Notfall & Hausarztmedizin (Hausarztmedizin) 2004; 30(12): 598-600
DOI: 10.1055/s-2004-862768
Medizin & Internet

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Medizin-Information: Zensur pur?

Arzneimittel-Webseiten-Verordnung (AMWebV)Rainer H. Bubenzer
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Anschrift des Verfassers

Rainer H. Bubenzer(DJV, KdM)

Medizin- und Wissenschaftsjournalist multi MED vision / presseteam volksdorf -hamburger medizinredaktion

Borselstraße 9

22765 Hamburg

Phone: 040/41912873

Fax: 040/41912877

Email: Rainer@Bubenzer.com

Publication History

Publication Date:
24 January 2005 (online)

Table of Contents

Obwohl der Kunde bei uns König sein sollte, obwohl - gerade bei chronischen Erkrankungen - viele betroffene Patienten hochqualifizierte Experten ihrer eigenen Erkrankung sind, obwohl die meisten Verantwortlichen im Gesundheitswesen gerne und vollmundig den selbstverantwortlichen, mündigen Patienten fordern - passiert in Deutschland genau das Gegenteil. Nicht nur, dass das Heilmittelwerbegesetz (HWG) eine scharfe, nach Zensur schmeckende Trennlinie im Informationsangebot für Patienten zieht, die streng zwischen erlaubt und unerlaubt unterscheidet, nicht nur, dass niedergelassene Ärzte praktisch keine Werbung für ihre spezifischen Qualifikationen und fachlichen Kompetenzen machen dürfen, nicht nur, dass alle wesentlichen öffentlichen medizinischen Informationsangebote fest vor Patienten verschlossen sind (z. B. das Pharmakovigilanzsystem des BfArms, dessen Daten sogar Ärzten weitgehend unzugänglich sind oder das - ebenfalls öffentlich finanzierte - auf ärztliche Nutzer begrenzte PharmSearch von DIMDI) - jetzt kommt hierzu ein neuer, die Informationsfreiheit eingrenzender Gesetzentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium, nämlich der „Entwurf einer Verordnung über den Versand und die Zustellung von Arzneimitteln sowie die elektronische Information zu Arzneimitteln” (Arzneimittelversandhandelsverordnung - AMVersV, www.bmgs.bund.de/downloads/AMVersV.pdf). Und dies, wo doch gerade erst das grüne Prestigeprojekt eines „Informationsfreiheitsgesetzes” - entsprechend dem US-Freedom of Information Act von 1996 - parlamentarisch erste Hürden genommen hat (einstimmiger Beschluss des Parteirates vom 8.11.2004 - www.gruene-partei.de/cms/files/dokbin/48/48084.informationsfreiheitsgesetz@de.pdf).

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Ziel: Mehr Sicherheit beim Versandhandel und elektronischen Handel mit Arzneimitteln

Das Ziel der Verordnung ist insgesamt „die Erhöhung der Sicherheit beim Versandhandel und elektronischen Handel mit Arzneimitteln durch Regelungen zur Gestaltung einschließlich des Betreibens und der Qualitätssicherung von Informationen in elektronischen Medien (Webseiten), zu Einschränkungen für Arzneimittel beim Versandhandel und elektronischen Handel sowie zum Versand und zur Aushändigung von Arzneimitteln”. Dass es bei den Versandapotheken, besonders nach den teilweise recht betrüblichen Erfahrungen zum Beispiel in den USA, weiteren Regelungsbedarf gibt, ist unumstritten, auch bei den Apothekern selbst. Ob jedoch die von der Bundesregierung in Angriff genommene „Qualitätssicherung von Informationen in elektronischen Medien (Webseiten)” in Form der „Verordnung betreffend die Information in elektronischen Medien über Arzneimittel in Verbindung mit dem Versandhandel mit Arzneimitteln” (Arzneimittel-Webseiten-Verordnung - AMWebV) tatsächlich ihre Ziele erreicht, oder ob sie die Transparenz im Gesundheitswesen noch weiter einschränkt, bleibt abzuwarten. Vorerst wird die AMWebV auf Online-Apotheken beschränkt sein, die dem deutschen Recht unterliegen (rückwirkend ab 1.8.2004). Auf die Apotheker kommt so einiges zu, denn: „Die Verordnung dient der Arzneimittelsicherheit, der Anwendersicherheit und dem Verbraucherschutz. Sie regelt die Anforderungen an die Gestaltung einschließlich des Betreibens und der Qualitätssicherung von Webseiten, die in Verbindung mit dem Versandhandel und elektronischen Handel mit Arzneimitteln aus Apotheken betrieben werden.” Praktisch sollen Apotheker zukünftig zum Beispiel die Qualität ihrer Informationen (§ 4, 1-4) gewährleisten. So müssen „die über die Webseite gegebenen Informationen ... richtig, allgemein verständlich, aktuell und überprüfbar sein. Die Informationen müssen dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen.”

