B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2005; 21(1): 33-35
DOI: 10.1055/s-2005-836294
RECHT

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Rechtliche Problematik der Behandlung von Patienten durch Bewegungs- und Sporttherapeuten

Teil 2 des Beitrages aus B & G 6/2004E. Boxberg1
  • 1Justiziar des DVGS e. V., Vogelsanger Weg 48, 50354 Hürth
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Publication Date:
21 February 2005 (online)

Damit war allerdings noch keine Nachbesserung für alle vorkommenden medizinischen Fachberufe geschaffen. Drei Gruppen blieben noch übrig. Da waren zunächst die im Inland ausgebildeten Heilberufsträger, die auf eine anerkannte, aber nicht durch ein Berufsgesetz oder durch Ausbildungs- und Prüfungsregeln bundes- oder landesweit geltende Bestimmungen zurückblicken konnten. Hierzu gehören die Sprachheilpädagogen, die Sporttherapeuten, die Musiktherapeuten, die Motopäden usw. Diese Berufe sind allesamt Hochschul- oder Fachhochschulberufe. Obwohl eine entsprechende Rechtsprechung von Obergerichten lange Zeit nicht vorlag, kann man als Legitimation für die selbständige Betätigung dieser Mitglieder medizinischer Fachberufe die Hochschulsatzungen betrachten, die zwar von Hochschule zu Hochschule verschieden sind, aber im Ergebnis analog zu den Berufsgesetzen und Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen Rechtsgrundlage des erlernten Berufs sind. Heute liegt eine höchstrichterliche Regelung durch eine Entscheidung des Bundessozialgerichts vor: „Leistungsanbieter mit einer Hochschulausbildung müssen hingegen, soweit ihr Beruf nicht gesetzlich geregelt ist, nur nachweisen, dass sie die Voraussetzungen der einschlägigen kultusministeriell genehmigten Studien- und Prüfungsordnung erfüllen.” Eine zweite Gruppe bildet die Berufe, denen weder ein Berufsgesetz oder Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen zugrunde liegen, die aber auch nicht Gegenstand einer Universitätsausbildung sind. Hierzu gehört beispielsweise der Heileurythmist. Der Heileurythmist ist ein privat auf einer privaten Schule ausgebildeter Berufsträger, dessen Berufsbild noch nie vom Staat oder einer staatlichen Stelle fixiert oder festgeschrieben wurde. Das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht, hatte in einem erst jüngst ergangenen Urteil festzustellen, ob der Heileurythmist, wenn er die beruflich erlernte Tätigkeit ausübt, Leistungen erbringt, die der Mehrwertsteuer unterliegen oder nicht mehrwertsteuerbar sind. Das Bundesverfassungsgericht prüfte inzidenter, ob denn dieser Heileurythmist überhaupt selbständig berufliche Leistungen erbringen könne. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff der beruflichen Betätigung im Sinne unserer Verfassung betrachtet. Nach Artikel 12 GG ist Beruf (Berufsausübung, Berufswahl) ein institutionell geschütztes Rechtsgut und wird definiert als jedwede Tätigkeit, die von einer Person ausgeübt werden kann und der Bestreitung des Unterhalts dieser Person und gegebenenfalls weiterer Personen (seiner Familie) dient. Die Tätigkeit braucht nicht reglementiert zu sein oder zu den tradierten Berufsbildern gehören. Sie kann eine selbst gewählte Tätigkeit sein. Hauptsache ist nur: sie ist nicht verboten. Diese Auffassung führt zwangsläufig dazu, dass der Heileurythmist, aber auch der Osteopath oder der tibetische Arzt, der ayurvedische Doktor oder der TCM-Heiler Berufe ausüben, die den vollen Schutz der Verfassung (in Artikel 12 GG) genießen. Jeder in der Bundesrepublik Deutschland kann also einen der vorgenannten Berufe erlernen, ohne dass die Möglichkeit besteht, dass er hierbei vom Staat behindert oder ihm die Berufswahl sogar unmöglich gemacht wird. Infolge solcher Feststellungen kam das Bundesverfassungsgericht auch zu der Erkenntnis, dass der Heileurythmist sehr wohl eine erlaubte selbständige Tätigkeit im Gesundheitswesen ausübt, obwohl seine Ausbildung staatlicherseits nicht kontrolliert oder auch nur begleitet wird. In diesem Zusammenhang verweise ich auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29.10.1999, AZ: 2 BvR 1264/90, zur Frage der Umsatzsteuerbefreiung heileurythmistischer Tätigkeit in dem öffentlichen Gesundheitswesen. Die Ausführungen zum Schutz der Berufswahl und Berufsausübungsfreiheit sind in zitierten anderen verfassungsgerichtlichen Entscheidungen enthalten und aus diesem Urteil nur bedingt herauslesbar. Was an dieser Stelle für den Heileurythmisten gesagt wird, kann in gleicher Weise auch für den Osteopathen Anwendung finden, wenngleich auch hier eine Besonderheit