Obwohl inzwischen ein Reihe von randomisierten, doppel-blinden und plazebo-kontrollierten
Studien zur Wirksamkeit von Olanzapin bei psychotischen und Verhaltensstörungen von
Demenzpatienten vorliegen [3]
[4]
[12], wurde in der Fachinformation der Warnhinweis aufgenommen: „Olanzapin ist für die
Behandlung von Psychosen und/oder Verhaltensstörungen im Zusammenhang mit einer Demenz
nicht zugelassen und die Anwendung in dieser speziellen Patientengruppe wird nicht
empfohlen, da die Mortalität und das Risiko eines zerebrovaskulären Zwischenfalls
erhöht ist”. Risperidon ist in Deutschland auch für die Behandlung von Demenzpatienten
zugelassen, bisher in der Indikation: „Chronische Aggressivität und psychotische Symptome
bei Demenz”. Diese Indikation wurde inzwischen enger gefasst und begrenzt auf: „Schwere
chronische Aggressivität, durch die sich die Patienten selbst und andere gefährden,
oder psychotische Symptome bei Demenz, durch die die Patienten erheblich beeinträchtigt
werden.” Die Zulassung von Risperidon für die Behandlung von Demenzpatienten bleibt
bestehen.
In dieser aktuellen Situation ist unklar, wie zukünftig Demenzpatienten mit psychotischen
Symptomen und Verhaltensstörungen behandelt werden sollten. In Großbritannien vertritt
das CSM (Committee on Safety of Medicines[2]) die Auffassung: „Risperidon oder Olanzapin sollten nicht für die Behandlung von
Verhaltensauffälligkeiten bei Demenzpatienten eingesetzt werden.” (s. „Message sent
to healthcare professionals” unter: http://medicines.mhra.gov.uk/ourwork/monitorsafequalmed/safetymessages/urgent.htm#2004). Diese Empfehlung erscheint zumindest fragwürdig, zumal man in Deutschland derzeit
mit ca. 1,3-1,5 Millionen Demenzpatienten rechnet, von denen ca. 90 % im Verlauf ihrer
Erkrankung psychopathologische Symptome und/oder Verhaltensauffälligkeiten entwickeln
[Tab. 1].
Nach diesen Zahlen ist davon auszugehen, dass ca. 700.000 Demenzpatienten in Deutschland
im Verlauf ihrer Erkrankung unter Wahnvorstellungen leiden, ca. 400.000 Demenzpatienten
Halluzinationen entwickeln und etwa ebenso viele Patienten aggressives Verhalten zeigen.
Bislang werden diese nicht-kognitiven Symptome der Demenz am häufigsten mit traditionellen
Antipsychotika, wie z.B. Melperon behandelt, obwohl für diese Substanzen kein Nachweis
einer Wirksamkeit vorliegt, allenfalls einzelne, unzureichende Untersuchungen ohne
das notwendige Studiendesign (doppelblind, randomisiert, plazebo-kontrolliert) und
mit zu geringer Anzahl der beobachteten Patienten [5].
Nur für Risperidon und Olanzapin gibt es bislang eine für die Bewertung von Nutzen
und Risiko ausreichend große Zahl von randomisierten, doppel-blinden und plazebo-kontrollierten
Studien. Allerdings handelt es sich z.B. im Falle von Risperidon um Studien mit relativ
kurzer Dauer: acht bis zwölf Wochen doppelt-blinde Phase. Unter dem Begriff zerebrovaskuläre
Ereignisse wurden nicht nur TIA und Schlaganfälle subsummiert, sondern auch Begriffe
wie „cerebrovascular disorder, cerebrovascular accident, cerebrovascular disturbance”.
Weniger als die Hälfte (45 %) dieser Ereignisse wurden als ernsthaft eingestuft (lebensbedrohlich
oder führten zur Krankenhauseinweisung oder lang anhaltender Behinderung). Als prädisponierende
Risikofaktoren fanden sich Alter über 65 Jahre, Sedierung, Dysphagie, Malnutrition,
Dehydratation, pulmonale Erkrankungen und Behandlung mit Benzodiazepinen (s. http://www.emea.eu.int/pdfs/human/press/pus/085604en.pdf). Die MHRA errechnete, dass von 37 Patienten, die über einen Zeitraum von acht bis
zwölf Wochen mit Risperidon behandelt werden, ein Patient ein „zerebrovaskuläres Ereignis”
erleidet, das auf Risperidon zurückzuführen ist (s. PDF-Datei „Summary of clinical
trial data on cerebrovascular adverse events (CVAEs) in randomised clinical trials
of risperidone conducted in patients with dementia” unter: http://medicines.mhra.gov.uk/ourwork/monitorsafequalmed/safetymessages/urgent.htm#2004). Die Gesamt-Mortalität unterschied sich nicht signifikant zwischen Risperidon und
Plazebo.
Interessanterweise zeigte eine Untersuchung von Kozma et al. [7], dass nicht nur unter atypischen Antipsychotika, sondern auch unter typischen Neuroleptika
(Haloperidol) und unter Benzodiazepinen das Risiko zerebrovaskulärer Ereignisse erhöht
ist. In Abbildung 1 ist der Wert für das relative Risiko der Cholinesterasehemmer
(ChEH) auf 1,0 gesetzt, da für diese Substanzen bislang kein erhöhtes Risiko zerebrovaskulärer
Ereignisse bekannt geworden (aber selbstverständlich auch nicht definitiv auszuschließen)
ist. Die Abbildung zeigt das relative Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse (N =
Anzahl der Patienten) unter Risperidon (Ris), Olanzapin (Ola), Haloperidol (Hal) und
Benzodiazepinen (BDZ).
