Endoskopie heute 2004; 17(3): 137-138
DOI: 10.1055/s-2004-820401
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Schwerpunkt Analgosedierung - Juristische Aspekte

Main topic Analgosedation - Legal AspectsW. Rösch1
  • 1Krankenhaus Nordwest, Innere Klinik, Frankfurt am Main
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Publikationsdatum:
05. November 2004 (online)

Ein Patient hatte sich nach einer Magenspiegelung heimlich aus dem Krankenhaus entfernt, fuhr mit dem Auto nach Hause und verunglückte tödlich. Die Familie des Toten verklagte daraufhin den Chefarzt für Innere Medizin eines Kreiskrankenhauses in Hessen wegen Aufsichtspflichtverletzung und bekam Recht.

Der Mann war vor dem Eingriff zweimal - von seinem Hausarzt und dem Chefarzt - darüber aufgeklärt worden, dass er nach dem Eingriff aufgrund der damit verbundenen starken Sedierung fahruntauglich sein werde. Dem Internisten erzählte der Patient dann auch, er sei zwar mit dem Wagen hergefahren, werde nach Hause jedoch ein Taxi nehmen.

Der große und schwergewichtige Mann erhielt zur Sedierung 20 mg Buscopan und 30 mg Dormicum. Nach der Magenspiegelung war er zuerst eine halbe Stunde unter Aufsicht im Untersuchungszimmer, wo ihm 0,5 mg Anexate intravenös verabreicht wurden. Danach hielt er sich nach Anweisung des Arztes im Flur vor den Dienst- und Behandlungsräumen auf. Dort sprach der Chefarzt mehrmals mit ihm. Nach etwa 2 Stunden verschwand der Patient jedoch ohne vorherige Abmeldung, um mit dem Wagen nach Hause zu fahren. Unterwegs geriet er aus ungeklärten Gründen auf die Gegenfahrbahn und stieß mit einem LKW zusammen. Er starb noch an der Unfallstelle.

Mit der Begründung: „Ein Arzt kann nicht für den Unfalltod eines Patienten haftbar gemacht werden, wenn der sich nach einer Behandlung gegen ärztlichen Rat doch ans Steuer setzt” wies das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die Klage der Witwe gegen den Chefarzt ab. Der Beklagte habe seine Überwachungspflicht nicht verletzt, entschied das Gericht, eine schriftliche Belehrung sei nicht erforderlich, ebenso wenig seien Ärzte verpflichtet, Patienten nur in Begleitung aus der Klinik zu entlassen. Der Endoskopiker habe lediglich darauf zu achten, dass der Patient geistig in der Lage sei, Belehrungen Folge zu leisten.

Der Bundesgerichtshof hat dieses Urteil des Frankfurter Oberlandesgerichts aufgehoben und entschieden, dass der Chefarzt seinen Fürsorgepflichten gegenüber dem Patienten nicht ausreichend nachgekommen sei und voll haften müsse. Unter den gegebenen Umständen hätte man den Mann nicht im Flur lassen dürfen. Der untersuchende Arzt habe damit rechnen müssen, dass dieser wegen des verabreichten Midazolams unter einer anterograden Amnesie leiden und sich daher nicht mehr an die vorherigen Anweisungen erinnern könne.

Um dies zu verhindern hätte der Patient nach Ansicht der Richter in einem speziellen Raum unter ständiger Aufsicht bleiben müssen (Aktenzeichen V I ZR 265/02). So weit - so schlecht. Der untersuchende Arzt hat natürlich keinerlei Handhabe, einen Patienten, der die Klinik verlässt, festzuhalten oder „in Gewahrsam zu nehmen”. Der Untersucher steht hier vor einem Dilemma, selbst wenn ein Aufwachraum zur Verfügung steht, in dem der sedierte Patient zwischengelagert werden kann. Nach einiger Zeit wird sich der Patient bemerkbar machen und erklären, dass er sich fit fühle. Ob dies für die Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels oder gar des eigenen Wagens ausreicht, ist für den Untersucher kaum beurteilbar, es sei denn er führt psychometrische Tests durch, die jedoch nicht für die Frage zur Verfügung stehen, ob ein Patient nach Midazolam oder Propofol wieder verkehrstüchtig ist.