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Wer die Kontrolle übernimmt, ist noch unklar

Ob der illustre Verein „Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem der Bundesvereinigung für Gesundheit” (www.afgis.de) oder gleich eine Bundesbehörde das Informations-Kontrollorgan sein wird, deutet der Entwurf nur an: „Informationen, die von einer Arzneimittelzulassungsbehörde genehmigt wurden, sind kenntlich zu machen; dabei ist die Behörde anzugeben.” Da das Berliner Robert-Koch-Institut (www.rki.de) schon bei der Publikation der bundesdeutschen Gesundheitsdaten (sog. „Gesundheitsberichterstattung des Bundes”, www.gbe-bund.de) die Kontrolle über die als aufmüpfig bekannten Bundesstatistiker in Wiesbaden (www.destatis.de) übernommen hat, könnte zum Beispiel das RKI die zentrale Medizin-Informations-”Zensur” übernehmen.

Ach ja, falls Sie als Online-Apotheker noch keinen Informationsbeauftragten angestellt haben, wird wohl spätestens mit Inkrafttreten der AMWebV einer nötig sein: „Die über die Webseite gegebenen Informationen müssen regelmäßig, jedoch mindestens monatlich, auf die Anforderungen der Absätze 1 bis 3 hin überprüft und, soweit erforderlich, entsprechend geändert oder gelöscht werden.” Weitere, vom Ansatz her sinnvolle, von der Praktikabilität jedoch nur schwer erfüllbare Paragraphen betreffen unter anderem die Transparenz der Informationen, den Einsatz von Fragebögen oder den Datenschutz.

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Auswirkungen der Verordnung

Im Fokus der Arzneimittel-Webseiten-Verordnung stehen zunächst Versandapotheken, da sie einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Information und Bestellmöglichkeit bieten. Welche Webseiten-Betreiber ansonsten von dieser Verordnung betroffen sein werden und welche Auswirkungen die Verordnung auf die Qualität von Inhalten der Seiten haben wird, beantwortet Rechtsanwalt Christoph Glökler von der Kanzlei Graefe Rechtsanwälte (www.graefe-rechtsanwaelte.de) in München.

? Christoph Glökler, als kompetenter Medizinrechtler in München haben Sie intensiv zum Thema AMWebV gearbeitet. Glauben Sie, dass die Arzneimittel-Webseiten-Verordnung tatsächlich nur auf Versandhandels-Apotheken beschränkt bleiben wird? Wenn nicht, welche Anbieter von gesundheitsbezogener Information könnten in Zukunft von vergleichbaren Regelungen betroffen sein?

! Die derzeit im Entwurf vorliegende Arzneimittel-Webseiten-Verordnung stellt klar, dass „Verantwortlicher für das Betreiben der Websites im Sinne dieser Verordnung” der Inhaber der Versanderlaubnis nach § 11a Apothekengesetz, also der Apotheker ist. Das Papier betrifft daher unmittelbar nur die Versandapotheken. Tatsächlich sind jedoch auch andere Anbieter betroffen: So wird sich die Verordnung vor allem für solche Webseiten-Betreiber auswirken, die daran interessiert sind, dass ihr Informationsangebot per Link mit Webseiten des Apothekers verknüpft wird. Solche Links darf der Apotheker nur noch setzen, wenn die fremde Webseite ebenfalls den Anforderungen der Arzneimittel-Webseiten-Verordnung entspricht. Ich meine, dass die Verordnung noch über diesen Kreis hinaus Bedeutung erlangen wird. Immerhin werden hier zum ersten Mal konkrete Vorgaben für gesundheitsbezogene Webseiten aufgestellt; es liegt nahe, diese Vorgaben zwar nicht direkt, aber doch analog heranzuziehen sind, wenn über gesundheitsbezogene Informationsangebote ohne Versandhandelsbezug zu entscheiden ist.

? „In Verbindung mit dem Versandhandel”, wie es in dem Entwurf heißt, stehen auch die Pharmagroßhändler. Sind deren Websites, z. B. www.gesundheit.de von Andreae-Noris Zahn AG (ANZAG), nicht auch unmittelbar betroffen?

! Nein, unmittelbar betroffen sind vom derzeitigen Entwurf tatsächlich nur Webseiten des Apothekers. Nur dort wird gleichzeitig mit der Information auch eine Bestellmöglichkeit angeboten. Möglicherweise werden die Pharmagroßhändler ihre Webseiten trotzdem an der Arzneimittel-Webseiten-Verordnung ausrichten, da es Apothekern sonst verboten wäre, auf diese Informationen zum Beispiel per Link zu verweisen.

