Notfall Medizin 2003; 29(9): 369-371
DOI: 10.1055/s-2003-42566
Rettungswesen

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Einsatz in Asylcontainern - Rauchgasinhalation mit der Gefahr einer CO- oder Zyanidintoxikation

I. Blank1
  • 1Weil im Schönbuch
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Anschrift des Verfassers

Dr. med. Ingo Blank

Marktplatz 6

71093 Weil im Schönbuch

Email: info@ingoblank.de

URL: http://www.ingoblank.de

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Publication Date:
09 June 2004 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Starke Rauchentwicklung am Notfallort kann die Einsatzgruppe erheblich beeinträchtigen. Aufgrund der unübersichtlichen Situation ist eine komplette Räumung der Gebäude erforderlich, wobei die genaue Anzahl und die Schwere der Verletzungen anfangs oft unklar bleiben. Meist wird die Verletzungsgefahr durch Feuer ernst genommen, jedoch wird die Möglichkeit einer Rauch- bzw. Reizgasvergiftung häufig noch unterschätzt. In vielen Fällen handelt es sich bei Rauchgasvergiftungen um eine Mischung aus Kohlenmonoxid (CO) und Blausäure. Tückisch an einer CO-Vergiftung ist, dass sie aufgrund ihrer Symptome mit einer Alkoholvergiftung verwechselt werden kann. Zyanidvergiftungen können bei Aufnahme von Zyanidsalzen oder durch Inhalation von Blausäuregas bereits bei geringen Konzentrationen entstehen.

Bei schweren Vergiftungen kommt es sehr schnell zur Bewusstlosigkeit und starken Krampfanfällen. Danach tritt ohne Behandlung sehr schnell der Tod ein.

Am 21.08.2002, 20.08 Uhr, wird die Schnelleinsatzgruppe (SEG) des Ortsvereins Böblingen alarmiert. „Einsatz für die SEG OV Böblingen, Brand in den Asylcontainern Böblingen, mehrere Personen verletzt” lautet die Melder-Durchsage. Die Asylcontainer - das sind zwei doppelstöckige Fertighäuser mit jeweils 14 Zimmern auf jeder Etage. Ein sozialer Brennpunkt.

Arbeitslose, Asylanten und Wohnsitzlose finden hier ein von der Stadt angebotenes Dach über dem Kopf. Meistens mussten die Rettungsfahrzeuge wegen Drogen- und Alkoholintoxikationen anrücken. Allerdings nehmen die Bewohner nur sehr selten das Angebot an, in der Klinik ausführlich untersucht zu werden.

Was erwartet jetzt die Einsatzkräfte? Im Schlaf überraschte Betrunkene, die mit schweren Brandverletzungen aufgefunden werden, Eingeschlossene im Drogenrausch, Sprachschwierigkeiten?

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Starke Rauchentwicklung fordert völlige Räumung

Beim Eintreffen der Feuerwehr quillt dunkler Rauch aus einem Zimmer im ersten Stock. Schnell wird klar, dass die Lage am Einsatzort unübersichtlich ist und von mehreren Verletzten auszugehen ist. Über die Leitstelle werden weitere Rettungskräfte des DRK angefordert. Um 22.18 Uhr erfolgt der Alarm für den Organisationsleiter (OrgEL) KV Böblingen, um 22.19 Uhr wird der Leitende Notarzt (LNA) Süd alarmiert, eine Minute später erfolgt der Alarm an die umliegenden Ortsvereine. In der Zwischenzeit ist die Freiwillige Feuerwehr Böblingen mit der Abteilung Dagersheim mit insgesamt zwölf Fahrzeugen und 65 Feuerwehrmitgliedern (zwei Löschzüge plus Sonderfahrzeug) im Einsatz. Vom DRK beteiligen sich 15 Fahrzeuge, 47 Sanitäter, Helfer und vier Notärzte [Abb. 1].

Die starke Rauchentwicklung fordert zunächst eine völlige Räumung der eng beieinander stehenden Wohncontainer. Doch das Feuer ist nach kurzer Zeit mittels Schnellangriff des LF 24 gelöscht. Der Brandherd lag glücklicherweise nur in einem Zimmer im ersten Stock und das Feuer breitete sich nicht weiter aus. Allerdings ist die Lage verworren, die genaue Anzahl und die Schwere der Verletzungen sind unklar. Hieß es bis vor wenigen Minuten noch, vier Verletzte sind zu versorgen, so gibt es auf einmal keine Verletzten mehr.

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Memo Rauchgas- oder CO-Vergiftung

Bei Bränden wird die Gefahr einer Verletzung durch Feuer meist ernst genommen, jedoch wird die Möglichkeit einer Rauch- bzw. Reizgasvergiftung häufig noch unterschätzt und führt dann zu sehr schwer wiegenden Komplikationen. In vielen Fällen handelt es sich bei den Rauchgasvergiftungen um eine Mischung von Kohlenmonoxid (CO) und Blausäure.

