intensiv 2005; 13(1): 1
DOI: 10.1055/s-2004-813879
Editorial

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Zu gut, um zu pflegen?

Karin Jandt1
  • 1University of Dundee, Großbritanien
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Publication Date:
21 January 2005 (online)

Sie sind so gut, Sie müssten Arzt/Ärztin sein.” Sind Sie schon einmal mit einer solchen Äußerung von Patienten, Angehörigen oder Kollegen aus dem ärztlichen oder pflegerischen Bereich konfrontiert worden? Wie reagieren Sie darauf? Die Aussage an sich und unsere Reaktion darauf lassen wichtige Rückschlüsse auf das Selbst- und das Fremdbild des Pflegeberufs zu. Eine kurze Reflexion kann bei der eigenen Standortbestimmung im Blick auf das Wesen und den Auftrag unseres Berufsstandes hilfreich sein, und das ist ein erster Schritt zur selbstbewussten Darstellung des Pflegeberufs in der Öffentlichkeit.

Hand aufs Herz - wir fühlen uns schon erst einmal geschmeichelt, wenn uns ein solches „Kompliment” angetragen wird. Aber ist es wirklich ein Kompliment? Zweifellos wollen Menschen, die sich in dieser Form uns gegenüber äußern, uns ihre Wertschätzung ausdrücken. Dahinter steht aber ebenso zweifellos die verbreitete Einschätzung, dass das ärztliche Tun dem pflegerischen überlegen ist: Eigentlich sind Sie viel zu gut für das, was Sie im Pflegeberuf tun, eigentlich sind Sie doch zu „Höherem” berufen. Im Extrem kann das sogar bedeuten: Eigentlich vergeuden Sie Ihre Fähigkeiten und Ihr Potenzial. Es steckt eine Wertung darin, die tief in der Tradition der einzelnen Berufsstände verankert ist.

Historisch gesehen ist eben der ärztliche Beruf der Heilberuf, während die Pflege ein Heilhilfsberuf ist. Hier ist schon die Terminologie sehr aussagekräftig: Ein Hilfsberuf hat weniger autonome Entscheidungs- und Handlungsbefugnisse als eine Profession wie der Arztberuf. In vielen Bereichen ist die Pflege immer noch weisungsgebunden und fremdbestimmt.

Wenn wir als Pflegende unreflektiert bei diesem „Kompliment” stehen bleiben, dann stimmen wir der öffentlichen Meinung über die Wertung und Wertigkeit der unterschiedlichen Berufe zu. Wollen wir das? Was können wir tun, um das Selbst- und Fremdbild der Pflege zu korrigieren? „Professionalisierung” ist in aller Munde. Pflege beansprucht für sich den Status einer Profession, jedoch legen sich Pflegende selbst die Steine in den Weg dieser Entwicklung.

Der Status einer Profession kann nicht einfach beansprucht, er muss erworben werden. Wenn wir als Pflegende es ernst damit meinen, dann kann das nicht heißen, dass wir zwar die Autonomie einer Profession beanspruchen, uns aber einer Regulierung durch eine Pflegekammer entziehen wollen, die Akademisierung der Pflege nur halbherzig betreiben und den verbindlichen Nachweis unserer kontinuierlichen Fortbildung zur Verbesserung der Patientenversorgung ablehnen.

In Großbritannien führt der Weg in den Pflegeberuf seit einigen Jahren ausschließlich über eine Universitätsausbildung und die anschließende Registrierung bei der zuständigen Kammer. Diese Registrierung ist alle drei Jahre über den Nachweis relevanter Fortbildung zu erneuern. Ohne Registrierung darf die Berufsbezeichnung „Registered Nurse“ nicht geführt werden, selbst wenn die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen wurde.

Für die Öffentlichkeit ist dies von entscheidender Bedeutung: Die Menschen können sicher sein, dass sie nur von solchen Pflegenden betreut werden, die sich der strengen Aufsicht der Regulierungsbehörde unterziehen. Und während in deutschen Krankenpflegeschulen weiter vorwiegend Fachwissen vermittelt wird, erlernen britische Pflegestudenten zusätzlich Schlüsselqualifika­tionen wie kritisches Analysieren, Entscheidungsfindung und -begründung und Management. Diese Schlüsselqualifikationen sind zwingend erforderlich für den Weg vom Hilfsberuf in die Autonomie der Profession.

Pflegende in den besonders spezialisierten Bereichen wie der Intensivpflege und der Anästhesie, aber auch die Kolleginnen und Kollegen, die die verschiedenen Weiterbildungen in der Onkologie, des Operationsdienstes, der Nephrologie und Dialyse oder der Psychiatrie absolviert haben, um ihre Patienten optimal zu betreuen, können sich an die Spitze der Professionalisierungsbemühungen stellen. Sie zeigen, dass Pflegende bereit sind, nach entsprechender Aus- und Weiterbildung selbstständig und evidenzbasiert begründet zu handeln. Gerade aus diesen Reihen sollte auch die notwendige Unterstützung für die Verkammerung und Akademisierung der Pflege kommen.

Wenn Pflege diesen Ansatz konsequent verfolgt, dann wird sich auch die öffentliche Meinung schrittweise korrigieren. Aussagen wie: „Sie sind so gut, Sie müssten Arzt/Ärztin sein” könnten Pflegende dann selbstbewusst erwidern: „Ich bin Krankenschwester/Krankenpfleger, weil ich so gut bin.”

Karin Jandt, RN, BN cand.

Laasaner Oberweg 11

07751 Jena

Email: kjandt@hotmail.com

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