PiD - Psychotherapie im Dialog 2005; 6(2): 227-229
DOI: 10.1055/s-2004-834775
Interview
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Wenn es im Hause spukt …”

Martina  Belz im Gespräch mit Steffen  Fliegel
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Publication Date:
31 May 2005 (online)

Steffen Fliegel: Dieses Heft der Zeitschrift „Psychotherapie im Dialog” trägt den Titel „Übergänge und Grenzen psychotherapeutischen Handelns”. Da passt es natürlich Sie zu fragen, was sich hinter der Bezeichnung „Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP)” verbirgt?

Martina Belz: Das IGPP in Freiburg ist die einzige Institution ihrer Art in Deutschland und verfügt über eine 50-jährige, ununterbrochene Tradition in Forschung sowie Beratung und Therapie von Menschen mit außergewöhnlichen Erfahrungen

Können Sie Beispiele für außergewöhnliche Erfahrungen nennen?

Wir verstehen darunter Erfahrungen, die aus Sicht der Betroffenen hinsichtlich Qualität, Verlauf und Genese von ihren persönlichen Wirklichkeitserklärungen und denen der Umwelt abweichen. Außergewöhnliche Erfahrungen sind sozusagen ein Sammelbegriff für Erlebnisse, die landläufig mit Vorahnungen, Spuk, Gedankenübertragung, Hellsichtigkeit usw. in Verbindung gebracht werden. Dazu gehören auch Erfahrungen, die in der Psychoszene, z. B. durch eine Induktion veränderter Bewusstseinszustände, ausgelöst werden oder auch infolge von okkulten Praktiken, wie z. B. dem Pendeln oder Gläserrücken, auftreten können.

Suchen Sie dann mit den Betroffenen nach Erklärungen?

Für die Einordnung einer Erfahrung als außergewöhnlich spielt es keine Rolle, ob für die Erlebnisse im Nachhinein „natürliche” oder konventionelle Erklärungen gefunden werden können oder nicht.

Bitte noch konkretere Beispiele.

Eine junge Frau ruft an und berichtet: „Ich habe etwas geträumt, was sich bewahrheitet hat. Ich hatte diesen Traum von einem Unfall meines Freundes, und es war plötzlich das Gefühl da, es passiert ganz bestimmt. Ich habe das meinem Freund aber nicht mitgeteilt. Am nächsten Tag kommt die Polizei, klingelt an meiner Tür und sagt, dass mein Freund bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist.” Diese Frau ist völlig verwirrt, irritiert und sagt: „Wie konnte dies passieren? Hätte ich ihn irgendwie warnen können, ihm Bescheid sagen, ihn vor diesem Unglück bewahren können?”

Und was machen Ihre Beraterinnen und Berater dann in einem solchen Beispiel?

Es gibt verschiedene Phasen in der Beratung. Es ist natürlich wichtig, dass man sich mit der Phänomenologie, mit der Erfahrung selber sehr intensiv beschäftigt und dann natürlich auch mit denen, die diese Erfahrung gemacht haben. In diesem Fall würde es darum gehen, auch mit den Schuldgefühlen, die vielleicht vorhanden sind, zu arbeiten. Und versuchen zu verstehen, was diese Erfahrung für diese Person bedeutet: Ist das eine einzelne Erfahrung, hat sie ähnliche Erfahrungen in ihrem Leben schon einmal gemacht. Hat diese Erfahrung oder der Bericht eine Funktion? Wie wird diese Erfahrung insgesamt ins psychische Geschehen integriert?

Können Sie noch andere Beispiele beschreiben?

Eine Familienvater ruft uns an und sagt: „Bei uns im Hause spukt es. Es passieren seltsame Dinge, die ganze Elektrik ist durcheinander. Der Elektriker vom Ort, der Direktor des E-Werks waren schon bei uns. Die haben alle Leitungen überprüft. Es ist alles o. k. Das kann also auf natürlichem Wege nicht erklärt werden. Es muss sich um irgendetwas anderes handeln. Die Polizei schickt uns zu Ihnen. Sie sollten einmal kommen und überprüfen, was Sache ist.” Die Erwartung ist dann im Regelfall, dass wir mit irgendwelchen Messgeräten kommen und irgendwelche seltsamen Spannungen überprüfen, die vielleicht vorhanden sind. Das tun wir aber nicht. Wir arbeiten mit der Familie und mit dem Familiensystem und im Regelfall sind bei solchen Spukfamilien Konflikte vorhanden, die aber bisher nicht ausgesprochen wurden.

Andere Beispiele wären: Jemand sagt, ich werde vom ehemaligen Liebhaber per Voodoo beeinflusst. Können Sie mir da helfen? Jemand anderes berichtet: Ich war bei einem Heiler und am Anfang hat mir das ganz gut geholfen, diese Fernbehandlung. Inzwischen fühle ich mich durch den ständig beeinflusst. Können Sie das irgendwie abstellen?

Es sind also Menschen, die Hilfe suchen für Phänomene, die sich mit ihrem realen Alltagsdenken nicht erklären lassen. Wie begründen Sie die Seriosität und Wissenschaftlichkeit Ihres Instituts, das ja von namhaften Wissenschaftlern geleitet wird und in dem qualifizierte Psychologinnen und Psychologen sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten beratend tätig sind.