Sicher ist im vorliegendem Fall mit 30 mg Dormicum eine das übliche Maß übersteigende „conscious sedation” vorgenommen worden. Bei einer Halbwertszeit von 2 bis 3 Stunden reicht die einmalige Gabe von 0,5 mg Anexate (hier Halbwertszeit 52 Minuten) nicht aus, um den Patienten verkehrsfähig zu machen.

Nach wie vor empfiehlt es sich, darauf zu bestehen, dass der sedierte Patient nach einer Überwachungsphase im Krankenhaus von Angehörigen nach Hause gebracht wird, auch wenn man dabei in einer Grauzone arbeitet und Eigenverantwortung an die Angehörigen delegiert. Nicht umsonst weigern sich viele Taxifahrer, einen sedierten Patienten nach Hause zu fahren, gilt ihre Aufmerksamkeit doch primär dem Verkehr und nicht einem schläfrigen Passagier.

Nicht überall steht ein Aufwachraum zur Verfügung, auch wenn er im Zeitalter von Midazolam und Propofol unabdingbar erscheint. Die Überwachung durch Blickkontakt durch eine Glasscheibe oder eine Fernsehkamera ist sicher genauso problematisch wie die Überwachung des Patienten durch medizinische Laien, wie sie Angehörige in der Regel darstellen.

Der Bundesgerichtshof hat noch einmal betont, dass der Untersucher so lange für den Patienten verantwortlich ist, wie die sedierende Maßnahme wirkt. Dies kann sogar im Krankenhaus relevant sein, wo nicht selten der Patient von der Endoskopie-Abteilung direkt in ein Krankenzimmer gefahren wird, wo keine Überwachung mehr gewährleistet ist.

Pulsoximetrie und EKG-Überwachung sind während der Untersuchung zwischenzeitlich mehr oder weniger obligat geworden, der Aufwachraum für Chirurgen, die ambulant operieren, eine Selbstverständlichkeit. Da viele endoskopische Untersuchungen zwischenzeitlich als ambulante Operation abgerechnet werden können, muss die Verwaltung nachziehen, wenn bislang nicht ausreichend Aufwachräume zur Verfügung stehen. Dass zu einem Aufwachraum geschultes Personal gehört, versteht sich von selbst.

Letztlich leben wir in einem gewissen Dilemma, das in anderen Ländern der europäischen Union viel strikter gelöst ist. So darf in Frankreich zum Beispiel nur ein Anästhesist eine intravenöse Sedierung oder Narkose vornehmen. Bei uns hat sich durchgesetzt, dass bei Propofol ein zweiter, intensivmedizinisch geschulter Arzt anwesend sein muss, wenn die Endoskopie in Propofol-Narkose durchgeführt wird. Diese Forderung ist im Krankenhaus wesentlich leichter umzusetzen als im ambulanten Bereich. Da aber das höchste deutsche Gericht wie oben ausgeführt entschieden hat, sollte man sich an Richtlinien der Fachgesellschaften halten, so lange es nicht gelingt, diese entscheidend zu modifizieren. Der Endoskopiker steht dabei vor dem Dilemma, das er nach Möglichkeit auf eine Sedierung verzichten will, während der Patient eine sanfte Endoskopie bevorzugt und gegen eine „Vollnarkose” keine Einwände hat.

Dass mögliche unerwünschte Wirkungen von Midazolam, Buscopan oder Propofol dem Patienten im Rahmen eines Aufklärungsgespräches vermittelt werden müssen, versteht sich von selbst. Hier klafft bei den derzeit üblichen Aufklärungsbogen noch eine Lücke, die baldmöglichst geschlossen werden sollte durch einen zusätzlichen Bogen, in dem sedierende Maßnahmen und/oder eine Narkose speziell aufgelistet sind einschließlich der Belehrung über den Transport nach Hause.

Übersetzt man das oben genannte BGH-Urteil in die klinische Praxis, hätte der Untersucher wahrscheinlich dem Patienten die Autoschlüssel abnehmen müssen, wie dies bei alkoholisierten Patienten ja durchaus erlaubt ist. Die Rechtsprechung der höchsten Gerichte ist für den praktisch tätigen Arzt nicht immer nachvollziehbar, da sie häufig an den Gegebenheiten vorbeigeht und „unrealistisch” erscheint. Der einzige Vorteil des Urteils liegt letztlich darin, dass die Forderung nach einem Überwachungsraum, der vielerorts noch fehlt, jetzt höchstrichterlich angeordnet ist.

W. Rösch

Medizinische Klinik, Krankenhaus Nordwest

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