Ein relatives Risiko von 4 für eine Substanz X besagt, dass die Wahrscheinlichkeit
für das Auftreten zerebrovaskulärer Ereignisse unter der Behandlung mit Substanz X
um den Faktor 4 höher ist als bei der Behandlung mit der Vergleichssubstanz (hier
Cholinesterasehemmer). Ob das relative Risiko für Risperidon und Olanzapin wirklich
zwischen 2 und 3 liegt, ist derzeit noch unklar, zumal eine aktuelle Studie [6] im American Journal of Psychiatry (6964 Patienten mit Risperidon, 3421 mit Olanzapin,
1015 Kontrollpatienten) das relative Risiko für Risperidon mit 1,1 und für Olanzapin
mit 1,4 angibt.
Abbildung 1 verdeutlicht, dass das Risiko zerebrovaskulärer Ereignisse nicht nur bei
Gabe von Risperidon oder Olanzapin erhöht ist - wie es jetzt den Rote Hand Briefen
zu entnehmen war - sondern auch unter der Behandlung mit Haloperidol und Benzodiazepinen.
Somit ist das Risiko nicht auf atypische Antipsychotika beschränkt, sondern besteht
auch bei typischen Neuroleptika und Benzodiazepinen. Für andere atypische Antipsychotika
wie z.B. Amisulprid, Clozapin, Quetiapin oder Ziprasidon liegen bislang nicht genügend
Daten vor, so dass das Risiko zerebrovaskulärer Ereignisse bei Demenzpatienten für
diese Substanzen aktuell nicht abschätzbar ist.
In Anbetracht der Häufigkeit nicht-kognitiver Symptome bei Demenzpatienten (s.o.)
sowie der z.T. gravierenden Auswirkungen (Eigen- und Fremdgefährdung, Heimeinweisung
u.a.) für Patienten und Angehörige, kann jedoch auf die Behandlung der nicht-kognitiven
Symptome nicht verzichtet werden. Es erscheint angemessen, bei der Behandlung nicht-kognitiver
Symptome folgenden Überlegungen zu folgen:
o Cholinesterasehemmer als Basistherapie: Cholinesterasehemmer zeigen nicht nur in
der Behandlung kognitiver Defizite bei Demenzpatienten, sondern auch bei nicht-kognitiven
Symptomen positive Wirkungen, u.a. bei Apathie, Ängstlichkeit, Depression, Halluzinationen
und Wahnsymptomen (Übersicht in [13]). Diese Substanzen (Donepezil, Galantamin, Rivastigmin) sollten daher bei leichter
oder mittelschwerer Demenz als Basistherapie eingesetzt werden, bevor Antipsychotika
zum Einsatz kommen. Zur Behandlung kognitiver Defizite kommt bei mittelschwerer (bis
schwerer) Alzheimer-Demenz Memantin gleichermaßen in Betracht.
-
Strenge Indikationsstellung für Neuroleptika: Leider werden auch in vielen aktuellen
Studien zur Therapie nicht-kognitiver Symptome bei Demenzerkrankungen (2) generell
traditionelle Neuroleptika angewendet bzw. empfohlen, obwohl deren Anwendung nach
der aktuellen Datenlage oftmals nicht indiziert ist, z.B. Haloperidol bei psychomotorischer
Unruhe/Agitation (Cochrane-Review von [10]). Auch für die Behandlung nicht-kognitiver Symptome sollte der Grundsatz einer syndromal
orientierten Therapie gelten [9]. Traditionelle Antipsychotika sind effektiv einsetzbar zur Behandlung von Wahn,
Halluzinationen oder Fremdaggressivität [1]
[4] mit deutlicher klinischer Relevanz für den Patienten oder seine Umgebung, sind jedoch
nicht bei allen nicht-kognitiven Symptomen indiziert (Apathie, depressive Symptome
u.a.). Bei der Behandlung psychotischer Symptome bei Demenzpatienten mit Olanzapin
ist zu berücksichtigen, dass es sich um „off-label use” handelt. Angesichts der expliziten
Warnung schließt dies den Einsatz von Olanzapin abgesehen von spezifisch zu begründenden,
ansonsten therapierefraktären Fällen faktisch aus, zumal anderenfalls ein erhebliches
Arzthaftungsrisiko besteht.
-
Dauer der Anwendung von Antipsychotika beschränken: Wahn, Halluzinationen und Aggressivität
sind häufig transiente Symptome [7]
[11] und sollten daher nur für die Dauer von maximal sechs Monaten antipsychotisch behandelt
werden. Nur wenn nach einem Auslassversuch die Symptome wieder auftreten, sollte die
Behandlung mit Antipsychotika fortgeführt werden, wobei später erneut ein ausschleichendes
Absetzen zu versuchen ist. Die Antipsychotika der zweiten Generation haben gegenüber
ihren Vorgängern einen klaren Vorteil in Bezug auf das Risiko, Spätdyskinesien zu
induzieren. Obwohl es für ältere Patienten diesbezüglich keine prospektiven Vergleichsstudien
zwischen diesen beiden Substanzgruppen gibt, kann man mit einer gewissen Sicherheit
davon ausgehen, dass sich dieser Gruppenunterschied auch bei älteren Patienten, die
eine besondere Risikogruppe für Spätdyskinesien darstellen, niederschlägt. Dieses
Risiko muss also dem Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse gegenübergestellt werden,
zumal das Risiko zerebrovaskulärer Ereignisse wahrscheinlich auch bei traditionellen
Neuroleptika (und Benzodiazepinen) besteht. Die Therapieentscheidung ist zu individualisieren
unter Einbeziehung des Patienten und seiner Angehörigen nach deren ausführlicher Aufklärung.