Viszeralchirurgie 2004; 39(6): 501-504
DOI: 10.1055/s-2004-832376
Der akademische Vortrag

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Rolle der Angst in der Chirurgie

The Relevance of Fear in SurgeryS. Freudenberg1
  • 1Chirurgische Universitätsklinik Mannheim
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Publication Date:
01 December 2004 (online)

Spektabilität, Professores, liebe Kollegen; Schwestern und Pfleger, Freunde und Familie, liebe Kinder und wer mir noch so die Ehre erwiesen hat. Ehrwürdiges altes Mannheimer Gemäuer, das schon so viele kommen und gehen gesehen hat und auch lieber Hörsaal, der sich ja schon so vieles anhören durfte und auch musste. Vielen Dank, dass auch ich heute, bei dieser Gelegenheit vor Ihnen und euch sprechen darf.

Es geht also um die Angst in der Chirurgie.

Wem ich in den letzten Tagen dieses Thema nannte, fragte mich ausnahmslos, geht es nur um die Angst des Patienten, oder auch um die Angst des Chirurgen? Ersteres ist gut erforscht und auch ein Thema ohne Tabus. Über die Angst des Chirurgen gibt es bisher nur wenig Publiziertes und dies meistens nur zwischen den Zeilen in Autobiografien oder in Bildern. Gesprochen wird selten über sie und wenn, dann nur unter 4 Augen. Ich werde mir also erlauben, nicht nur über die Angst der Patienten und deren Angehörigen, sondern auch über die unserer Zunft zu sprechen.

Ich muss sicherlich keinem erklären, was Angst ist. Wir kennen sie alle und haben sie erlebt. Das Wort hat übrigens sehr alte Wurzeln: Angustia, anxiety oder angoisse haben den gleichen indogermanischen Wortstamm und beschreiben schon das Wesentliche der Angst - ein Enge- und Beklemmungsgefühl. Im Gegensatz zur Furcht oder zur Sorge hat die Angst etwas Unbestimmtes und Ungerichtetes. Man weiß gar nicht so genau, wovor man Angst hat, man spürt nur, es liegt eine Bedrohung in der Luft, etwas Gefährliches in der Zukunft.

Sigmund Freud projizierte diese Angst in das ES (das Unterbewusste), die Sorge und die Furcht dagegen in das Bewusste (ICH). Moderne Neurophysiologen wissen, dass das Angstzentrum im Mandelkern (Amygdala) des Hippocampus lokalisiert ist, wo eine lokalisierte Serotoninausschüttung eben für dieses unangenehme Beklemmungsgefühl sorgt. In diesem Mandelkern liegt übrigens auch das Zentrum für das Gedächtnis.

Was geschieht, wenn wir etwas hören, sehen oder fühlen oder auch nur an etwas denken, das wir als Bedrohung empfinden? Dieser Mandelkern löst eine Kaskade von Reaktionen aus, die alle nur den einen Zweck haben, uns für eine eventuelle Flucht oder einen Angriff vorzubereiten.

Was geschieht genau, wenn wir Angst haben? Zunächst einmal haben wir diese beklemmende Empfindung, dann treten aber auch somatische Reaktionen auf. Die Muskeln werden stimuliert, der Tonus steigt (um uns auf eine eventuelle Flucht oder Angriff vorzubereiten), wir zittern (um die Muskeln warm zu halten) und wir hyperventilieren, um für einen eventuellen Kraftakt genug oxygeniert zu sein. Dann wird das Nebennierenmark stimuliert und das ausgeschüttete Adrenalin steigert unsere Kreislaufaktivität, Schweißperlen treten auf unsere Stirne, die Augen und unser Blick wird weit, um in die Ferne zu sehen, und die Glukosebereitstellung im Blut steigt. Über die Nebennierenrinde werden Kortikoide ausgeschüttet - unter anderem auch, um den Energiehaushalt auf eine Alarmposition zu programmieren, dies könnte auch der Grund sein, warum chronisch ängstliche Patienten nachweislich eher zu Infekten neigen.

