Nicht-tuberkulöse Mykobakterien gewinnen als Infektionserreger beim Menschen zunehmend
an Bedeutung.
Neben Mycobacterium (M.) avium-intracellulare ist hier vor allem M. malmoense zu nennen.
Um auf diese Problematik hinzuweisen, möchten wir im Folgenden über einen Patienten
mit einer chronischen pulmonalen Infektion durch M. malmoense berichten.
Kasuistik
Der 49-jährige Patient mit chronisch-obstruktiver Bronchitis (bei langjährigem Nikotinabusus)
befand sich seit Februar/März 1998 wegen rezidivierender Infekte in ambulanter Behandlung.
Die bildgebende Diagnostik zeigte destruierende, teils fibrozirrhotische, teils kavernöse
Lungenveränderungen.
Im Sputum vom 10. 6. 1998 wurden erstmalig mikroskopisch säurefeste Stäbchen nachgewiesen,
die sich auch kulturell bestätigten. Nachfolgende Materialeinsendungen (Sputum und
Bronchialsekret) ergaben ebenfalls säurefeste Stäbchen bzw. in der Kultur Mykobakterien.
Noch bevor das endgültige Differenzierungsergebnis vorlag und obwohl der Tuberkulintest
(10 E GT) mit 4 mm negativ war, wurde in Anbetracht der klinischen Symptomatik mit
einer antituberkulösen Therapie mit Isoniazid (INH), Rifampicin, Pyrazinamid und Ethambutol
begonnen.
Ab 1. 7. 1998 waren die mikroskopischen und (retrospektiv) kulturellen Kontrollen
negativ, so dass der Patient am 10. 7. 1998 bei subjektivem Wohlbefinden in die ambulante
Betreuung entlassen werden konnte. Es wurde empfohlen, ab August 1998 eine Umstellung
auf eine Zweifachkombination mit Rifampicin und INH für weitere Monate vorzunehmen,
vorbehaltlich des Ergebnisses der endgültigen Differenzierung der Erreger.
Der angezüchtete Mykobakterien-Stamm konnte im Referenzlabor schließlich als M. malmoense
differenziert werden[1].
In der Folgezeit wechselte der Patient mehrfach den Arzt bzw. blieb ohne ärztliche
Betreuung, so dass die Therapie weder korrigiert noch fortgesetzt werden konnte.
Erst am 28. 5. 2003 erfolgte bei Hämoptoe über den Notarzt eine weitere stationäre
Aufnahme, nachdem schon über ein halbes Jahr Reizhusten, Dyspnoe und Gewichtsabnahme
bestanden hatten.
Außer der Röntgenuntersuchung der Lunge erfolgten ein Thorax-CT mit Kontrastmittel
sowie eine Bronchoskopie (Blennorrhoe aus beiden Oberlappen, schleimiges Sekret aus
S 6 bds., Freispülen der Segmentostien).
Im Sputum fanden sich mikroskopisch säurefeste Stäbchen.
Trotz der Tatsache, dass bei diesem Patienten 1998 eine M. malmoense-Infektion diagnostiziert
worden war, stellte man jetzt die Verdachtsdiagnose „Lungentuberkulose” und begann
wieder eine Behandlung mit oben genannter Vierfachkombination (eine PCR wurde leider
nicht durchgeführt). Die Differenzierung des angezüchteten Mykobakterien-Stammes ergab
aber wieder M. malmoense[1] (sensibel gegenüber Ethambutol, Ofloxacin, Clarithromycin, resistent gegenüber INH,
Rifampicin, Pyrazinamid und Streptomycin).
Die Behandlung wurde mit Ethambutol, Rifabutin, Ciprofloxacin und Clarithromycin fortgesetzt.
Der Patient rauchte weiterhin täglich ca. 20 Zigaretten.
Das in dieser Zeit durchgeführte Lungen-CT zeigte einen im Wesentlichen unveränderten
Lungenbefund (Abb. [1] und Abb. [2]).
Abb. 1 CT-Schnitt der Lunge zeigt infiltrativ-kavernöse Oberlappen-Destruktion beidseits
mit Pleuraverdickung.
Abb. 2 CT-Schnitt der Lunge zeigt Infiltrate in beiden Oberlappen, Bullae mit Bezug zur Pleura
mediastinalis, Kavernen mit pleuraler Verschwartung in S6 beidseits.