Diese Frage drängt sich natürlich auf, wenn man die Überschrift „Parapsychologie” hört. Entscheidend sind die Methoden, mit denen wir diese Fragen angehen. Diese machen ein interdisziplinäres Vorgehen notwendig. Am IGPP sind daher über 20 Sozialwissenschaftler, Kulturwissenschaftler und Naturwissenschaftler beschäftigt. Wenn es um Beratung und Therapie geht, arbeiten wir mit gängigen psychotherapeutischen Verfahren, die wissenschaftlich begründet und fundiert sind. Es ist nur die Fragestellung, die vielleicht außergewöhnlich ist und die Sie vielleicht zu Ihrer Frage veranlasst. Nur zur Ergänzung: Der Direktor des IGPP ist Herr Professor Vaitl, Lehrstuhlinhaber für Klinische und Physiologische Psychologie der Universität Gießen.

Können Sie noch einmal die Querverbindung zur psychotherapeutischen Arbeit aufzeigen?

Wie gesagt, wir verwenden die gängigen psychotherapeutischen Methoden in der Beratung und in der Therapie. Das Besondere ist der Ausgangspunkt. Es sind eben zunächst nicht Belastungen oder Störungen, über die die Menschen berichten, sondern diese außergewöhnlichen Erfahrungen, die erst einmal nicht eingeordnet und nicht verstanden werden können.

Ist es denn schon einmal vorgekommen, dass Sie den betroffenen Menschen auch den Hinweis auf mögliche, ich sage es mal so, „übersinnliche Erklärungen” geben konnten oder mussten?

Was durchaus passieren kann, ist, dass es Erfahrungen oder Erlebnisberichte gibt, die wir selber verblüffend finden und für die wir keine gängigen natürlichen Erklärungen haben oder vielleicht keine Erklärung, die mit unserem Wissenschaftsverständnis kompatibel wäre. Das ist aber auch gar nicht unser Anliegen. Doch auch wenn die Menschen zu Beginn mit diesem Wunsch kommen, geht es uns darum, Bedeutung zu generieren: Was bedeuten diese Erfahrungen für diese Menschen in dieser spezifischen Lebenssituation, mit diesem spezifischen Lebenskontext, mit ihrer spezifischen Lebensgeschichte.

Aber geben sich denn die Rat suchenden Menschen dann zufrieden, wenn sie eine Erklärung für in ihrem Sinne außergewöhnliche, über- oder außerirdische oder übersinnliche Phänomene berichten, dass Sie dann mit den Menschen in die von Ihnen beschriebene Richtung arbeiten?

Das ist tatsächlich nicht immer einfach. Denn die Erwartung ist zu Beginn oft eine ganz andere. Die Erwartung ist vielleicht außergewöhnliche Fähigkeiten attestiert zu bekommen oder vielleicht etwas Außergewöhnliches erlebt zu haben. Aber das ist auch gar nicht unser Verhandlungsgegenstand. Wir verkaufen ja keine Ideologie und keine Weltanschauung. Und wir versuchen auch niemanden von seiner eigenen Weltanschauung abzubringen. Es geht tatsächlich darum zu sagen: Egal, wie diese Erfahrungen zustande gekommen sind oder wie der ontologische Status der Phänomene zu bewerten ist, es geht immer darum, dass offensichtlich diese Person durch diese Erfahrung ganz besonders irritiert oder ganz besonders erschüttert ist. Also soll die Bedeutung entschlüsselt oder verstanden werden. Was kann die Person mit dieser Erfahrung anfangen.

Wie viele Personen haben sich im letzten Jahr Hilfe suchend an Ihr Institut gewandt?

Im Regelfall wenden sich jährlich im Schnitt etwa 700 Menschen an das Institut. Ein Teil sind reine Informationsanfragen. Aber etwa 400 dieser Anfragen sind wirklich echte Beratungsanfragen von Menschen mit außergewöhnlichen Erfahrungen.

Der Psychologe und Arzt Professor Hans Bender, manchmal etwas abwertend als „Spuk-Professor” bezeichnet, hat 1950 das Institut gegründet und seit dieser Zeit laufen dort auch Forschungsprojekte. Sie selbst haben auch ein großes Forschungsprojekt geleitet. Können Sie unseren Leserinnen und Lesern noch ein paar spannende Forschungsthemen benennen?

Hauptziel unserer Forschungsarbeit mit der Überschrift „Beratung und Therapie für Menschen mit außergewöhnlichen Erfahrungen” ist es zum einen, besser zu verstehen, wie Menschen mit außergewöhnlichen Erfahrungen funktionieren und dann auch ein Beratungs- und Therapiekonzept für diese Menschen zu entwickeln. Was ich besonders interessant finde, sind die Ergebnisse, die wir aufgrund der Videoanalysen aus der letzten Zeit gewonnen haben. Außergewöhnliche Erfahrungen werden insbesondere dann berichtet, wenn Inkonsistenzen im psychischen Geschehen auftreten im Zusammenhang mit traumatisierendem, d. h. unkontrollierbarem Stress verursachenden Lebenserfahrungen. Menschen, die von solchen Erfahrungen berichten, unterscheiden sich von anderen hinsichtlich ihrer spezifischen Art der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung und ihrer Emotionsregulation.

Herzlichen Dank für den Einblick in eine sicherlich immer noch geheimnisumwitterte Arbeit, die aber doch auf einer sehr konkreten und wissenschaftlich begründeten Tätigkeit beruht. Wo können sich Leserinnen und Leser bei Interesse weiter informieren?

Sie können sich weiter informieren über die Homepage des IGPP (igpp.de). Dort sind auch Ankündigungen für Fortbildungsveranstaltungen, Seminare für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten und andere Fachleute sowie Telefonnummern für Rat Suchende angegeben.