Aber auch unser Denken ändert sich. Unsere Gedanken sind einzig darauf fokussiert, aus dieser Gefahr herauszukommen. Wir haben den so genannten Tunnelblick. Wir können dabei von diesen fixen Gedanken so eingenommen sein, dass wir für vieles andere, eventuell auch Wichtiges, den Kopf nicht frei haben. Später werde ich schildern, welche negativen Auswirkungen dies für den Chirurgen haben kann.

Woher kommt die Angst?

Die Veranlagung dazu ist uns als wesentlicher Bestandteil des Selbsterhaltungsinstinktes angeboren. Wir machen in der Kindheit verschiedene Angstphasen durch, wie z. B. das Fremdeln oder die Entwicklung des Schamgefühls. Jede Altersstufe hat ihre spezifische Angst und wir müssen jede überwinden oder mit ihr umzugehen lernen. Übrigens ist die Blutphobie auch eine natürlich angeborene Angst, wir werden gleich darauf kommen, was dies für den Chirurgen bedeutet. Die meisten Ängste sind jedoch erlernt, sei es durch Warnungen anderer oder durch schlechte Erfahrungen. Die Krankenhaus- oder Weißkittelphobie gehört dazu.

Was bedeutet die Angst für den Patienten?

Zunächst ist sie etwas Positives. Sie zwingt den Patienten, sich mit seiner Krankheit auseinanderzusetzen. Je schwerer diese Krankheit ist und je mehr sie das Leben des Patienten verändert, umso wichtiger ist es, dass er sich schon vor der Operation damit auseinandersetzt.

Man hat aber andererseits auch eine Reihe negativer Einflüsse auf den operativen und postoperativen Verlauf nachweisen können. Der Angstgrad eines Patienten lässt sich dabei gut mit einem Score-System fassen (z. B. dem Spielberger State-Trait Anxiety Inventory). So steigt bei Patienten mit präoperativ erhöhtem Angstscore auch signifikant der Bedarf an Narkosemitteln, bis auf das Vielfache der Normaldosis. Auch der Schmerzmittelbedarf nach Operationen steigt mit der präoperativ gemessenen Angst. Der synergistische Effekt von Angst und Schmerz ist eine altbekannte Tatsache; die Durchbrechung dieses Teufelskreises sollte bei beiden Faktoren ansetzen. Auch schwere Komplikationen wie postoperative Herzinfarkte sind bei Patienten mit hohem Angstscore erheblich höher als bei gelassenen Patienten. Dementsprechend werden bei ihnen eine längere Liegedauer und eine höhere Mortalität festgestellt. Aber auch letztendlich der Grad der Zufriedenheit ist bei den angstarmen Patienten deutlich höher als bei ängstlichen.

Nun schauen wir, was die Angst für den Chirurgen bedeutet.

Zunächst bewirkt auch sie etwas Positives. Sie zwingt uns zu erhöhter Aufmerksamkeit, und jeder Chirurg weiß, wie schnell man auch um 4 Uhr morgens hellwach ist, wenn z. B. ein rupturiertes Aortenaneurysma vor der Tür steht. Es muss dabei nicht immer Angst sein. Die Grenze zwischen Erregung und Angst wird ganz klar dort gezogen, wo dieses Gefühl als unangenehm empfunden wird. Es ist der Augenblick, in dem man bei Gruselfilmen das Kino verlässt oder die Augen schließt.

Auf der anderen Seite hat die Angst eine Reihe negativer Auswirkungen auf die chirurgische Arbeit. Die somatischen Symptome sind auf jeden Fall störend. Es ist einleuchtend, dass gerade filigrane Operationen nur unter maximaler Entspannung gut gemacht werden können. Chirurgen, die hyperventilieren, zittern oder Herzklopfen haben, tun sich sicherlich schwerer als die, bei denen diese Erscheinungen nicht auftreten. Aber auch das Denkschema - dieser Tunnelblick - unter einer Angstsituation kann verheerend sein. Jeder erste Dienst weiß, dass bei einer Entscheidung, sei es bei der Indikationsstellung oder während der Operation, auch immer die Überlegung mitspielt: „Wie stelle ich es morgen so dar, dass es bei der Frühbesprechung keine unangenehmen Rückfragen gibt?” Auch dies ist ein Tunnelblick und kann von dem Wesentlichen ablenken, das für das gute Gelingen einer Operation im Moment wichtig wäre. Und letztendlich ist Angst ja auch ein unangenehmes Gefühl und schlägt auf die Gesundheit des Chirurgen. Besonders gefährlich wird es, wenn dann noch Alkohol oder Psychopharmaka ins Spiel kommen. Dies schadet nicht nur dem Chirurgen, sondern auch dem Patienten.

