Notfall & Hausarztmedizin (Hausarztmedizin) 2004; 30(7/08): B 383-B 385
DOI: 10.1055/s-2004-834468
Medizin & Internet

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Maut-Disaster oder zeitgerechte Einführung?

Die GesundheitskarteRainer H. Bubenzer
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Anschrift des Verfassers

Rainer H. Bubenzer

Medizin- und Wissenschaftsjournalist(DJV, KdM)

Multi MED vision

Borselstraße 9

22765 Hamburg

Fax: 040/41 91 28 77

Email: Rainer@Bubenzer.com

Publication History

Publication Date:
23 September 2004 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Am 1.1.2006 werden alle gesetzlich Krankenversicherten eine elektronische Gesundheitskarte haben, die die bisherige Krankenversichertenkarte ablöst, so sieht das Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz (GMG) vor. Die neue Karte soll technisch in der Lage sein, neben ihren administrativen Funktionen auch Gesundheitsdaten verfügbar machen zu können. Für Letzteres wird die Gesundheitskarte als aufwändige Mikroprozessorkarte (1-Chip-Computer) aufgebaut, die zur Gewährleistung der Daten-Sicherheit sowohl die Authentifizierung (elektronische Identitätsprüfung), Verschlüsselung als auch die elektronische Signatur (rechtsverbindliche Unterschrift) ermöglicht. Zur Identifikation des Karteninhabers wird die Karte mit einem Foto ausgestattet sein, was den zur Zeit häufigen Chipkartenmissbrauch ausschließen soll.

Die derzeitige Planung sieht vor, dass der medizinische Teil der Gesundheitskarte (vorläufig) nur auf freiwilliger Basis genutzt wird. Das bedeutet, dass alle Versicherten zwar eine Gesundheitskarte erhalten, mit der sie administrative Funktionalitäten wie die Abwicklung des elektronischen Rezepts (e-Rezept) erledigen, es darüber hinaus aber jedem Versicherten frei gestellt wird, ob er die zusätzlichen Funktionen, also den medizinischen Teil, nutzen möchte oder nicht. Unter Wahrung der Datenhoheit der Patienten und Stärkung der Patientenselbstbestimmung soll auf diese Weise die Karte dazu beitragen, die Qualität der medizinischen Versorgung von Patienten zu verbessern. Zu den Zielen der von der Bundesregierung geplanten und vom beratenden Industrie-Konsortium bIT4Health (better IT for Health) auszuführenden Gesundheitskarte gehören:

  • Verbesserung der Qualität der medizinischen Versorgung, unter anderem der Arzneimittelsicherheit.

  • Verbesserung patientenorientierter Dienstleistungen.

  • Stärkung der Eigenverantwortung, Mitwirkungsbereitschaft und -initiative der Patienten.

  • Steigerung der Wirtschaftlichkeit und Leistungstransparenz im Gesundheitswesen.

  • Optimierung von Arbeitsprozessen und Bereitstellung von aktuellen gesundheitsstatistischen Informationen.

Die rechtliche Grundlage der elektronischen Gesundheitskarte bildet das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG) vom 14.11.2003, das am 01.01.2004 in Kraft getreten ist.

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Folgendes soll mit der Gesundheitskarte realisiert werden

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Administrativer Teil (verpflichtend)

  • Versicherungsangaben einschließlich Angaben zum Zuzahlungsstatus.

  • Berechtigung, im europäischen Ausland behandelt zu werden (Ersatz des E-111-Formulars).

  • papierlose Übertragung eines Rezepts.

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Medizinischer Teil (freiwillig)

  • Dokumentation der eingenommenen Arzneimittel.

  • Notfallinformationen (z. B. Blutgruppe, chronische Organleiden, Allergien, Herzkrankheit, Dialyse, Asthma).

  • Zusätzliche Gesundheitsinformationen (z. B. aktuelle Diagnosen, Operationen, Impfungen und Röntgenuntersuchungen).

  • Möglichkeit zur Aufnahme von elektronischen Mitteilungen (z. B. Arztbrief).

