Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2004; 36(4): 163-164
DOI: 10.1055/s-2004-834432
Forschung
Neues aus der Onkologie
Karl F. Haug Verlag, in: MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Die Misteltherapie in der Onkologie

Bemerkungen zum Begriff der PalliativmedizinM. Azemar
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Publication Date:
07 December 2004 (online)

Im Zusammenhang mit der Erstattung von Mistelpräparaten zur palliativen Therapie von Krebserkrankungen hat der Begriff palliativ bei Ärzten, Apothekern, Krankenkassen und auch bei Patienten zu einer kontroversen Diskussion und damit zu einer großen Verunsicherung geführt. Die Auffassungen gehen weit auseinander und bedürfen der Klarstellung.

Palliativ leitet sich aus dem Lateinischen palliare her und bedeutet „mit einem Mantel bedeckend”. Damit kann der Begriff des Schutzes, der Geborgenheit oder Linderung vermittelt werden. Ein Mantel kann aber auch verbergen und ergibt dann das Bild des Unvollkommenen oder Provisorischen. Diese Zwiespältigkeit begleitet im Alltag den klinisch tätigen Arzt, der von seinen Bemühungen geprägt ist, Linderung den Mitmenschen zu bringen.

Der palliativen Medizin wird oft die kurative Medizin entgegengesetzt. Doch was bedeutet eine kurative Therapie? Ist es die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes des Patienten? In ihrer Ratlosigkeit definiert die Welt Gesundheitsorganisation (WHO) Kuration als Wiederherstellung des Zustandes des Patienten, die ihm eine vergleichbare statistische Lebenserwartung beschert wie gleichartige Lebensgenossen. Die Schwächen solcher statistischer Eckpunkte um den Gesundheitszustand eines Menschen zu beschreiben sind offensichtlich.

Die WHO definiert hingegen Palliativmedizin als alle Maßnahmen, die die Lebensqualität von Patienten und deren Angehörigen verbessert, die von einer lebensbedrohlichen Erkrankung betroffen sind. Dies beinhaltet die Diagnose und Therapie krankheitsbedingter Symptome aber auch die Behandlung aller physischen, psychosozialen und spirituellen Belange. Palliativmedizin und Palliativtherapien sorgen für Schmerzfreiheit und Abbau von Stress. Sie sind lebensorientiert und betrachten den Tod als einen natürlichen Vorgang. Dementsprechend beinhalten sie keine Maßnahmen, um ihn herbeizuführen oder hinauszuzögern. Sie integrieren psychologische und spirituelle Aspekte in die Betreuung von Patienten mit ein und bieten ihnen und ihren Angehörigen alle Hilfen, um aktiv bis zum Tode zu leben. Diese Maßnahmen zielen auf eine Verbesserung der Lebensqualität hin, was möglicherweise einen günstigen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung hat.

Der WHO entsprechend greift die Palliativmedizin sehr früh in die Behandlung von lebensbedrohlichen Erkrankungen ein. Sie kommt gleichzeitig zum Einsatz mit anderen Therapiemaßnahmen, deren Ziel die Lebensverlängerung ist, wie z.B. die Chirurgie, Strahlentherapie oder Chemotherapie. Sie beinhaltet alle diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen, um klinische Komplikationen zu behandeln. Diese Begriffe sind, insbesondere in der Krebsmedizin, von höchster Bedeutung, denn trotz aller Bemühungen des letzten Jahrhunderts bleiben die Heilungschancen von Krebserkrankungen, insbesondere in der metastasierten Situation, enttäuschend gering. Bezeichnend hierfür ist, dass in der Krebsmedizin das Wort Heilung fast nicht verwendet wird, sondern der Begriff Remission. Weit mehr als die Hälfte aller Tumorpatienten befindet sich somit vom Tag der Diagnosestellung an in einer palliativen Situation und sollte dementsprechend nach den weltweit anerkannten Regeln der WHO in der Palliativmedizin behandelt werden. Hinzu kommt, dass sich in unserer industriellen Gesellschaft die Lebenserwartung erheblich verlängert hat und somit ein großer Teil unserer Bevölkerung infolge chronischer Erkrankungen die Palliativmedizin beanspruchen wird.

Palliativmedizin erfordert hohe Kompetenz von Seiten der betreuenden Berufsgruppen, insbesondere der klinisch tätigen Ärzte. Sie müssen hohe Kommunikationsqualitäten aufweisen, um mit Patienten zentrierte Gespräche führen zu können, damit deren Bedürfnisse erkannt und behandelt werden. Das Hauptziel ist die Linderung von Schmerz und anderen Symptomen, unter anderem Angst und Depression. Neben den verschiedenen chirurgischen und internistischen Maßnahmen können auch Komplementärverfahren zum Einsatz kommen. Es gibt eine große Fülle unterschiedlichster Komplementärtherapien, deren Merkmale sehr stark vom kulturellen, spirituellen und sozialen Umfeld des Patienten abhängen.

Im deutschsprachigen Raum hat die Misteltherapie heute eine große Bedeutung bei der Behandlung von Patienten mit Tumorerkrankungen. Inzwischen konnte auch in klinischen Studien der günstige Einfluss von Mistelextrakten auf die Lebensqualität von Krebspatienten belegt werden. Dementsprechend hat der gemeinsame Bundesausschuss gemäß §91 Abs. 5 SGB V im März 2004 Mistelpräparate, parenteral auf Mistellektin standardisiert, in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität als apothekenpflichtig und erstattungsfähig eingestuft.

Gemäß den Empfehlungen der WHO zur Palliativmedizin kann eine solche Behandlung somit auch zu Beginn einer Krebserkrankung zum Einsatz kommen. In der Folge hat nun der Begriff palliativ vermehrt kontroverse Diskussionen bezüglich der zeitlichen Zuordnung dieser Verfahren ausgelöst, obwohl dies von der WHO klar zu Beginn lebensbedrohlicher Erkrankungen definiert ist.

Palliativmedizin ist das Kernstück ärztlichen Handels und von höchstem ethischem Stellenwert. Sie sollte deshalb zum Wohle des Patienten nicht Gegenstand von Interessenskonflikten sein.

Literatur

  • 01 Bailar J C, Gornik H L. Cancer undefeated.  New England Journal of Medicine. 1997;  336 1569-1574
  • 02 Morrison S R, Meier D E. Palliative care.  New England Journal of Medicine. 2004;  350 2582-2590
  • 03 Semiglasov V F. et al. . The standardized mistletoe extract PS76A2 improves QoL in patients with breast Cancer receiving adjuvant CMF chemotherapy: a randomised, placebo controlled, double blind, multicenter clinical trial.  Anticancer Res. 2004;  24 1293-1302
  • 04 WHO Technical Report Series 804: Cancer pain relief and palliative care: report of a WHO Expert Committee. ISBN: 92-4-120804x. http://www.WHO.int.

Korrespondenzadresse

Dr. Marc Azemar

Klinik für Tumorbiologie, Albert Ludwig Universität Freiburg
Internistische Onkologie (Direktor Prof. Dr. C. Unger)

Breisacher Straße 117

D-79106 Freiburg