Notfall Medizin 2003; 29(10): 422-423
DOI: 10.1055/s-2003-43297
Rettungswesen

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Krankenkraftwagen und Krankentransportmittel - Erkenntnisse 4œ Jahre nach Einführung der Europa Norm EN1789

G. Holling1
  • 1Bonn
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Anschrift des Verfassers

Dr. Ing. Gerd Holling

Christian Miesen GmbH

Dottenhofer Straße 165, 53129 Bonn

Publication History

Publication Date:
04 November 2003 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Die europäische Norm EN 1789 regelt die Mindestausstattung von Rettungsdienstfahrzeugen. Sie unterscheidet im Rahmen der vier unterschiedlichen Typen von Krankenkraftwagen neben den Typen A1 und A2, „die für den Transport eines oder mehrerer Patienten auf Krankentrage(n) oder -sessel(n) geeignet sind”, einen Notfallkrankenwagen (Typ B), „der für den Transport, die Erstversorgung und die Überwachung von Patienten konstruiert und ausgerüstet ist” und einen Rettungswagen (Typ C), „der für den Transport, die erweiterte Behandlung und Überwachung von Patienten konstruiert und ausgerüstet ist.” Die neue DIN EN 1789 ersetzt seit Dezember 1999 die alte DIN 75080, die bisher die Ausstattung und Einteilung der Rettungsdienstfahrzeuge in RTW (Rettungstransportwagen) und KTW (Krankentransportwagen) regelte.

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Summary

The European Standard E 1789 regulates the minimum on-board equipment of patient transport ambulances. It differentiates between four different types of patient transport vehicles - Types A1 and A2 „which are suitable for the transport of one or several patients on stretchers or chairs”, a Type B emergency ambulance „which is designed and equipped for the transport, initial care and monitoring of patients”, and a Type C mobile ICU vehicle ”which is designed and equipped for the transport, extended treatment and monitoring of patients.” In December 1999, the new DIN EN 1789 standard replaced the old DIN 75080 which had previously regulated on-board equipment and the classification of patient transport ambulances into emergency transport ambulance and ambulance.

Seit dem 1. Dezember1999 haben die „alten”, uns vertrauten DIN-Normen für Krankenkraftwagen und Krankentransportmittel ihre Gültigkeit verloren. Sie wurden durch neue, nun europaweit einheitliche Normen ersetzt. Die Schaffung dieser Normen - es sind im Wesentlichen die EN 1789 für Krankenkraftwagen und die EN 1865 für Krankentransportmittel - begann bereits im Jahre 1990, nachdem das tragische Flugzeugunglück von Ramstein die Notwendigkeit einer länderübergreifenden Normung deutlich vor Augen führte.

Die mittlerweile über vierjährige Praxis mit der Anwendung der neuen europäischen Normen zeigt sehr deutlich, dass das Thema Unfallsicherheit in diesen Normen wesentlich umfangreicher behandelt ist und den Schwerpunkt von Diskussionen und Unsicherheit bildet. Deshalb soll auch hier dieses Thema eingehend behandelt werden.

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Personen und Gegenstände dürfen nicht zum Geschoss werden

Die Euro-Norm EN 1789 fordert, dass alle Personen und Gegenstände - wie z.B. Medizinprodukte, Ausrüstung, und Objekte - die sich normalerweise im Krankenwagen befinden, so zu sichern sind, dass sie sich bei einer Einwirkung von 10 g (das entspricht dem 10-fachen ihres Eigengewichtes) in verschiedenen Richtungen nicht in ein Geschoss verwandeln dürfen und ihre Verlagerung zu keiner Personengefährdung führen darf. So einfach und logisch diese Forderung beim ersten Betrachten aussieht, so viele Fragen öffnen sich bei der konkreten Umsetzung dieses kleinen, aber folgenschweren Absatzes.

Schon bei der Planung der Prüfungen stoßen selbst renommierte Institute auf diverse Schwierigkeiten, denn alleine bei der Entscheidung, welches Prüfverfahren angewandt wird, lässt die Norm die Wahl: In Abschnitt 5.3 heißt es: „Ein geeigneter Nachweis ist zu erbringen. Er kann durch Berechnung, statische oder dynamische Prüfung, entsprechend der technischen Problemstellung erfolgen.”

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Festigkeitsnachweis von Einzelkomponenten

Nehmen wir hier das einfache Beispiel eines klappbaren Halters für einen Defibrillator, der an der Seitenwand eines Rettungswagens des neuen Typs B verschraubt ist: Bei diesem Teil ist es sicherlich möglich, die Festigkeit einiger Komponenten - wie zum Beispiel der Verschraubung des Halters an der Seitenwand - durch Berechnung nachzuweisen. Ein solcher Nachweis, sowie das Zusammenwirken dieser Komponenten, kann auch mit einem statischen Zugversuch erbracht werden, da der Schwerpunkt des Gesamtsystems, an dem die Zugkraft angebracht werden muss, recht einfach zu ermitteln ist. Mit beiden Verfahren lässt sich jedoch nicht das Verhalten der Verriegelung bei einem Crash, also einem dynamischen Ereignis simulieren, da hier auch die Massenkräfte der Verriegelungsbauteile selbst eine wichtige Rolle spielen. Anhand dieses Beispiels wird deutlich: Sobald ein zu prüfendes Objekt mit Verriegelungen oder Verschlüssen jedweder Art versehen ist, muss es dynamisch geprüft werden. Ebenso muss ein System, welches sich aus einer Vielzahl von Einzelschwerpunkten zusammensetzt - wie es beispielsweise bei einer Tragenlagerung mit Trage und Patient der Fall ist - dynamisch geprüft werden.