Es gibt ja ein Gerücht, wonach Menschen, die das Medizinstudium wählen, mehr Angst vor dem Tod haben als andere Studienanfänger. Inzwischen weiß man, dass dies nicht so ist. In Harvard testete man 700 Studienanfänger und fand dabei, dass beide Gruppen gleich viel Todesangst haben. Lediglich im Umgang mit dieser Angst liegt der Unterschied. Mediziner sind neugieriger, setzen sich mehr Extremsituationen aus, im Grunde wohl um mit dieser Angst umgehen zu lernen. Diese Eigenschaften werden uns Chirurgen ja besonders nachgesagt: angeblich lieben wie schnelle Autos, Motorradfahren, Fallschirmspringen, Bergsteigen und letztlich auch unseren Beruf. Wir haben also nicht mehr Angst als andere, aber wir gehen anders mit ihr um.

Was ist das für eine Angst, mit der wir Chirurgen es zu tun haben?

Es ist eine Angst zu versagen - mit negativen Folgen für alle Beteiligten. Diese Versagensangst macht im Leben eines Chirurgen eine bestimmte Entwicklung durch. Zu Anfang verzweifelt man, wenn etwas misslingt. Später lernen wir, dass selbst wenn wir unser Bestes geben, wir nicht jeden Patienten retten können, so wie ein erfahrener Torwart weiß, dass er nicht jeden Elfmeter halten kann. Man kommt dabei nicht umhin, eine gewisse Routine oder Gelassenheit zu entwickeln.

Übrigens, die Angst des Torwarts vor dem Elfmeter ist mit der des Chirurgen vor dem rupturierten Aortenaneurysma vergleichbar. Die Chancen stehen ähnlich etwa 50 zu 50, vielleicht beim Elfmeter etwas schlechter und beim rupturierten Aortenaneurysma besser. Wie bei so vielem müssen Torwart und Chirurg positiv denken. Zweifel, dass etwas schief gehen könnte, müssen beiseite geschoben werden. Man muss sich sagen, dass man in dieser Situation eigentlich nur gewinnen kann. Es gilt, den Ball zu fixieren oder an die Aorta in der Tiefe zu denken und zu wissen, dass man sie in wenigen Sekunden zwischen den Fingern haben wird. Auch wenn es dafür keine randomisierten Studien gibt, glaube ich an diese alte Weisheit. Wem dieses gelingt, der kann eine gewisse Gelassenheit entwickeln und aus der initialen Angst kann eine reine Sorge um den Patienten werden.

Schauen wir uns die Entwicklung eines Chirurgen genauer an, so kostet es schon Überwindung, den allerersten Schnitt zu machen. Immerhin ist das eine Körperverletzung und ein ziemlich unnatürlicher Vorgang - hier kommt die Blutphobie zum Tragen und auch diese müssen wir überwinden - aber schon nach erschreckend wenigen Malen haben wir uns daran gewöhnt. Die Tatsache dass wir dies tun, gibt uns übrigens in der Gesellschaft einen gewissen Sonderstatus, auf den wir nur ungern angesprochen werden.

Was hilft uns, diesen natürlichen Skrupel abzubauen?

Zunächst einmal wissen wir, dass wir etwas Gutes tun. Auch die Tatsache, dass wir die Operation schon viele Male vor dem ersten Schnitt gesehen haben, hilft uns. Eine ganz wichtige Rolle spielen aber auch die Rituale im Operationssaal, die uns helfen den Skrupel abzubauen. Jeder, der einmal einen Patienten notfallmäßig im Bett operieren musste, weiß wie wichtig diese Rituale sind. Die Tatsache, dass wir eine Haube aufsetzen, eine Maske und einen Kittel anziehen, dass wir uns Handschuhe anziehen, dass alles steril ist, dass uns keiner berühren kann und wir niemanden berühren dürfen, versetzt uns in einen Sonderstatus - ja sogar in eine andere Welt, in der diese Körperverletzung erlaubt ist. Je mehr wir solche Rituale haben (natürlich nur im Rahmen des Sinnvollen!), umso mehr können wir zwischen beiden Welten die Grenze ziehen.