  • Ermöglichung einer so genannten Patientenquittung, welche den Patienten über die vom Arzt erbrachten Leistungen und deren vorläufige Kosten informiert.

  • Eigene von den Patienten selbst zur Verfügung gestellte Daten (zum Beispiel Verlaufsprotokolle eines Diabetikers, Hinweis auf Patientenverfügungen).

Die hierfür notwendigen Daten werden entweder auf der Karte selbst gespeichert (z. B. Notfallinformationen) oder auf Servern, wobei der Zugriff dann über elektronische Verweise auf der Karte erfolgt.

Die Gesundheitskarte ist aus Sicht der Bundesregierung ein Schlüsselelement der e-Health-Strategie. Mit der Gesundheitskarte können Daten teilweise erst dann verfügbar gemacht werden, wenn sie in eine noch aufzubauende technische Infrastruktur integriert werden, die dafür sorgt, dass Ärzte, Apotheker, Krankenhäuser, KVen und andere am Versorgungsgeschehen Beteiligte besser als bisher miteinander kommunizieren können. Dass letztlich die Versicherten die Kosten für die Einführung dieser Technologien tragen müssen, ist klar. Doch auch die Ärzteschaft wird angesichts der geplanten Sicherheitsstandards und neuer Funktionalitäten erhebliche Basisinvestitionen tätigen müssen. Spätestens mit Realisierung der Gesundheitskarte wird die EDV dann in jede Praxis einkehren.

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Datenschutz voll verwirklicht?

Datenschutz- und Sicherheitsaspekte spielen beim Aufbau der Infrastruktur und der Einführung der Gesundheitskarte eine zentrale Rolle, lässt die Bundesregierung verlautbaren. Die Patienten sollen sich auf ein größtmögliches Maß an Sicherheit und Vertraulichkeit verlassen können. Gleichzeitig gilt es, praktikable Lösungen zu finden, die für einen reibungslosen Ablauf in der Praxis sorgen. Um beiden Anforderungen gerecht zu werden, stimmen sich die Projektverantwortlichen eng mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz sowie Patientenvertretern ab. Erste gemeinsame Arbeitsergebnisse mit den Datenschützern, die Eingang in das GKV-Modernisierungsgesetz gefunden haben, liegen vor:

  • Die Patienten können entscheiden, ob und welche ihrer Gesundheitsdaten aufgenommen und welche gelöscht werden sowie darüber, wer auf die Daten zugreifen darf.

  • Ein umfassendes Sicherheitskonzept garantiert den Schutz der besonders sensiblen Daten. Mit wenigen Ausnahmen ist die Gesundheitskarte grundsätzlich nur in Verbindung mit einem elektronischen Heilberufsausweis (Health Professional Card - HPC), der über eine qualifizierte elektronische Signatur verfügt, nutzbar.

  • Patienten können die Daten der Gesundheitskarte einsehen und Ausdrucke erhalten. In Verbindung mit einer eigenen Signaturkarte, die über eine qualifizierte Signatur verfügt, können Patienten in einem speziellen Fach auch eigene Daten beziehungsweise Daten, die ihnen von ihren Behandlern zur Verfügung gestellt werden, verwalten.

  • Alle Zugriffe werden protokolliert und die letzten 50 Zugriffe gespeichert, so die Planung.

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Vorteile der Gesundheits-karte

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Vorteile für Patienten

Die wesentlichen Vorteile der Nutzung der Krankenversichertenkarte als Gesundheitskarte für die Patienten bestehen aus der Sicht der Regierung darin, dass wichtige Gesundheitsdaten besser verfügbar seien (z. B. im Notfall oder beim Arztwechsel) und dadurch in vielen Fällen eine qualitativ bessere Behandlung erreicht werden könne, zum Beispiel durch die Verringerung der Verschreibung ungeeigneter Arzneimittel. Oder dass sie - durch die Möglichkeit, die über sie gespeicherten Daten vollständig zu lesen beziehungsweise sich ausdrucken zu lassen - einen besseren Überblick über ihren eigenen Gesundheitsstatus (Impfstatus, Allergien, Verlauf chronischer Erkrankungen, Vorsorgeuntersuchungen) erhalten. Dadurch, so glauben die Gesundheitsministerin und ihre Berater, könne auch die Eigenverantwortung und aktivere Mitwirkung der Patienten gestärkt werden.