? Halten Sie die bislang formulierten Vorschriften für Versand-Apotheken hinsichtlich ihrer Kunden-Informationswebsites überhaupt für praktikabel? Wer, glauben Sie, wird die Einhaltung der neuen Vorschriften kontrollieren?

! Einige der geplanten Anforderungen - ich denke zum Beispiel an die Pflicht zur Quellenangabe, zur monatlichen Prüfung oder zur Datenverschlüsselung - werden den Aufwand zur Erstellung und Pflege von Internet-Auftritten sicher erhöhen. Noch ist nicht abzusehen, wie streng Behörden oder Gerichte die teilweise unscharfen Vorschriften auslegen werden; hier ist jedenfalls Augenmaß gefordert, um unpraktikable Hürden zu vermeiden. Erfahrungsgemäß werden es jedoch vor allem die Wettbewerber des Apothekers sein, die sich als Erste die Webseite des Konkurrenten genauer ansehen. Durch die Öffentlichkeit des Internets können auch Wettbewerbsvereine ohne Probleme großflächig die Einhaltung der Vorschriften prüfen. Als die ebenfalls leicht zu prüfenden Impressumspflicht für Webseiten eingeführt wurde, gab es eine regelrechte Abmahnwelle gegenüber Betreibern, die ihre Internetpräsenz nicht rechtzeitig an die neuen Vorschriften angepasst hatten. Ob die Arzneimittel-Webseiten-Verordnung ähnliches Potential hat bleibt abzuwarten.

? Müssten nicht logischerweise auch Kunden-Zeitungen und -Zeitschriften, die in herkömmlichen Apotheken zur Mitnahme ausliegen, von entsprechenden Qualitäts-Regelungen wie die Websites der Apotheken erfasst werden?

! Solche Kunden-Zeitschriften sind nicht vom Verordnungsentwurf erfasst - hier besteht kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Information und Bestellmöglichkeit, auch kann der Apotheker mögliche Fehlvorstellungen im Beratungsgespräch ausräumen. Das heißt nicht, dass für Kunden-Zeitschriften keine Anforderungen an die Qualität bestehen: Das Heilmittelwerbegesetz, berufsrechtliche Regeln und wettbewerbsrechtliche Vorschriften wie das Irreführungsverbot verhindern hier rechtswidrige Auswüchse.

? Können mit staatlichen Eingriffen in die, im Gesundheitswesen ohnehin eingeschränkte Informationsfreiheit, tatsächlich die Ziele der Arzneimittel-Webseiten-Verordnung erreicht werden, z. B. die „Qualität von Informationen” zu erhöhen?

! Auf jeden Fall wird die Arzneimittel-Webseiten-Verordnung das Bewusstsein für Informationsqualität schärfen - darüber, ob hierzu ein staatlicher Eingriff nötig war, kann man sicherlich streiten. Natürlich bergen die geplanten Vorschriften auch die Gefahr, dass wichtige Informationen dem Besucher vorenthalten werden, entweder aus Furcht, Wettbewerbern Angriffsflächen zu bieten oder schlicht weil der Aufwand für die Erstellung und Pflege von Informationsseiten zunimmt. Es ist daher wichtig, dass Behörden und Gerichte die Arzneimittel-Webseiten-Verordnung nicht übertrieben restriktiv anwenden. Um nicht möglicherweise unverdient Opfer der anstehenden Selektion zu werden, sollten sich die Betreiber betroffener Webseiten dennoch frühzeitig mit den zu erwartenden Anforderungen auseinandersetzen. Weitere Informationen finden sich unter www.arzneimittel.de/vertrieb.html.

Sehr geehrter Herr Glökler, vielen Dank für diese Informationen!

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Hintergrund

Die vorgestellten Entwürfe folgen unter anderem jenen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 29.11.2002 an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen mit dem Titel „eEurope 2002: Qualitätskriterien für Websites zum Gesundheitswesen” (europa.eu.int/information_society/eeurope/ehealth/doc/communication_acte_de_fin.pdf). Der Rat - einschließlich Ministerin Ulla Schmidt und ihrer parlamentarischen Staatssekretärin Marion Caspers-Merk - begrüßt auf seiner 2586. Tagung denn auch „postwendend” (Juni 2004) den wertvollen Beitrag der Kommission und verweist, so eine Pressemitteilung (europa.eu.int/rapid/pressReleasesAction.do?reference=PRES/04/163&format=HTML&aged=1&language=DE&guiLanguage=en) des Rates, „auf die darin enthaltenen Kriterien der Transparenz und Ehrlichkeit, der Urheberschaft, der Geheimhaltung und des Datenschutzes, der Aktualisierung von Informationen, der Verantwortlichkeit und der Zugreifbarkeit.”

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Rainer H. Bubenzer(DJV, KdM)

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