Was ist in dieser ersten Phase die Rolle des Lehrers?

Wichtig ist zunächst, dass der Schüler ein Erfolgserlebnis hat und ihm nicht die Freude an der Chirurgie genommen wird. Je mehr er dabei den Eindruck hat, er habe das Ziel selbständig erreicht, umso besser. In dieser Phase darf der Lehrer zunächst nur loben und dem Schüler zu einem Vorschuss vielleicht ungerechtfertigten Selbstbewusstseins verhelfen.

Dann kommt die zweite Phase.

So wie ein Kind das Schwimmen lernt und man ihm nach und nach die Luft aus den Schwimmflügeln ablässt, so muss man seinen Schüler immer mehr alleine schwimmen lassen. Mein Lehrer, Prof. Werner Storz, sagte bei meiner Ausbildung zum Gefäßchirurgen, er werde nun bei jeder Operation jeweils fünf Minuten später kommen und dann auch jedes Mal 5 Minuten früher gehen, bis er eines Tages gar nicht mehr kam. In dieser Phase lernt man sich über Wasser zu halten, doch man weiß, dass da immer jemand im Hintergrund ist. Und jetzt hat der Lehrer oft mehr Angst als sein Schüler, ähnlich wie Eltern, die ihr Kind zum ersten Mal alleine ins Freibad lassen. Je eher der Lehrer seine Leine lang lassen kann, desto schneller bekommt dabei der Schüler Selbstvertrauen und Sicherheit.

Und dann gibt es Initiationsriten wie die Beförderung zum ersten Dienst oder die Facharztprüfung. Es wird festgelegt, dass man es kann. Man hat die Lizenz zum Operieren und kann damit ein großes Quantum Versagensangst abbauen. Man ist dann vielleicht Oberarzt und hier ist es die Rolle des Lehrers, noch verborgene Ängste ausfindig zu machen. Meistens erkennt man diese an Vermeidungsreaktionen. Der Lehrer sollte hierbei Vorbild und Ratgeber sein.

Und dann kommt die Phase, wo man keinen Chef mehr hat, zumindest keinen irdischen, und spätestens hier sollten die letzten Ängste bewältigt und durch Gelassenheit ersetzt sein. Dem Lehrer kommt dabei die Rolle zu, sich zurückzulehnen und die Dankbarkeit seiner Schüler zu genießen.

Kommen wir aber wieder zu der Angst des Patienten. Wovor hat ein Patient Angst?

Auch dieses ist gut untersucht. Es gibt hier große individuelle und auch interkulturelle Unterschiede. Man weiß z. B., dass Männer präoperativ im Mittel einen 30 % niedrigeren Angstscore als Frauen haben. Diese präoperative Angst nimmt auch mit dem Alter des Patienten kontinuierlich ab. Wovor ein Patient Angst hat, kann er meistens gar nicht genau differenzieren. Es ist eben dieses Unbestimmte. Am meisten beängstigt die Patienten die Vorstellung, dass ihr Körper geöffnet wird. Dies galt auch für Chirurgen, die als Patienten befragt wurden. Interessanterweise hatten Anästhesisten jedoch mehr Angst vor der Narkose als vor der Operation selber. Die Narkose rangiert bei den Patienten an 2. Stelle. Es ist die Angst vor dem Kontrollverlust und die Angst, nicht mehr aufzuwachen. Bei Patienten mit dem Verdacht einer malignen Erkrankung herrscht auch präoperativ die Angst vor dem histologischen Ergebnis und der Prognose der Erkrankung. Bei engen Ehepartnern oder bei jungen Eltern überwiegt die Sorge um die Hinterbliebenen. Und schließlich gibt es auch Patienten, die pathologische Angststörungen haben; solche Neurosen oder Psychosen treten bei etwas 10 % aller Patienten auf und können perioperativ ausgelöst oder verstärkt werden.