Wegen zunehmender gastrointestinaler Beschwerden, die am ehesten auf die genannte
Therapie zurückzuführen waren, wurde die Behandlung ab März 2004 lediglich mit Azithromycin
fortgeführt (zeitweilig wurde der Patient parenteral ernährt). Aber auch dieses Mittel
wurde nur schlecht toleriert, so dass intermittierend Therapiepausen erfolgten.
Zunächst ergaben die mikrobiologischen Sputumkontrollen keine Nachweise von Mykobakterien,
im September 2004 konnte aber während eines stationären Aufenthaltes (gastrointestinale
Beschwerden, verschlechterter Allgemeinzustand) erneut M. malmoense aus dem Bronchialsekret
angezüchtet werden.
Es erfolgte eine Behandlung mit Ciprofloxacin und Clarithromycin i. v. Unter dieser
Therapie besserte sich der Zustand des Patienten deutlich.
Nach Entlassung wurde die Therapie mit Clarithromycin p. o. und Ethambutol fortgesetzt.
Eine erneute parenterale Antibiotika-Therapie ist geplant.
Diskussion
Gute epidemiologische Daten zum Vorkommen von Infektionen durch M. malmoense liegen
nicht vor, seit 1980 wird aber zunehmend über solche Infektionen berichtet [22].
Überwiegend handelt es sich um Erwachsene, Kinder erkranken seltener [4]
[8]
[9]
[10]. In den publizierten Fallserien findet sich meist ein Überwiegen des männlichen
Geschlechts.
M.-malmoense-Infektionen treten weltweit auf [1]
[4], die meisten Fälle wurden aber bisher in Nordeuropa diagnostiziert, z. B. in Großbritannien
[5]
[13]
[14]
[20]
[21], Irland [18], Schweden [7]
[10]
[11], aber auch aus Deutschland [8]
[15]
[16], der Schweiz [3]
[9]
[22], Frankreich [6] und Italien [19] liegen inzwischen Publikationen vor.
Invasive bzw. disseminierte M.-malmoense-Infektionen betreffen meist Patienten mit
bestimmten Grundkrankheiten, z. B. solche mit immunsuppressiver Therapie [5]
[15]
[21], AIDS [22], Diabetes mellitus [3]
[15], malignen Erkrankungen [6]
[7], Alkohol- bzw. Nikotinabusus [1]
[3]
[4]
[10]
[20] sowie chronischen Lungenerkrankungen [22].
Die Erreger stammen wahrscheinlich aus der Umwelt (Boden, Wasser).
Die klinische Symptomatik wird bestimmt vom betroffenen Organ und dem Schweregrad
der Erkrankung. Bei den Erwachsenen handelt es sich in den meisten Fällen um pulmonale
Infektionen [10]. Diese unterscheiden sich klinisch kaum von Lungen-Tuberkulosen [3]
[8]. Wie bei der Tuberkulose können sich auch hier Kavernen entwickeln [3]
[14], aber auch eine bronchoösophageale Fistel wurde beobachtet [15].
Eine eher chronische Symptomatik ist auch typisch, wenn sich die Infektion in einem
anderen Organsystem abspielt, z. B. im Bereich der Haut [6]
[17], eines Gelenks bzw. Knochens [5]
[21] oder als Tenosynovitis verläuft [12]
[18]
[22].
Bei deutlich beeinträchtigter Abwehrlage kommt es auch zu disseminierten Infektionen
[7]
[22].
Bei immunkompetenten Kindern kann M. malmoense (selten) eine zervikale Lymphadenitis
auslösen [4]
[8]
[9]
[10]
[16]
[22].
Der Tuberkulin-Test ist üblicherweise negativ oder schwach positiv. Die wichtigsten
Untersuchungsmaterialien zum Erregernachweis sind Sputum, BAL-Flüssigkeit, Trachealsekret
und Punktate bzw. Biopsate. Bei disseminierten Infektionen gelang der Erregernachweis
auch aus Stuhl bzw. Abszesseiter [22].
Die Anzucht dieser nicht-tuberkulösen Mykobakterien gelingt auf Nährböden, die zur
Tuberkulose-Diagnostik geeignet sind. M. malmoense wächst langsam (besser bei 30 °C),
es wird daher eine Inkubationszeit von 8 - 12 Wochen empfohlen [3]
[8]
[22]. Die endgültige Identifizierung sollte in Speziallaboratorien erfolgen.