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Gefahren

Untersuchungen an tödlich verunfallten Brandopfern haben gezeigt, dass in der Brandgasatmosphäre die Bewusstlosigkeit durch CO frühzeitig einsetzt (in etwa zwei Minuten), während die zyanidhaltigen Gase sekundär den Tod verursachen. Blausäuregase verhindern, dass der Sauerstoff an die Körperzellen abgegeben werden kann. Gefördert wird dieses Unterschätzen durch die Tatsache, dass oft erst nach einigen Stunden, in Einzelfällen bis zu 36 Stunden nach der Inhalation, ein Lungenödem auftritt. An ein Inhalationstrauma sollte man auf alle Fälle denken, wenn folgende Situationen vorliegen:

  • Brand mit großer Rauchentwicklung in einem geschlossenen Raum

  • Bewusstseinsgetrübter oder bewusstloser Patient

  • Verbrennungen des Halses und des Gesichtes - vor allem von Mund und Nase

  • Zeichen von Schleimhautverbrennungen im Mund- und Rachenraum

Je nach Art der Stoffe, ihrer Konzentration und Einwirkdauer kommt es zu vielfältigen Symptomen, wie Husten, Tränen, Luftnot, Lungenödem, Schwindel, Panik, Benommenheit, Bewusstseinsstörungen und Bewusstlosigkeit.

Kohlenmonoxid wirkt an verschiedenen Angriffspunkten toxisch:

  • als kompetitiver Sauerstoffantagonist mit einer 200- bis 300fach größeren Affinität zum Hämoglobin

  • durch Bindung an Myoglobin mit einer um 30- bis 40fach höheren Affinität

  • durch Blockierung intrazellulärer Enzymsysteme (z.B. Cytochrom 3-Oxydase)

Die CO-Vergiftung ist sehr tückisch, da sie gelegentlich neben den üblichen Symptomen - wie Kopfschmerzen, Schwindel, Augenflimmern und Übelkeit und auch als Rauschzustand mit psychischer Erregung und Verwirrtheit imponiert, der dann mit einer Alkoholvergiftung verwechselt werden kann. Andererseits erscheint bei längerer Exposition mit Kohlenmonoxid die Haut „rosig”, sodass sie vom Unerfahrenen als „gesunde Gesichtsfarbe” interpretiert wird.

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Maßnahmen

  • Entfernen aus dem Gefahrenherd

  • Sauerstoffgabe mit Maske (10 l/min.)

  • Körperhochlagerung bei noch bewusstseinsklaren Patienten

  • Dexamethason-Spray: Bei fehlenden Krankheitszeichen unmittelbar nach der Inhalation 5 Hübe und 10 Minuten später weitere 5 Hübe; bei Lungenreizsymptomen bis zum Abklingen der Beschwerden alle 10 Minuten 5 Hübe

  • Bei Inhalation von heißen Dämpfen oder Flüssigkeit mit starker Schwellung der Mund- und Rachenschleimhaut mit drohender Erstickung Epinephrin-Spray 2 Hübe, wobei die Inhalation nach 2 Minuten wiederholt werden kann

  • Bei Bewusstlosigkeit stabile Seitenlagerung

  • Speziell bei Zyanidvergiftung ist dringend eine Oberflächendekontamination erforderlich. Die Kleider müssen entfernt (Handschuhe), die Haut mit dem Entgiftungsmittel Polyethylenglycol gereinigt und mit Wasser abgewaschen werden

  • Vorsicht: Bei Zyanidvergiftungen - selbst bei Lebensgefahr - keine Mund-zu-Mundbeatmung: Selbstvergiftung!

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Bewusstlose Person wird erst nach Belüftung des Gebäudes entdeckt

Nach der Belüftung des Gebäudes wird es zum Betreten freigegeben. Hier machen die Feuerwehrleute eine schreckliche Entdeckung: Auf dem Boden liegt eine bewusstlose Person. Wegen der räumlichen Gegebenheiten wird der 67-Jährige in den Eingangsbereich des Wohncontainers getragen. Dort bemühen sich zwei Notärzte und sechs Rettungsassistenten 45 Minuten lang, den Bewusstlosen zu reanimieren. Dies gelingt auch mehrfach - dreimal zeigt das EKG eine Asystolie, sodass erneut reanimiert werden muss -, allerdings ist der Blutdruck kaum messbar und der Herzschlag unregelmäßig und langsam. Von der Ehefrau des Bewusstlosen ist zu erfahren, dass ihm in Russland vor längerer Zeit bereits ein Lungenflügel entfernt wurde (Hemipneumektomie).

Mit relativ stabilen Kreislaufverhältnissen wird der Reanimierte in ein Rettungsfahrzeug gebracht, der Zustand ist jedoch weiterhin sehr kritisch. Schließlich entscheidet sich der für diesen Patienten verantwortliche Notarzt, so schnell wie möglich unter Reanimationsbereitschaft in das Kreiskrankenhaus Böblingen zu fahren. Auf der zirka fünf Kilometer langen Fahrt muss nicht erneut reanimiert werden. Allerdings sind die Folgen durch die Rauchgasinhalation so groß, dass er in der Nacht gegen 2 Uhr verstirbt.

