DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2004; 2(01): 26-27
DOI: 10.1055/s-2004-818831
Focus
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Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co.KG Stuttgart

Wie viel Intensität braucht die Behandlung des Fasziengewebes?

Peter Schwind
Königinstr. 35A, 80539 München
,
Edgar Hinkelthein
Satower Weg 29, 24357 Fleckeby
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Publication History

Publication Date:
17 February 2004 (online)

Pro

Dr. phil. Peter Schwind

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Certified Rolfer, Fachbuchautor und Dozent bei der European Rolfing Association in München

Bei der Behandlung des Fasziennetzes begegnen wir Schichten von unterschiedlichstem Gewebeaufbau. Zuweilen grenzen in ein und derselben Schicht gleitfähige Elemente direkt an faserig starres Gewebe. Für die Behandlungsstrategie ist es wesentlich, eine derartige Differenziertheit der Faszien zu respektieren. Meines Erachtens erfordern unterschiedliche Formen des Fasziensystems eine sehr differenzierte Abstufung der Berührungsintensität. Es gibt Muskelfaszien im Extremitätenbereich, die ausgezeichnet auf intensivsten Druck reagieren, während beispielsweise eine Faszie wie die Fascia endothoracica auf feinste Impulse reagiert.

In jedem Fall ist das Faktum, dass die Faszien im engeren Wortsinn über andere Bindegewebstypen als Endlossystem mit allen Elementen des Organismus vernetzt sind, von großer Bedeutung. Die Behandlung einer faszialen Einheit wirkt immer über den nur lokalen Effekt in andere Körperabschnitte. Ida Rolfs Behandlungsstrategie - "go where it isn’t" - arbeite von dort, wo die Probleme sich nicht manifestieren - ist in diesem Sinn zu verstehen.

Um es vorweg zu sagen, meine persönliche Ansicht ist, dass die Genauigkeit bei der Diagnose und die Interaktion zwischen Therapeut und Patient größeres Gewicht für ein positives Behandlungsresultat haben, als die Intensität der Berührung. Und doch lohnt es sich über das ganze Spektrum der Berührungsintensität nachzudenken, weil das Ausmaß der Berührungsintensität eng mit den Zielvorstellungen einer Methode verbunden ist.

Zielvorstellungen der Rolfingmethode

Ida Rolfs Annahme war, dass sich das Fasziensystem buchstäblich formen lässt, dass sich damit der Körperbau sichtbar wandelt und dass damit eine verbesserte Aufrichtung der Hauptsegmente des Organismus gewährleistet ist. In zweiter Linie ging es Ida Rolf dabei aber auch um eine verbesserte Bewegungskapazität. Rolfing war, als es noch in seinen Kinderschuhen steckte, gleichzeitig intensivste Behandlung des Fasziensystems und subtile Bewegungsschulung.


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Quantitative oder qualitative Intensität

Die klassische Rolfingtechnik konzentriert sich vor allem auf Muskelfaszien. Die in diesem Faszientyp dominanten kollagenen Faseranteile sind nach allgemeiner Übereinstimmung der Forschung auch unter größtem Krafteinsatz nur sehr gering, etwa zu 5%, dehnbar. Anders bei den Schichten, die mehr Elastin enthalten: Hier kann eine quantitativ intensive Technik irreversible Veränderungen erreichen. Ich konnte in der Praxis immer wieder beobachten, dass beispielsweise die mit großem Druck ausgeführte Behandlung der Faszien an der Rückseite der Oberschenkel über die Bandverbindung des Lig. sacrotuberale ausgezeichnete Resultate bei der Behandlung von Instabilität der Beckengelenke brachte. Ich bin allerdings der Auffassung, dass gegenüber der quantitativen Intensität (vereinfacht gesagt: mehr Druck auf das Gewebe) eine Steigerung der qualitativen Intensität (vereinfacht gesagt: Modifikation der taktilen Qualität) erhebliche Vorteile aufweist.


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Fazit

Qualitative Intensität entsteht dadurch, dass der Therapeut seine Hände nicht als isoliertes "Instrument" verwendet, sondern sie als Verlängerung seiner gesamten Körperkoordination einsetzt. Ein effektiver und zugleich sicherer Weg ist, das eigene Körpergewicht nach und nach wirken zu lassen und aktiven Druck unter Einsatz der Schultern und Arme vorsichtig "zuzuschalten."

Aber auch wenn ein Therapeut einfach nur erheblichen Druck anwendet, was vor allem bei hypertonen Schichten angebracht sein mag, sind eine Reihe von Voraussetzungen zu beachten: Zerrendes Einwirken auf die Hautoberfläche ist zu vermeiden, um die Hautnerven zu schonen. Der Winkel, in dem Druck ausgeübt wird, soll zumeist schräg zu Knochenstrukturen verlaufen. Und an den Außenschichten verlaufende zähe Faszien sollten nur so intensiv behandelt werden, wie die darunter liegenden folgen können: Im Idealfall erreichen wir damit, dass die äußere Form des Körperbaus gleichzeitig mit den tiefliegenden Strukturen des viszeralen und kraniosakralen Systems synchron behandelt werden.


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