Notfall & Hausarztmedizin (Hausarztmedizin) 2004; 30(11): B 548
DOI: 10.1055/s-2004-837119
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Modell PalliativNetz Wiesbaden-Taunus - Sterben in Würde und Geborgenheit

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Publication Date:
22 December 2004 (online)

 
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Fast alle Menschen wünschen sich, zuhause im Beisein einer vertrauten Person zu sterben. Die Realität sieht jedoch anders aus: Da entsprechende Versorgungsstrukturen fehlen, sterben die meisten Patienten im Krankenhaus, oft allein und unter Schmerzen. Dabei belegt eine Analyse des Palliativmedizinischen Konsiliardienstes in Nordrhein-Westfalen, dass fast 80% der Bürger wunschgemäß begleitet zu Hause sterben können, wenn die erforderlichen Versorgungssysteme etabliert würden (Abb. [1]).

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Hausärzte sind oft überfordert

Wie Dr. Thomas Nolte vom Schmerz- und Palliativzentrum Wiesbaden erläuterte, ist dies keineswegs eine Frage fehlender Mittel, sondern eine Frage des Umdenkens und der praktischen Umsetzung anderer Wege: In Deutschland bestehe eine dichte Versorgungsstruktur von Kliniken, Ärzten und Pflegediensten, die versuchen, mit einer maximalen Therapie bis kurz vor dem Lebensende den Mythos der Heilung extrem lange aufrechtzuerhalten. Ist dies nicht mehr möglich, werde der Patient im Akutkrankenhaus als "Fehlbelegung" gemäß den DRG (Diagnosis Related Groups) mit unzureichender Versorgung nach Hause entlassen. Hausärzte ohne palliativmedizinische Zusatzausbildung und ohne die Unterstützung eines Pflegeteams sind durch die Konfrontation mit dem Sterbenden oft überfordert und hilflos, wie Dr. Michaela Wende, Fachärztin für Allgemeinmedizin in Wiesbaden, berichtete. Die Konsequenz sind erneute Krankenhauseinweisungen, wenn sich der Zustand des Patienten verschlechtert.

Würde es gelingen, die bereits bestehenden Strukturen von Kliniken, Hospizen und Pflegediensten unter der Leitung einer Koordinierungsstelle zu vernetzen, könne eine bessere Versorgung der Patienten am Lebensende erreicht werden, betonte Nolte. Ein solches Versorgungsnetz sei kostengünstiger als das heutige Hin- und Herschieben sterbender Patienten, da unnötige Krankenhauseinweisungen vermieden werden. So hat eine englische Studie gezeigt, dass die 14-tägige ambulante Betreuung von Patienten am Lebensende mit zirka 3600 Euro fast um die Hälfte billiger war als die Versorgung in einer Klinik, die 6100 Euro kostete.

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PalliativNetz Wiesbaden-Taunus

Ein Expertenteam rund um Wiesbaden entwickelte das Modell "PalliativNetz Wiesbaden-Taunus". Es ist so konzipiert, dass es im Rahmen der "Integrierten Versorgung" aus bestehenden Strukturen weiterentwickelt und von den Krankenkassen bezahlt werden kann. Kooperationspartner sind der ambulante Hospizverein Wiesbaden Auxilium e.V., das stationäre Hospiz "Advena", das "Schmerz- und Palliativzentrum Wiesbaden", Psychosoziale Dienste, Pflegedienste, Physiotherapeuten, Apotheken, Seelsorger, die Deutsche Klinik für Diagnostik und die Dr. Horst-Schmidt-Kliniken. Der Hausarzt behält bei der kontinuierlichen Behandlung des Patienten am Lebensende seine besondere Vertrauensstellung. Er bleibt Gesprächs- und Ansprechpartner und koordiniert als "Case Manager" - in Abstimmung mit dem Sterbenden und den Angehörigen - die Behandlung und Pflege. Der Hospizverein Wiesbaden Auxilium e.V. fungiert als Einsatzzentrale, in welcher Palliativ Care-Pflegefachkräfte einen rund um die Uhr abrufbaren Palliative Care-Dienst vermitteln. Alle erbrachten Maßnahmen werden zur Leistungskontrolle und Qualitätssicherung dokumentiert.

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Palliativmedizinische Ausbildung für Laienhelfer und Ärzte

In Wiesbaden widmen sich 43 ehrenamtliche Hospizhelferinnen und zwei Helfer der psychosozialen Begleitung von Sterbenden. Nach Ansicht von Dr. Gerhard Müller-Schwefe aus Göppingen ist die Diskussion um Sterbehilfe eine "Kapitulation vor ärztlicher Inkompetenz und fehlenden Strukturen". Um Ärzte besser mit praktischem Wissen über die Bedürfnisse des Patienten in der Endphase auszurüsten, wurde ein Curriculum "Palliativmedizin" nach den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin gegründet, in dem bisher 150 Ärzte eine Basisausbildung über 40 Stunden erhielten. Der "Qualitätszirkel Palliativmedizin", der etwa sechsmal im Jahr tagt, dient dazu, die palliativmedizinische Versorgung in Wiesbaden und Umgebung weiter zu verbessern. Mit all diesen Maßnahmen soll erreicht werden, das körperliche und seelische Wohlbefinden auch in der letzten Lebensphase zu erhalten.

Dr. med. Inge Kelm-Kahl,Wiesbaden

Quelle: Pressekonferenz: "Das PalliativNetz Wiesbaden-Taunus stellt sich vor: In Würde leben bis zuletzt." Oktober 2004 in Wiesbaden, Veranstalter: PalliativNetz Wiesbaden-Taunus.

 
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