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Memo Zyanidintoxikation

Blausäure gehört zu denjenigen Noxen, bei denen die Antidot-Therapie sofort am Unfallort einsetzen muss, weil schwere Vergiftungen durch die Elementarmaßnahmen allein nicht beherrscht werden können. Zyanidvergiftungen können bei Aufnahme von Zyanidsalzen - Freisetzung von Blausäure (HCN) durch Magensäure (HCl) im Körper - oder durch Inhalation von Blausäuregas bereits bei geringen Konzentrationen entstehen. Solche Vergiftungen können in Galvanisierbetrieben auftreten, wo Edelmetalle durch Zyanidlaugerei herausgelöst werden. Bereits der Verzehr von 50 g Bittermandeln können tödlich sein. Auch in den deutschen Konzentrationslagern wurde unter der Bezeichnung Zyklon B ein Stoff eingesetzt, der letztendlich zur Zyanidvergiftung führte. Die tödliche Dosis liegt bereits bei 1 mg Zyanid/kg KG. Die Wirkung entfaltet sich dadurch, dass das dreiwertige Eisen der Cytochromoxidase blockiert wird, weshalb kein Sauerstoff mehr aus dem Hämoglobin auf das Gewebe übertragen werden kann. Es tritt eine „innere” Erstickung ein.

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Symptome

Die Symptome richten sich im Wesentlichen nach der aufgenommenen Menge an Blausäure beziehungsweise Zyaniden. Es lassen sich dabei folgende Symptome beobachten:

  • Leichte Vergiftung: Reizerscheinungen an den Augen, dem Rachen und den oberen Luftwegen, Kopfschmerzen, erhöhter Speichelfluss, Angstgefühle

  • Mittelschwere Vergiftung: Erbrechen, Krämpfe und quälende Atemnot, starke Angstgefühle

  • Schwere Vergiftung: Bewusstlosigkeit, starke und relativ schnell eintretende Krämpfe, Tod durch Atem- und Herzstillstand

Bei geringeren aufgenommenen Mengen bilden sich die Symptome auch ohne Behandlung nach einigen Stunden wieder zurück. Bei schweren Vergiftungen kommt es sehr schnell zur Bewusstlosigkeit verbunden mit starken Krampfanfällen. Danach tritt ohne Behandlung sehr schnell der Tod ein.

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Therapie

Der Erfolg einer Therapie beruht in erster Linie auf einer möglichst raschen Behandlung. Hierzu gehört bei einer oralen Aufnahme des Giftes die Gabe von medizinischer Kohle (Aktivkohle) mit einer Dosierung von etwa 1 g Kohle/kg KG. Vor allem ist aber sofort 4-DMAP (4-Dimethylaminophenol) zu verabreichen. 4-DMAP überführt das zweiwertige Eisen des Hämoglobins zu dreiwertigem Eisen, womit Methämoglobin gebildet wird. Das dreiwertige Eisen des Methämoglobins bindet die Zyanidionen. Gemessen am Gesamthämoglobin genügt schon eine geringe Menge an Methämoglobin, um einen großen Teil des Zyanids zu binden. Mit diesem Verfahren kann man die 200fache tödliche Zyaniddosis entgiften, selbst wenn die Atmung bereits ausgesetzt hat. Dosierung: 1-3,25 mg/kg KG i.v.

Natriumthiosulfat beschleunigt die körpereigene Entgiftung, indem es den Schwefel liefert, der von der körpereigenen Rhodanid-Synthetase benötigt wird, um die Zyanidionen in das unschädlichere Rhodanid zu überführen. Bei akuten lebensbedrohlichen Vergiftungen ist die alleinige Gabe von Natriumthiosulfat nicht ausreichend. Dosierung: 50-100 mg/kg KG i.v. (ggf. sofort nach Gabe von 4-DMAP).

Das Metall Kobalt bildet mit dem Zyanidion stabile Komplexe, und führt daher zu einer zuverlässigen Entgiftung. Von Nachteil ist allerdings, dass auch Kobalt nicht ungiftig ist. Daher muss das Metall in solchen Verbindungen zugeführt werden, die keine großen Mengen an freiem Kobalt liefern. Besonders geeignet hierfür ist das Hydroxycobalamin (ein Vitamin B12-Abkömmling), weil es auch in höheren Dosierungen ungiftig ist und große Zyanidmengen entgiften kann.

Cave: Bei Mischbränden (Kunststoffbrand mit zusätzlicher Freisetzung von Reizgasen oder CO) kein 4-DMAP geben. Stattdessen Kurzinfusion von 70 mg/kg KG Hydroxycobalamin. Initialdosis bei Erwachsenen: 5 g.

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Abb. 1 Insgesamt zwölf Fahrzeuge und 65 Feuerwehrmitglieder sind im Einsatz.

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Dr. med. Ingo Blank

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Abb. 1 Insgesamt zwölf Fahrzeuge und 65 Feuerwehrmitglieder sind im Einsatz.