Wir haben vorhin festgestellt, dass die Angst des Patienten vor der Operation möglichst minimiert werden sollte. Wir müssen also mit ihr umgehen. Wie erkennen wir sie überhaupt? Wenn man sie erkennen will, dann tut man dies auch. Man sieht sie dem Patienten an oder hört sie aus seiner Stimme, und wenn man sich nicht sicher ist, dann fragt man einfach danach.

Man kann dabei Patienten in 3 Typen einteilen:

Der Hilfesuchende

Dieser Typ macht den größten Anteil der Patienten aus. Sie haben Angst und sind sich dessen auch bewusst und sie würden sie gerne davon befreit werden. Sie stellen viele Fragen und suchen nach Vertrauenspersonen. Diesen Patienten muss man geduldig alle Informationen geben, so viel sie es eben wollen. Je eher man dies tut, umso besser. Auch dies ist gut untersucht. Am besten ist der Patient schon vor der Einweisung in die Klinik ambulant aufgeklärt worden und kennt seinen Operateur. Wenn dieser es dabei schafft, das Vertrauen seines Patienten zu gewinnen, hat er viel gewonnen und wird postoperativ einen dankbaren Patienten haben. Ein Besuch am Abend vor der Operation ist besonders wichtig. Dies ist der Zeitpunkt, an dem die Angst am größten ist.

Manche Patienten haben auch, nachdem alle Fragen beantwortet sind, immer noch kein Vertrauen und dann fangen sie von vorne an und stellen die gleichen Fragen zweimal. Denken Sie dabei daran, dass die Wirkung, die Sie auf den Patienten haben, nur zu 10 % von dem Inhalt Ihrer Worte abhängt, 60 % hängt von Ihrem Auftreten und 30 % von Ihrer Stimme ab. Reicht der Inhalt Ihrer Worte also nicht aus, so geben sie ihm mehr als Worte, versuchen sie anders sein Vertrauen zu gewinnen. Erklären wie man das macht, kann man kaum, letztendlich muss jeder dabei seinen Weg finden, und das gelingt, wenn man es wirklich will. Der Patient muss dabei den Eindruck gewinnen, dass der Chirurg sich ganz persönlich um ihn bemüht und dass es sich trotzdem um einen Routineeingriff handelt. Für diesen Patiententyp ist eine Sedation am Vorabend sinnvoll. Wir wissen, dass dann der operative Verlauf komplikationsärmer verläuft. Ist es einem gelungen, dem Patienten die Angst zu nehmen, so sind die Patienten am nächsten Morgen vor der Operation erstaunlich ruhig und für die Operation gut gerüstet. Es ist natürlich einleuchtend, warum ein Absetzen oder ein Verschieben der Operation aus organisatorischen Gründen für so einen Patienten eine Quälerei ist. Diese Patienten wollen meistens auch genau wissen, um wie viel Uhr sie am nächsten Tag operiert werden. Gelingt, es diesen Patienten die Angst zu lindern, so sind sie die dankbarsten.

Der zweite Typ von Patienten sind die Gelassenen. Man trifft sie selten in unserem Kulturkreis, meistens sind es ältere Menschen. Auch Ihnen ist die bevorstehende Gefahr bewusst. Sie hatten vielleicht Angst davor, haben diese aber überwunden und sich ihrem Schicksal, wie auch immer es ausgehen soll, gefügt. Dies sind Menschen mit Gottvertrauen, und sie sind uns natürlich die liebsten Patienten. Ich habe auch den persönlichen Eindruck, dass bei diesen auch meistens alles gut wird. Für uns gilt es dabei nur zu signalisieren, dass wir auf der gleichen Wellenlänge sind und, häufig genügt da nur ein Augenzwinkern beim abendlichen Gespräch, um den Patienten in seinem Gleichgewicht zu halten. Das Schlimmste was wir dabei machen können ist, einen jungen Assistenten in das Zimmer zu schicken, der ihm eine aggressive Aufklärung mit allen Eventualitäten aufdrängt. Wenn wir gute präoperative Chirurgen sind, so schaffen wir es aus der Gruppe der ängstlichen Patienten solche gelassenen Patienten zu machen.

