugang) [4] [12] [17] [18] entwickelt, die als echte „Arbeitspferde” in über 90% der Frakturtypen zu einer vollständig anatomischen Rekonstruktion der Fraktur genutzt werden können. Diese operativen Standardzugänge wurden dann in den 80er-Jahren zur einzeitigen Versorgung von problematischen Frakturen wie Zweipfeiler- oder T-Frakturen um weitere so genannte „ausgedehnte Zugänge” ergänzt (z. B. erweiterter iliofemoraler Zugang und Maryland-Modifikation) [1] [11] [24] [25] [29] [32] [35]. Aufgrund der peri- und postoperativen Komorbidität fanden die erweiterten Zugänge jedoch keine weite Verbreitung und werden heute nur noch bei ausgewählten Frakturtypen sowie Spätrekonstruktionen angewendet [7] [9] [19] [29] [30] [35].

Eine primäre oder sekundäre Gelenkkongruenz oder minimale Dislokation bei radiologisch sichtbarer Fraktur stellt auch heute noch in über 50 % der Fälle eine Indikation zum konservativen Vorgehen dar [6] [10] [21] [33]. Ebenso können Komorbidität oder anderweitige Kontraindikationen zu einer konservativen Behandlungsstrategie zwingen. Die geschlossene Reposition und Extensionsbehandlung dislozierter Frakturen ohne sichere Herstellung einer Gelenkkongruenz sollte aber unter heutigen Patientenerwartungs- und Kostengesichtpunkten nur noch Einzelfällen vorbehalten bleiben.

Es ist eine Tatsache, dass eine Stufenbildung oder fehlende Kongruenz jedes Gelenk frühzeitig zur Zerstörung bringen wird, dies gilt unabdingbar auch für Azetabulumfrakturen. Bei fehlenden Kontraindikationen stellt daher die operative Rekonstruktionoperative Rekonstruktion der azetabulären Gelenkfläche die einzig sichere Möglichkeit der anatomischen Wiederherstellunganatomischen Wiederherstellung und damit den einzigen LangzeitschutzLangzeitschutz vor vorzeitig einsetzender Arthrose dar [6] [20].

Eine besondere Gruppe stellen Azetabulumfrakturen dar, die trotz anatomischer Gelenkrekonstruktion zu einer frühzeitigen Arthrose führen. Hier hat entweder bereits aufgrund des zum Unfallzeitpunkt einwirkenden Traumas eine irreparable Gelenkknorpelschädigung stattgefunden, oder es liegen zusätzliche schädigende Begleitparameter der Fraktur wie Impressionszonen, Durchblutungsstörungen des Hüftkopfes oder freie intraartikuläre Gelenkkörper vor. Vergleichbare Einflüsse können sich auch durch den chirurgischen Eingriff selbst entwickeln, wie z. B. durch Narbenbildung oder avaskuläre Nekrosen reponierter Fragmente. In dieser Gruppe stellt die operative Vorbereitung des Azetabulums zur dann notwendigen kurzfristigen Implantation einer Hüft-TEP das einzig mögliche Ziel dar [22] [31] [34]. Leider lässt sich diese Gruppe auch heute nicht eindeutig bereits im Vorfeld anhand sicherer Kriterien identifizieren.

Weiterentwicklungen der Azetabulumchirurgie werden derzeit weniger durch Veränderungen der operativen Technik oder der Zugänge beeinflusst, sondern vielmehr durch Fortschritte in der
bildgebenden DiagnostikFortschritte in der bildgebenden Diagnostik, hier insbesondere in der computertomographischen Darstellung des Azetabulums. Die präoperativ entscheidende Festlegung auf den operativen Zugang mit den entsprechenden Beschränkungen, entweder über den vorderen Zugang nicht genug von der hinteren Pfeilerfraktur reponieren zu können, oder über den hinteren Zugang nicht die vordere Pfeilerfraktur ausreichend zu kontrollieren und die Schwierigkeiten der dreidimensionalen Umsetzung des Frakturverlaufes führten zu einem hohen Bedarf ausgefeilter computertomografischer Frakturdarstellungen. Insbesondere die multiplanare Rekonstruktion und 3-D-Darstellung erhöht die Treffsicherheit der Klassifikation und damit die richtige Wahl des Zuganges entscheidend. Daher sollten intraoperative „Überraschungen” heute der Vergangenheit angehören.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Schlüssel einer erfolgreichen operativen Therapie bei Azetabulumfrakturen die Qualität der absolut anatomischen Gelenkrekonstruktion und hier insbesondere die sichere Reposition und Retention der Gelenkfragmente ist. Insofern stellen die Entscheidungsfindung und Operationsplanung mit Wahl des Zuganges, Vorgehen bei der Reposition und Wahl des Implantates zur Fragmentretention die zentralen Kriterien bei der erfolgreichen Behandlung einer Azetabulumfraktur dar und werden deshalb im weiteren einen zentralen Stellenwert in der Darstellung einnehmen.

Literatur

Dr. Ulf Culemann

Oberarzt der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie · Universitätsklinikum des Saarlandes

Kirrberger Str. 1

66421 Homburg/Saar

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Email: dr.ulf.culemann@uniklinikum-saarland.de