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Vorteile für Ärzte

Auch Ärztinnen und Ärzte sollen Vorteile haben: So soll ein schnellerer Überblick über den Gesundheitsstatus der Patienten, beispielsweise in Notfallsituationen, möglich sein. Oder eine Optimierung von Arbeitsprozessen durch automatische Übertragung von Daten aus und in eigene Akten; und dadurch mehr Zeit für die Patienten (sic!), eine Reduzierung von Doppeluntersuchungen, die Verbesserung der Kommunikation als wichtige Voraussetzung für die integrierte Versorgung oder eine leichtere Nutzung von Arzneimittelinformations-Systemen und Fachdatenbanken.

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Vorteile für das deutsche Gesundheitswesen

Auch das deutsche Gesundheitswesen insgesamt soll von der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte profitieren: Beispielsweise durch eine bessere Verzahnung der unterschiedlichen Anbieter von Gesundheitsleistungen auf ambulanter, stationärer und rehabilitativer Ebene, einen Beitrag zur Verbesserung der Kompatibilität von vorhandenen und sich entwickelnden Telematikanwendungen oder eine bessere Grundlage zur Generierung von Strukturdaten. All dies soll letztlich zur Kostendämpfung (rund 1/2 Mrd. Euro/Jahr allein durchs e-Rezept) und Leistungstransparenz beitragen.

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Schrittweise Verwirklichung

Die möglichen Funktionalitäten werden, wenn überhaupt, schrittweise verwirklicht. Eine erste verpflichtende Anwendung der Gesundheitskarte wird die elektronische Übermittlung der Verordnungsdaten (elektronisches Rezept) sein. Um für die Patienten auch die Qualität der medizinischen Behandlung schon zu Beginn der Einführung der Karte zu verbessern, steht für das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung darüber hinaus die Speicherung der Notfalldaten und der Arzneimitteldokumentation im Vordergrund. Fast alle weiteren Projektschritte befinden sich derzeit erst in rudimentären Planungsphasen, deren Gewinnträchtigkeit von dem bIT4Health-Konsortium zwar voll durchschaut, deren medizinische, rechtliche oder sozialpolitische Bedeutung jedoch noch nicht einmal ansatzweise beleuchtet worden ist.

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Datenschutz und Sicherheitsaspekte

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz Dr. Joachim Jacob, Berlin, stellte im Juli 2003 fest: „Gerade die freie und unbeeinflusste Entscheidung der Patienten über den Einsatz der Karte und die Verwendung ihrer darauf gespeicherten medizinischen Daten, also der Grundsatz der Freiwilligkeit, war eines meiner Hauptanliegen bei der bisherigen Mitarbeit an der Konzeption der Gesundheitskarte. ... Der Schutz vor Missbrauch der Gesundheitsdaten wird zusätzlich durch spezielle Strafvorschriften gestärkt.”

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Verbesserung der Versorgungsqualität

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, Berlin, 22. März 2004 (CeBIT): „Die elektronische Gesundheitskarte ist in erster Linie ein Instrument zur Verbesserung der Lebens- und Versorgungsqualität der Menschen. Jedes Jahr sterben vermutlich mehr als 10000 Menschen an den Folgen von eigentlich vermeidbaren Arzneimittelnebenwirkungen. ... Mit der elektronischen Gesundheitskarte stärken wir die Patientinnen und Patienten. ... Neben der Verbesserung der Behandlungs- und Lebensqualität steht die Stärkung der Patientenrechte durch die elektronische Gesundheitskarte in der Hand der Patientinnen und Patienten für mich ganz oben auf der Agenda. ... - im Interesse von 80 Millionen Patientinnen und Patienten, die auf den notwendigen Fortschritt im Gesundheitswesen warten.”

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Kommentar „Gesundheitskarte - Ausdruck ungebrochener Traditionen?”