vorliegt: Der Heileurythmist entsteht durch die Aktivität einer kleinen Schule, welche Heileurythmie lehrt. Ansonsten ist die Tätigkeit in der Welt unbekannt. Der Osteopath ist ein in manchen Ländern (USA, Belgien usw.) anerkannter Beruf. Die Betätigung in diesem Beruf ist lediglich in der Bundesrepublik Deutschland durch das (falsch interpretierte) Heilpraktikergesetz nicht zulässig. Dieselbe Nachbesserung, die im Hinblick auf das fehlerhafte Heilpraktikergesetz notwendig war, muss in gleicher Weise jetzt auch für den Beruf des Bewegungs- und Sporttherapeuten Anwendung finden. Dabei müssen wir auf eine Besonderheit hinweisen. Der Bewegungs- und Sporttherapeut hat zunächst einen Beruf - meist den Hochschulberuf des Diplomsportlehrers oder Sportwissenschaftlers - erlernt. Hierbei wurden die Hochschulen vom DVGS e. V. durch die Überlassung von Ausbildungscurricula unterstützt. Nach Abschluss der Studien muss der Absolvent je nach erlernten Studieninhalten weitere Praktika durchlaufen, um die Berufsbezeichnung „Bewegungs- und Sporttherapeut” zuerkannt zu bekommen. Der Hochschulabschluss und der Berufsabschluss „Bewegungs- und Sporttherapeut” sind also verschiedene Dinge. Wer aber verleiht die „Erlaubnis der Berufsbezeichnung”? Diese Frage konnte lange Zeit nicht sicher beantwortet werden, und die gleiche Frage betrifft auch die Belange manch anderer Berufe im Gesundheitswesen. Der Osteopath, der Heileurythmist, der klinische Linguist - nur um einige Beispiele zu nennen - üben Berufe aus, die unter dem vollen Schutz der Verfassung stehen. Keiner kann die Berufswahl, Osteopath zu werden, beeinflussen oder gar stören. Für die Ausübung des Berufs gilt jedoch ein Weiteres. Artikel 12 Abs. 2 GG bestimmt, dass die ungehinderte Betätigung im Beruf nur von einem Gesetz (und nicht durch untergesetzliche Bestimmungen, Richtlinien, Verträge usw.) beschnitten werden kann. Das bedeutet: Ein Gesetz könnte nicht die Berufswahl, aber die Berufsausübung behindern. Kommt ein Gesetz hierzu in Betracht? Natürlich, das Heilpraktikergesetz. Das Heilpraktikergesetz kann allerdings im Hinblick auf den Beruf des Bewegungs- und Sporttherapeuten nicht in seiner (fehlerhaften) redaktionellen Fassung Anwendung finden, ohne dass die vielen Nachbesserungen, die im Hinblick auf das Gesetz durch die Rechtsprechung stattfanden, entsprechend berücksichtigt werden. Dies wiederum bedeutet, dass im Hinblick auf die zu enge Fassung des Heilpraktikergesetzes alle Berufsgesetze, Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen, herangezogen werden müssen, um das Gesetz zu erweitern. Auch heilkundliche Tätigkeiten, die nicht aufgrund eines bestehenden Berufsgesetzes oder auf Bestehen der Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen ausgeführt werden, für die es jedoch Hochschulsatzungen gibt, müssen Akzeptanz finden, und letztendlich unter dem Gesichtspunkt des erlaubten Berufs müssen auch diese Tätigkeiten gestattet werden, die von einem Einzelnen aufgrund des von ihm getroffenen Entschlusses als Beruf gewählt wurden, und mit denen er sein Dasein finanziert. Das Heilpraktikergesetz kann also auch auf den Beruf des Bewegungs- und Sporttherapeuten nicht in der fehlerhaften Form Anwendung finden, sondern nur in der Form, in der es durch die Rechtsprechung und Rechtslehre nachgebessert wurde. Damit wäre aber auch schon das Ergebnis erarbeitet: Durch eine durch die Rechtsprechung und Rechtslehre durchgeführte Korrektur des Heilpraktikergesetzes kann die berufliche Betätigung in der Bewegungs- und Sporttherapie keiner Person verwehrt bleiben. Lange Zeit hat man auf eine dogmatische Begründung dieser Rechtsansicht warten müssen. Ja, man war sogar gehindert, diese Rechtsansicht bis zu einer in der Praxis brauchbaren Anwendung durchzusetzen. Betrachten wir einmal § 124 Abs. 2 SGB V. Nach dieser gesetzlichen Regelung ist zur Leistungserbringung von Heilmittelleistungen zuzulassen, wer u. a. eine „zur Führung der Berufsbezeichnung berechtigende Erlaubnis besitzt”. Wenn nun - wie wir gesehen haben, bei den reglementierten Berufen die entsprechenden Berufsgesetze und Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen, bei den Hochschulberufen die „einschlägigen kultusministeriell genehmigten Studien- und Prüfungsverordnungen” das Recht zur Führung der Berufsbezeichnung (bei bestandener Prüfung) vermitteln, wer vermittelt dieses Recht bei den übrigen Berufen (ohne die gesetzlichen oder satzungsmäßigen Regeln)? Um uns einer Antwort zu nähern, sollten wir die Entwicklung der Handhabung bis zur jetzigen Endregelung betrachten:

Ein Großkommentar (von Maydell) schrieb 1991: „Die Ausbildung der von § 124 erfassten Dienstleistungserbringer ist, wie andere Ausbildungsgänge auch, gesetzlich geregelt”. Hiermit wurden nur die reglementierten Berufe erfasst. 2002 fragte ein anderer Kommentar (Hauk/Haines): „Fraglich ist, ob nach § 124 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 auch die Zulassung von beruflichen ‚Außenseitern’ zulässig ist” und bejahte die Frage mit dem Hinweis, dass „auch in derartigen Fällen die erforderliche berufliche Qualifikation aufgrund einer fachlichen Ausbildung nachgewiesen” werden müsse. Man war vom gesetzlich geregelten Beruf abgerückt. Das Bundesverwaltungsgericht urteilte: „Dass es sich … nicht um ein gesetzlich geregeltes Berufsbild handelt, ist im vorliegenden Zusammenhang unerheblich, § 124 SGB V keine hierauf begrenzte Zulassungsregelung”. Die Vorschrift verlangt für die Zulassung lediglich den Nachweis „der für die Leistungserbringer erforderlichen Ausbildung sowie den Besitz einer entsprechenden Führung der Berufsbezeichnung berechtigenden Erlaubnis”. Letztlich stellt das Gericht im konkret zur Überprüfung anstehenden Fall fest: „Da es nicht um eine gesetzlich geregelte Berufsbezeichnung geht, reicht hier der Nachweis einer fachlichen Qualifikation durch einen Berufsverband … aus”.

Damit wurde festgeschrieben, dass auch ein Berufsverband aufgrund eines vorgeprägten Leistungsbildes und bei Einhaltung entsprechender Curricula der Ausbildung und Prüfung die gesetzlich geregelte Berufsbezeichnung durch eine verbandlich geregelte ersetzten kann. Die noch offene Frage kann also so beantwortet werden: „Der DVGS wird nach nachgewiesener Qualifikation die Berechtigung zur Ausübung als Bewegungs- und Sporttherapeut aussprechen.”

Auffallend ist eine weitere gesetzliche Regelung. Im Ertragssteuerrecht und im Umsatzsteuerrecht (in § 18 EStG und § 4 Nr. 14 UStG) hat man neben den Katalogberufen „Die ähnlichen Berufe” und die „ähnliche heilberufliche Tätigkeit”. Um diesen Anforderungen zu genügen, forderte man zunächst eine staatliche Erlaubnis (in einem reglementierten Beruf). Jetzt reicht im Umsatzsteuerrecht schon aus, dass die Erlaubnis zur Ausübung der Berufsbezeichnung, dass „diese nicht ausschließlich durch eine staatlich reglementierte Ausbildung und Prüfung gewährleistet wird”.

Würde man an dieser Stelle stehen bleiben, so hätte man die durch die Rechtsprechung und Rechtslehre getroffene Nachbildung des Heilpraktikergesetzes nicht in seiner Gänze erfasst. Was würde nämlich geschehen, wenn jemand durch die Ausübung der Bewegungs- und Sporttherapie Fehler veranlasst, die zu gesundheitlichen Schäden des Patienten führen? Ein solcher Schadensfall kann auch nur dadurch auftreten, dass ein Therapeut einen Patienten nicht rechtzeitig zum Arzt schickt, wenn er erkennt (oder aus Verletzung seiner Sorgfaltspflicht nicht erkennt), dass ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden muss.

