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DOI: 10.1055/s-2004-835137
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
(Noch?) Keine ausreichende Evidenz - Wirksamkeit von Lithium auf Schizophrenie-Symptome
Publication History
Publication Date:
11 October 2004 (online)
Quelle: Leucht S, Kissling W, McGrath J. Lithium for schizophrenia revisited: A systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. J Clin Psychiatry 2004; 65: 177-186
Die Originaldaten von 20 randomisierten Doppelblindstudien, die bei insgesamt 611 Patienten mit Schizophrenien oder schizoaffektiven, schizophreniformen oder wahnhaften Störungen die Wirksamkeit von Lithium untersucht haben, wurden in einer Metaanalyse reanalysiert.
Studiendesign
Es handelte sich um Vergleiche von Lithium als Monotherapie vs. Plazebo (3 Studien), Lithium als Monotherapie vs. Antipsychotika (8 Studien) und die Kombination von Lithium und Antipsychotika (Augmentation) vs. reine Antipsychotikatherapie (11 Studien). Outcome-Variablen waren die Zahl der Studienabbrecher und die Anzahl der Patienten mit klinisch signifikanter Besserung.
Ergebnisse
Lithium war als alleiniges Medikament nicht ausreichend wirksam. Mehr Patienten mit Lithium-Augmentation zeigten eine klinisch signifikante Besserung als solche, die nur ein Antipsychotikum erhielten. Dieser Effekt war jedoch zwischen einzelnen Studien nicht konsistent und nach Ausschluss von Patienten mit im Vordergrund stehender affektiver Symptomatik bzw. schizoaffektiver Störung aus der Analyse nicht mehr signifikant. Unter der Gabe von Lithium kam es signifikant häufiger zum Studienabbruch (Dropout) als unter alleiniger Gabe von Antipsychotika (Tab. [1]).

Kommentar
Im klinischen Alltag wird Lithium bei Patienten mit Schizophrenien eingesetzt zur Augmentation der Wirksamkeit der Antipsychotika (Neuroleptika) auf die psychotische (Kern-) Symptomatik, zur Behandlung von Aggression und Erregung sowie zur Behandlung affektiver Symptome [1]. Bisherige Übersichtsarbeiten stellen fest, dass affektive Symptome für eine Wirksamkeit von Lithium bei Schizophrenien nicht zwingend vorhanden sein müssen [2].
Aktuelle Schizophrenie-Behandlungsleitlinien nennen unterschiedliche Indikationen für eine Lithium-Augmentation: zusätzliche Gabe bei Aggression (ohne ausreichende empirische Evidenz) (American Psychiatric Association) [4]; Augmentation von Clozapin als Sekundärstrategie bei Patienten mit kontinuierlicher prominenter Positivsymptomatik sowie Kombination mit Neuroleptika bei Aggression und Agitation (The Expert Consensus Guideline) [5]; Kombination mit Antipsychotika bei persistierender Positivsymptomatik, Erregung, Aggression oder affektiver Symptomatik (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde) [3].
Die meisten Untersuchungen über den Einsatz von Lithium bei Schizophrenien sind Fallstudien. Bisher gibt es nur wenige randomisierte Doppelblindstudien, über die jetzt erstmals eine Metaanalyse vorgelegt wird. Dass demnach Lithium als Monotherapie nicht ausreichend wirksam ist, überrascht nicht sonderlich. Nicht zu erwarten war allerdings das Ergebnis, dass die Effektivität einer Lithium-Augmentation offenbar geringer ist als bisher angenommen, insbesondere der Effekt auf die psychotische (Kern-)Symptomatik. Dies ist ein wichtiges Ergebnis, da möglicherweise die aktuelle klinische Praxis sowie die Behandlungsleitlinien auf einer falschen Interpretation bisher publizierter Studien beruhen.
Einerseits scheint es bisher keinen überzeugenden, klaren empirischen Beweis für die Wirksamkeit von Lithium auf die Symptome der Schizophrenien - mit Ausnahme der affektiven Symptomatik - zu geben, andererseits fehlt es aber an zufriedenstellenden Alternativen, da die Kombination von Neuroleptika mit anderen Präparaten wie etwa Valproat oder Benzodiazepinen ebenfalls nicht ausreichend empirisch abgesichert ist.
Ausgehend von den uneinheitlichen Ergebnissen bisheriger Studien wäre es wünschenswert, wenn - wie die Autoren der Metaanalyse anregen - eine auch für die Aufdeckung kleiner Effektstärken geeignete große Doppelblindstudie zur Lithium-Augmentation durchgeführt würde. Je nach dem Ergebnis werden wir dann möglicherweise dazu gezwungen, unsere klinische Praxis zu überdenken und unsere Behandlungsleitlinien anzupassen sowie eventuell alternative Strategien wie etwa die Elektrokrampftherapie häufiger einzusetzen.
Dr. Stefan Bender, Westfälische Kliniken Marsberg
Literatur
- 1 Bender S . et al. . Int J Neuropsychopharmacology . 2004; 7 59-63
- 2 Christison GW . et al. . Schiz Bull. 1991; 17 217-245
- 3 Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (Hrsg.). . Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psychotherapie. Darmstadt: Steinkopff. 1998;
- 4
Lehman AF .
et al. .
Am J Psychiatry.
2004;
161(2 Suppl)
1-56
MissingFormLabel
- 5 McEvoy JP . et al. . J Clin Psychiatry . 1999; 60(Suppl 11) 3-80
Literatur
- 1 Bender S . et al. . Int J Neuropsychopharmacology . 2004; 7 59-63
- 2 Christison GW . et al. . Schiz Bull. 1991; 17 217-245
- 3 Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (Hrsg.). . Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psychotherapie. Darmstadt: Steinkopff. 1998;
- 4
Lehman AF .
et al. .
Am J Psychiatry.
2004;
161(2 Suppl)
1-56
MissingFormLabel
- 5 McEvoy JP . et al. . J Clin Psychiatry . 1999; 60(Suppl 11) 3-80