Dass nicht zuletzt die Ärzteschaft es als bittere Ironie empfindet, wenn die Gesundheitsministerin die Einführung der Gesundheitskarte als „das größte Bürokratie-Abbauprojekt” bezeichnet hat, das es im Gesundheitswesen je gegeben habe, ist angesichts des, in den letzten Jahren in allen Niedergelassenenpraxen erheblich gewachsenen Verwaltungsaufwandes klar. Dass Signatur-Experten die Einführung der Gesundheits- und der Folgekarten (digitaler Arzt- oder Apothekerausweis etc.) als indirekte Bankrotterklärung der Regierung bei der Einführung einer - sinnvollen - digitalen Bürgersignatur nach Signaturgesetz (also einer rechtsverbindlichen „digitalen” Unterschriftsmöglichkeit) auffassen, ist der Öffentlichkeit hingegen entgangen. Dass regierungsunabhängige Gesundheitsökonomen keine rasche Amortisierung der für die Einführung der Gesundheitskarte avisierten Kosten von rund 2 Milliarden Euro sehen, deutet in die Richtung der eigentlichen Interessenlage auch bei der Gesundheitsreform - nämlich der Umlenkung von staatlich kontrollierten Ausgaben in andere Wirtschaftszweige (siehe auch das angebliche Toll Collect-/Autobahn-Maut-Disaster). Mehr als pikant wirkt denn auch die Anmerkung eines Vertreters des, von dieser Entwicklung profitierenden bIT4Health-Konsortialführer IBM, Walter Raizner, bei der diesjährigen CeBIT: „Hier wird keine neue Technologie erfunden, sondern wir stützen uns auf Bewährtes.” Mit „bewährter Technologie” hat das US-Unternehmen bekanntlich viel Erfahrung - lieferte es solche Technologie doch schon vor 70 Jahren in Form jener Kodier- und Lesegeräte an den deutschen Staat, die die technische Grundlage des Holocausts bildeten. Die Grundidee der Gesundheitskarte stammt ebenfalls aus dieser Zeit, wurde zum Beispiel vom Amtsarzt Kurt Holm in Hamburg als totalitäres Bürger-Kontrollinstrument entwickelt („Gesundheitspaß-Archiv”, 1939: 1,1 Mio. erfasste Bürger [1]). Die reichsweite Realisierung scheiterte damals am Ausbruch des zweiten Weltkrieges. Kurzum: In dem GMG der Berliner Regierungsparteien findet sich vielfach, durch die Hintertür eingekehrte totalitäre Ideologie, die die zunehmende technische Kontrolle von Bürgern als Instrument zur Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse und Gesundheit verklärt. Ach ja, Frau Schmidt: In der Bundesrepublik Deutschland leben immer noch rund 80 Mio. Menschen, nicht Patienten!

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Abb. 1 Die Gesundheitskarte könnte so aussehen

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Abb. 2 DIMDI bietet einen Einstieg die Thematik

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Literatur

  • 1 Stark C. Der Gesundheitspaß im Dritten Reich - Ein Vorläufer der Chipkarte?. In: Bertrand U, Jonas HJ, Kuhlmann J, Stark C. Der Gesundheits-Chip. Vom Arztgeheimnis zum gläsernen Patienten. Frankfurt/Main 1995
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Anschrift des Verfassers

Rainer H. Bubenzer

Medizin- und Wissenschaftsjournalist(DJV, KdM)

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Fax: 040/41 91 28 77

Email: Rainer@Bubenzer.com

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Literatur

  • 1 Stark C. Der Gesundheitspaß im Dritten Reich - Ein Vorläufer der Chipkarte?. In: Bertrand U, Jonas HJ, Kuhlmann J, Stark C. Der Gesundheits-Chip. Vom Arztgeheimnis zum gläsernen Patienten. Frankfurt/Main 1995
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Anschrift des Verfassers

Rainer H. Bubenzer

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Abb. 1 Die Gesundheitskarte könnte so aussehen

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Abb. 2 DIMDI bietet einen Einstieg die Thematik