Und dann gibt es noch den dritten Typ und das ist die kleine Gruppe der Verdränger. Sie sind aber die schwierigsten Patienten. Auf den ersten Blick scheinen sie angstfrei, sind es aber nicht. Obwohl sie häufig hochintelligent sind, haben sie sich mit ihrer Krankheit am wenigsten auseinandergesetzt und wollen die Realität nicht wahrhaben. Dementsprechend bekämpfen sie nur die Symptome ihrer Krankheit und nicht die Ursachen und sind auch wenig „folgsam”. Ihnen fällt es schwer, anderen Vertrauen zu schenken und sie suchen dieses Vertrauen auch nicht. Sie setzen mehr auf Technik und glauben an die Allmacht der Medizin. Verantwortung für sich selbst übernehmen sie wenig und schieben sie auf andere ab. Diesen Patienten kann man häufig noch so drastisch die Gefahren einer Operation schildern, am Ende werden sie es nicht beherzigen.

Was macht man mit diesen Patienten?

Handelt es sich um einen harmlosen Eingriff, wie z. B. einen Leistenbruch, der ihr Leben wohl nicht verändern wird, dann kann man sie in ihrer Welt lassen. Handelt es sich aber um einen risikoreichen Eingriff, mit dem sich der Patient auseinandersetzen muss, so muss man ihn in die Realität holen, was oft mühselig und auch sehr hart für ihn sein kann. Versäumt man dies, so wird der Patient einem nach der Operation, selbst wenn sie noch so gut ausgeht, Vorwürfe machen. Aus Selbstschutz sollte man sich von diesen Patienten alles schriftlich geben lassen und dokumentieren. Hat man jedoch den Eindruck, dass der Patient auch nach eindringlicher Aufklärung noch nicht den Ernst der Lage erkannt hat, muss man sich sogar überlegen, den Patienten von der Operation abzusetzen.

Meine Damen und Herren, nun kommen wir zu einem etwas düsteren Kapitel, dem Missbrauch der Angst. Die Politik und auch die Kirche kannten schon in frühen Zeiten die Macht der Angst. Sie hält die Menschen zusammen und macht sie gefügiger. Sie erlaubt Maßnahmen wie z. B. Kriege, die man ohne diese Angst nur schwer durchsetzen könnte. Gut, dass dieser Alarmismus in den Medien mehr und mehr thematisiert und verurteilt wird. Aber auch in der Arbeitswelt gibt es dies natürlich. Jeder leitende Arzt mit Personalverantwortung muss sich kritisch prüfen, ob er nicht vielleicht unterbewusst dieses Mittel gelegentlich einsetzt. Der langfristige Schaden für seine Abteilung bei so einem Verhalten wäre verheerend. Besonders unethisch ist es, wenn man dem Patienten vor der Operation Angst macht, um eventuelle Fehlschläge während der Operation schon im Vorhinein zu rechtfertigen, oder gar den Patienten zu einer Operation drängt, von der der Patient noch nicht überzeugt ist. (Der Satz „Sie haben eine Zeitbombe im Bauch” wird sicherlich seine Wirkung meistens nicht verfehlen, ist aber meiner Meinung nach unethisch).

Wir sollen uns aber deswegen nicht schlechter machen als wir sind und dürfen auch zeigen, wie wertvoll unsere Arbeit ist. In diesem Sinne möchte ich den alten Spruch an unserer Mannheimer Klinik ergänzen: “If it is easy, you can make it look difficult - but never make it look dangerous”.

Meine Damen und Herren, sollten Sie je einmal operiert werden, suchen Sie sich einen Chirurgen aus, der seine Sorgen um Sie zum Ausdruck bringt und nicht seine Angst. Achten Sie auf seine Augen, ob er mit Ihnen den Blickkontakt sucht. Achten Sie auf seine Hände, die Ihnen Vertrauen einflößen sollten und schauen Sie auf seine Stirn. Sind dort horizontale Falten, dann sind Sie beim Richtigen und alles wird gut.

Ich danke Ihnen

Priv. Doz. Dr. med. Sebastian Freudenberg

Chirurgische Universitätsklinik Mannheim

Theodor Kutzer Ufer 1 - 3

68135 Mannheim

Phone: 06 21/3 83-22 25

Fax: 06 21/3 83-73 27 56

Email: sebastian.freudenberg@chir.ma.uni-heidelberg.de

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