Der einmalige Nachweis von M. malmoense im Sputum beweist nicht das Vorliegen einer
pulmonalen Infektion, es könnte sich in einem solchen Fall auch um eine Besiedlung
handeln.
Für das Vorliegen einer mykobakteriellen Infektion spricht der mehrmalige Erregernachweis
bzw. der Nachweis aus einem Aspirat bzw. Biopsat im Zusammenhang mit einer entsprechenden
klinischen Symptomatik, aber auch der Nachweis einer granulomatösen Entzündung (evtl.
mit Langhansschen Riesenzellen und Verkäsung) [4]
[8]
[9]
[12]
[17].
Die American Thoracic Society hat diagnostische Kriterien definiert, die erfüllt sein
müssen, bevor die Diagnose „Lungeninfektion durch nicht-tuberkulöse Mykobakterien”
gestellt werden kann [2].
Differenzialdiagnostisch wichtig ist vor allem die Unterscheidung zwischen M.-malmoense-Infektionen
einerseits und Infektionen durch andere Mykobakterien andererseits (M. tuberculosis
bzw. andere nicht-tuberkulöse Mykobakterien).
Nach Eintreffen des Befundes „säurefeste Stäbchen” erfolgte in vielen Fällen zunächst
eine antituberkulöse Therapie [8]. Erst wenn die angezüchteten Erreger als M. malmoense typisiert worden waren, wurde
mit einer erregerspezifischen Therapie begonnen bzw. erfolgte eine Therapieumstellung.
Bei jedem angezüchteten Stamm sollte eine Resistenz-Testung durchgeführt werden. In
den meisten Fällen besteht Resistenz gegenüber INH und Pyrazinamid [8]
[12]
[16].
Mehrere Autoren wiesen aber darauf hin, dass die Ergebnisse der Resistenzbestimmung
in vitro nicht unbedingt mit der klinischen Wirksamkeit korrelieren [14]
[22]. Durch In-vitro-Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass es durch die Kombination
mehrerer Mittel zu synergistischen Effekten kommt [11].
Die meisten Therapieerfahrungen liegen mit Rifampicin bzw. Rifabutin, Ethambutol und
Clarithromycin vor [1]
[6]
[8]
[15]
[21]
[22], so dass als First-line-Therapie am ehesten diese Dreierkombination empfohlen werden
kann.
Aber auch Amikacin [7], Clofazimin [22], Prothionamid [15]
[16] und Ofloxacin [15] wurden eingesetzt.
Ein durch entsprechende Studien gesichertes optimales Therapieregime gibt es aber
bisher nicht. Die Angaben zur Therapiedauer schwanken zwischen 9 und 24 Monaten, die
Dauer wird offensichtlich bestimmt von der individuellen Situation des Patienten.
Bei ungenügendem Ansprechen auf die Antibiotikatherapie bzw. bei Resistenz sind u.
U. operative Maßnahmen (z. B. partielle Lungensektion) nötig [1]
[3].
Die Therapie der Wahl bei Lymphadenitis durch M. malmoense bei primär gesunden Kindern
besteht in der vollständigen Exzision des betroffenen Lymphknotens [22].
Patienten mit M.-malmoense-Infektionen gelten (zumindest für immunologisch gesunde
Kontaktpersonen) nicht als kontagiös, somit entfallen Isolierung der Patienten und
Umgebungsuntersuchungen [3]
[22].
Bei unserem Patienten sprechen die Anamnese (chronischer Nikotinabusus), die chronische
Lungenerkrankung (COPD) als Dispositionsfaktor, der mehrmalige Nachweis von M. malmoense
im Sputum bzw. Bronchialsekret (und negative Befunde bezüglich anderer potenzieller
Verursacher dieser Veränderungen), und auch der negative Tuberkulintest dafür, dass
es sich tatsächlich um eine M.-malmoense-Infektion handelt. Die oben genannten diagnostischen
Kriterien [2] wurden erfüllt.
Der weitere Verlauf bei unserem Patienten zeigt, wie schwierig die Therapie solcher
Infektionen im Einzelfall sein kann.
Eine sichere Eradikation der Erreger ist bis jetzt nicht gelungen. Hierbei dürften
die bestehenden destruierenden Lungenveränderungen, der fortbestehende Nikotinabusus,
die Nebenwirkungen der Antibiotika und die daraus folgende ungenügende Compliance
des Patienten bzw. notwendig gewordene Therapiepausen eine Rolle spielen.