Bei der Tragenlagerung mit Trage und Patient wird die Notwendigkeit der dynamischen Prüfung noch erhöht. Hier fordert die Norm, dass sich die Trage gegenüber dem Fahrzeug bei einer Verzögerung von 10 g nicht mehr als 150 mm verlagern darf. Diese Verlagerung kann man nicht mit einem statischen Versuch und schon gar nicht mit einer Berechnung ermitteln. Schon diese beiden Teile, Defi-Halter und Tragenlagerung machen deutlich, dass für die weitaus meisten Fälle eine dynamische Prüfung die einzige geeignete Prüfmethode für den Nachweis der Festigkeit aller beteiligten Einzelkomponenten ist. Letztendlich ist auch nur der Crash- oder Schlittentest von kompletten Systemen geeignet, einen einfach nachvollziehbaren und vor allen Dingen lückenlosen Nachweis der Festigkeit des Gesamtsystems zu erbringen.

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Prüfergebnisse sind nicht immer auf andere Fahrzeuge übertragbar

Diese Erkenntnis hat sich im Verlauf der vielen bisher durchgeführten dynamischen Tests immer wieder - zum Teil sehr Eindrucksvoll - bestätigt. So haben Baugruppen, die zur Vorbereitung des dynamischen Tests per Zugversuch untersucht wurden und anstandslos gehalten haben, im dynamischen Test ein vollkommen anderes Verhalten gezeigt und versagt. Auch hat sich gezeigt, dass die Übernahme des positiven Prüfergebnisses eines Bauteils für ein anderes Grundfahrzeug sehr kritisch zu betrachten ist. Zum Beispiel wurde der Patientenlagerungstisch eines Herstellers in einem Fahrzeug A getestet und hielt, während der gleiche Tisch im Fahrzeug B versagte, da hier die Bodenstruktur und Festigkeit anders ist.

Aber nicht nur die Wahl des Prüfverfahrens und die eigentliche Durchführung der Prüfung sondern ebenfalls die Form und der Umfang von Prüfberichten und Zertifikaten sind zur Zeit viel diskutierte und abstimmungsbedürftige Fragen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beschaffer nicht nur Nachweise, Zertifikate, Gutachten, gutachterliche Stellungnahmen, Prüfberichte und viele weitere Nachweisformen für die verschiedensten Produkte zu vergleichen haben, sondern auch die exakte Verbindung zwischen einem Nachweis und dem Produkt, auf welches sich der Nachweis bezieht.

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Zertifikat sorgt für Nachvollziehbarkeit

Die Möglichkeit einer solchen Nachvollziehbarkeit - sowohl der geprüften Kriterien mit allen Bedingungen, als auch der geprüften Produkte mit allen relevanten Eigenschaften - muss natürlich vom Hersteller und vor allen Dingen von der jeweiligen Prüfstelle geschaffen werden, indem sie diese Punkte im Zertifikat aufführen. Hier reicht es nicht aus, ein Produkt mit einem Namen und eventuell Fotos zu beschreiben, vielmehr muss durch eine eindeutige Zuordnung - wie z.B. eine Zeichnungsnummer - eine Verbindung zur vollständig definierenden Beschreibung (z.B. Zeichnung) hergestellt werden, sodass sichergestellt ist, dass das geprüfte Produkt dem zertifizierten und auch dem Gelieferten beziehungsweise Angebotenen entspricht. Andernfalls ist es möglich, dass ein Lieferant ein Zertifikat für ein Produkt vorlegt, welches zwar augenscheinlich dem Gelieferten entspricht, bei dem aber beispielsweise andere Materialien verwendet wurden und welches somit eine vom geprüften abweichende Festigkeit hat.

Gleiches Augenmerk muss auch auf Art und Umfang der geprüften Eigenschaften, sowie die bei den Prüfungen zugrunde gelegten Bedingungen gerichtet werden. So kann zum Beispiel der Schwebetisch des Herstellers A in seiner Federstellung mit der - für den Fahrbetrieb relevanten - Stellung des Herstellers B nur in seiner untersten und damit stabileren, aber nicht für den Fahrbetrieb geeigneten Stellung geprüft und zertifiziert werden.

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Umsetzung erfolgt nicht überall in Europa

All diese Ausführungen machen deutlich, dass das gesamte Thema der Prüfungen und Nachweise der Unfallsicherheit so, wie sie die Euro-Norm fordert, von allen Beteiligten ein großes Engagement bezüglich eines firmen- und verbandübergreifenden Austauschs von Informationen und Erfahrungen verlangte. Heute, mehr als vier Jahre nach Einführung der Norm und vielen mehr oder weniger erfolgreichen Schlittentests haben sich in Deutschland gewisse Standards für Aufbau, Anordnung und Durchführung der Festigkeitsuntersuchungen und der Nachweise herausgebildet. Daran hat natürlich die Tatsache, dass fast alle bisher durchgeführten Schlittentests bei demselben Prüfinstitut durchgeführt wurden, einen großen Einfluss. Leider hat sich im Laufe dieser vier Jahre aber auch gezeigt, dass die europäische Norm in der Praxis gar nicht so europäisch ist, denn in vielen Ländern, in denen sie ebenso Gültigkeit hat wie bei uns, wird gar nicht, nur sehr wenig, oder nicht vergleichbar geprüft und zertifiziert.

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Anschrift des Verfassers

Dr. Ing. Gerd Holling

Christian Miesen GmbH

Dottenhofer Straße 165, 53129 Bonn

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Dr. Ing. Gerd Holling

Christian Miesen GmbH

Dottenhofer Straße 165, 53129 Bonn