Eines hatte man jedoch in diesem Zusammenhang schon erkannt. Wenn die Mitglieder der medizinischen Fachberufe selbständig - also ohne Präsenz des Arztes - ihren Beruf ausüben dürfen, dann ist generell nicht auszuschließen, dass bei der Ausübung solcher Tätigkeit die rat- und Hilfe suchenden Patienten, die behandelt werden, zu Schaden kommen können. Deshalb band die Rechtsprechung die Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde für die Mitglieder der medizinischen Fachberufe an den Vorbehalt, dass die berufliche Betätigung des Heilkundigen beim Patienten keinen Schaden auslösen könne. Diese Schadensvermeidung ist natürlich kein erfolgsorientiertes Merkmal, welches für den Fall des Eintritts in einer konkreten Situation haftungsrechtliche, berufsrechtliche oder gar strafrechtliche Folgen zum Nachteil des Heilkundigen auslöst. Der Heilkundige hat vielmehr mit der im Verkehr gebotenen Sorgfalt darauf zu achten, dass er eine heilkundliche Tätigkeit nur dann übernimmt, wenn diese ohne schädliche Folgen für den behandelten Patienten verlaufen wird. Verletzt er diese Sorgfaltspflicht, dann hat er - je nach Lage des Einzelfalles - leichte oder gar grobe Fahrlässigkeit und damit die schuldhafte Verursachung eines Körperschadens zu vertreten.

Bei genauer Betrachtung des hier beschriebenen Sachverhaltes ist die Aufgabe des Mitgliedes eines medizinischen Fachberufes gar nicht so einfach zu sehen, wie jene Vertreter, die an die legitimierende Voraussetzung der ärztlichen Verordnung glauben, dies gerne tun möchten. Natürlich ist die Entscheidung eines Therapeuten einfacher, wenn der Arzt eine bestimmte, durch ihn auszuführende Therapie durch die Ausstellung seiner Verordnung vorgibt, weil in diesem Falle ja hoch qualifiziertes Fachwissen am Werke war. Im gesetzten Berufsrecht (nicht im Leistungs- oder Leistungserbringungsrecht) fehlt es an der Forderung einer ärztlichen Verordnung als Handlungsvoraussetzung für den Therapeuten. Es muss also dabei bleiben, dass der Therapeut - ob mit oder ohne ärztliche Verordnung - mit der vom Gesetzgeber geforderten - im Verkehr üblichen - Sorgfalt darauf zu achten hat, dass seine Betätigung ohne schädliche Folgen für den Patienten bleibt.

Die Rechtsprechung geht noch einen Schritt weiter. Die Augeninnendruckmessung wurde zeitweise von Optikern ausgeführt. Diese Tätigkeit war so verbreitet, dass es der Allgemeinheit als Regel erschien, dass diese Tätigkeit dem genannten Berufsstand zuzuordnen sei. Medizinisch ist dieser Standpunkt jedoch problematisch. Mediziner glauben, dass diese Tätigkeit den Augenärzten vorbehalten bleiben muss. Für die Justiz galt es daher, einer landesweit verbreiteten Fehleinschätzung vorzubeugen, weil verhindert werden sollte, dass der Allgemeinheit ein Schaden droht. Die Rechtsprechung übernahm also die Aufgabe, die Ausübungsbefugnis heilkundlicher Tätigkeit durch die Mitglieder der medizinischen Fachberufe nicht nur an das Merkmal der Schadensfernhaltung vom Patienten zu binden, sondern auf den Umstand auszudehnen, dass auch eine Schadensbedrohung der Allgemeinheit nicht eintreten dürfe.

Für die allgemeine Anwendung einer jeden Ausübung der Heilkunde hat der BGH ein sicheres Reglement getroffen, um Schaden von Patienten fern zu halten. Der BGH hat entschieden, dass jede Betätigung der Ausübung der Heilkunde nur im Rahmen des „sicheren Könnens” des Ausübenden stattfinden dürfe. Das sichere Können ist also eine Betätigungsgrenze, die bei jedem die Heilkunde Ausübenden angewandt wird. Sollte der Augenarzt eine Blinddarmoperation vornehmen, so ist im Falle des Misslingens die Grenze des sicheren Könnens überschritten worden. Sollte der Physiotherapeut Manipulationen an der Wirbelsäule vornehmen und hierdurch ein Schaden entstehen, so ist die Grenze des sicheren Könnens ebenfalls überschritten.

Dr. Ernst Boxberg

Justiziar des DVGS e. V.

Vogelsanger Weg 48

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