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DOI: 10.1055/s-2003-812651
Essstörungen: Informations- und Interventionsangebote im Internet
Publication History
Publication Date:
12 March 2004 (online)

Die Prävalenzen der Essstörungen sind gegenüber anderen klinischen Entitäten mit 0,34 % (Jacobi, Jahn u. Wittchen 2001) in der deutschen Erwachsenenbevölkerung eher gering, so dass auf den ersten Blick die Reichhaltigkeit an qualitativ hochwertigen netzbasierten Informationsressourcen und spezialisierten Online-Beratungsangeboten überraschen könnte, die für Störungen mit höheren Prävalenzraten (z. B. Somatoforme Störungen mit einer 12-Monats-Prävalenz von 11 %, Jacobi, Jahn u. Wittchen 2001) in der Form nicht vorliegen. Drei Gründe sind jedoch nahe liegende Erklärungen für die intensiven präventiven als auch kurativen Bemühungen von unterschiedlichen Gesundheitseinrichtungen und Fachleuten im Internet für diese Störungsgruppe:
Erstens sind die Prävalenzen der Anorexia nervosa in bestimmten Gruppen weitaus höher (1 % bei Mädchen in der Adoleszenz und 7 % in Risikogruppen, z. B. Tänzerinnen und Modells, Hoffmann u. Hochapfel 1999). Zweitens ist die Mortalität dieser Patientengruppe mit bis zu 18 % sehr hoch (Hoffmann u. Hochapfel 1999). Drittens sind die Risikogruppen von Anorexia nervosa und Bulimia nervosa bezüglich Geschlecht (weiblich) und Alter (15 - 35 Jahre) sehr gut über das Medium Internet erreichbar.
Auch wenn das deutschsprachige Internet immer noch von Männern dominiert wird (63,2 % der Internetnutzer sind männlich), so sind hohe Frauenanteile insbesondere in jungen Altersgruppen zu verzeichnen: Unter den Teenagern und Twens befinden sich mit 53 % deutlich mehr Frauen als Männer (Fittkau u. Maaß 2003).
Die hohe Nutzungsintensität von Informationsportalen zu Esssstörungen deutet darauf hin, dass die potenziell gute Erreichbarkeit der o. g. Zielgruppe nicht nur theoretisch existiert, sondern de facto auch ausgeschöpft wird: Die Kommunikations- und Informationsplattform hungrig-online.de z. B. verzeichnet im Schnitt 700 000 Seitenaufrufe pro Monat.
Ohne Zweifel sind Anorexia nervosa und Bulimia nervosa schwere psychische Erkrankungen mit beträchtlichen psychischen, aber auch physischen Begleiterscheinungen für die Betroffenen. Entscheidend für den Verlauf der Erkrankungen ist u. a., wie schnell und in welchem Stadium effektive therapeutische Interventionen einsetzen. Diese können jedoch nur vor dem Hintergrund eingeleitet werden, dass die Betroffenen/deren Angehörige und ebenso der konsultierte Arzt bzw. Psychiater oder Psychologe die Störung als psychische Erkrankung erkennt. Voraussetzung hierfür ist, dass auf beiden Seiten ein hinreichender Kenntnisstand zur Verfügung steht bzw. Informationen über die Erkrankungsformen allgemein nutzbar und leicht zugänglich sind. Der klinische Alltag lehrt jedoch, dass sowohl in weiten Bereichen der praktischen Medizin als auch bei den Betroffenen selbst wenig Kenntnis darüber besteht, ab wann bestimmte Verhaltensaspekte und körperliche Veränderungen klinisch-diagnostische Kriterien erfüllen und therapeutisches Handeln notwendig machen (Grundwald 2003). Das Internet bietet hier ideale Strukturen, um qualifizierte Informationen bereitzustellen und auf niederschwellige Weise erste Schritte der therapeutischen Intervention einzuleiten.
Literatur
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Konzeption eines videobasierten psychologischen Online-Beratungsangebots. In: Ott R, Eichenberg C (Hrsg) Klinische Psychologie und Internet. Potenziale für klinische Praxis, Intervention, Psychotherapie und Forschung. Göttingen; Hogrefe 2003 - 13 Robinson P H, Serfaty M A. The use of E-mail in the identification of bulimia nervosa and its treatment. European Journal of Eating Disorders. 2001; 9 182-193
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Korrespondenzadresse
Dipl.-Psych. Christiane Eichenberg
Institut für Klinische Psychologie & Psychotherapie
Universität zu Köln
Email: christiane@rz-online.de
URL: http://www.christianeeichenberg.de