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DOI: 10.1055/s-2003-41845
Zwangserkrankungen: Internetinformationen für Professionelle und Betroffene
Publication History
Publication Date:
03 September 2003 (online)

Ressourcen zu klinischen Aspekten der Zwangsstörung sind im Netz zwar nicht so reichhaltig vorhanden wie zu Störungsbildern mit höheren Prävalenzzahlen, aber die verfügbaren WWW-Seiten sind hinlänglich ausreichend, um das Informationsbedürfnis von Fachleuten sowie Betroffenen zu befriedigen.
Erste Anlaufstellen im Web für psychotherapeutisch arbeitende Ärzte und Psychologen sind so genannte Indexseiten, die Material zu den verschiedensten psychischen Erkrankungen zur Verfügung stellen - so auch zum Störungsbild der Zwänge. Ein Beispiel dafür ist der vom kanadischen Psychiater Phillip Long geleitete Service namens Internet Mental Health [1]. Hier finden sich unter dem Stichwort „Obsessive-Compulsive Disorder” u. a. die diagnostischen Kriterien nach ICD-10 und DSM-IV, ein (kostenpflichtiges) Diagnoseinstrument, Hinweise zu Forschungsarbeiten und einen Link zu pubmed, ein von der National Library of Medicine kostenlos angebotener Zugang zur selbständigen Recherche in der medizinischen Fachliteraturdatenbank Medline [2]. Folgt man diesem Link, so werden automatisch Literaturangaben und Abstracts von insgesamt 3908 internationalen wissenschaftlichen Arbeiten zu Zwangsstörungen ausgegeben.
Daneben existieren störungsspezifische Portale, die sich ausschließlich den Zwangserkrankungen widmen. Im englischsprachigen Web ist hier das WWW-Angebot von der Obsessive-Compulsive Foundation (OCF) [3] empfehlenswert. OCF ist eine internationale Stiftung mit über 10.000 Mitgliedern, die sich zur Aufgabe gemacht hat, Informationen zu Zwangsstörungen sowohl für Professionelle als auch Erkrankte und ihre Familien zu bündeln und die Forschung zu unterstützen. Somit lassen sich auf den Seiten leicht verständliche Basisinformationen zum Störungsbild finden (z. B. Symptomatik, medikamentöse und psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten für Patienten im Kindes- und Erwachsenenalter). Experten antworten auf häufig gestellte Fragen zum Störungsbild, ein Online-Srceening-Test ist durchführbar (zur kritischen Diskussion von webbasierten Selbstdiagnostika siehe Eichenberg 2003), aber auch Hinweise auf ausgewählte wissenschaftliche Aufsätze und Kongresse lassen sich abrufen. Eine Übersicht zu weiteren Organisationen dieser Art findet sich unter [4].
Bezüglich deutschsprachiger Angebote muss an erster Stelle die Homepage der Deutschen Gesellschaft für Zwangserkrankungen e. V. (DGZ) [5] genannt werden, die seit 1995 Betroffene unterstützen möchte, eine geeignete Therapie zu finden, Selbsthilfeinitiativen anzuregen, ein Netzwerk unter spezialisierten Therapeuten zu schaffen und Experten über neue Erkenntnisse der Forschung zu Erscheinungsformen, Erklärungsmodellen und Behandlungsmethoden zu informieren. Somit findet diese Zielgruppe auf den assoziierten WWW-Seiten der DGZ eine spezielle Rubrik, die Aufsatzsammlung zu Zwangsstörungen, umfangreiche bibliografische Angaben und einen Fragebogen zur Aufnahme in die Therapeutenliste enthält. Zudem finden sich Hinweise zu „Z-aktuell”, dem Sprachrohr der Gesellschaft mit vierteljährlicher Erscheinungsweise.
Eine weitere Quelle für Fachleute, die an Informationen zu Zwangserkrankungen im Kindes- und Jugendalter interessiert sind, sind die Hinweise der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie: Diese hat diverse Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter verfasst, die gedruckt (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie u. a. 2003), aber auch online zur Verfügung stehen [6]. Die Leitlinien für Zwangsstörungen umfassen Informationen zur Klassifikation (u. a. Definition, Leitsymptomatik, Ausschlussdiagnosen), störungsspezifischen Diagnostik (z. B. Hinweise zur Erhebung der störungsspezifischen Entwicklungsgeschichte, apparative Labor- und Testdiagnostik), multiaxialen Bewertung und Intervention (Auswahl des Settings, Besonderheiten des ambulanten, teilstationären und stationären Settings).
Andere Anbieter von professionellen WWW-Informationen zum Störungsbild sind spezialisierte Forschungseinrichtungen (z. B. das Department of Psychiatry and Behavioral Sciences, Stanford University School of Medicine, mit ihrem [7]) oder universitäre Institute, die einen ihrer Forschungsschwerpunkte im Bereich der Zwangsstörungen haben (z. B. das Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität München, Projektleitung: Dr. Gisela Röper [8]).
Dank der Vielfältigkeit des Internet lassen sich nicht nur professionelle Informationen zu Zwangsstörungen im WWW finden, dieses Medium bietet auch Betroffenen und Angehörigen eine Vielzahl von Hilfsangeboten in Form von Informationsseiten, die von Fachleuten oder ebenso Betroffenen aufbereitet werden, und Kommunikationsszenarien in Form von Chats, Mailinglisten, Newsgroups oder Webboards, die den Charakter von virtuellen Selbsthilfegruppen haben (zu den Vor- und Nachteilen von Online-Selbsthilfegruppen siehe Döring 2000). Insbesondere Zwangserkrankten kann der niederschwellige und anonyme Zugang zu internetbasierten Informationen über ihre Störung, die Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten entgegenkommen, denn viele Zwangspatienten neigen dazu, ihre Störung zu verheimlichen. Sie erleben sie als so bizarr und unsinnig, dass sie aus Scham nicht wagen, von ihren Gedanken und Handlungen zu berichten (Sonnenmoser 2003). Somit kann das Internet entlastende Funktion haben zu erfahren, mit den eigenen Problemen nicht alleine zu sein; die Beschreibung der Symptome kann helfen, die eigenen Zustände und Befindlichkeiten selbst in Worte zu fassen; Erfahrungsberichte von Zwangserkrankten, die ihren Erkrankungs- und Genesungsweg beschreiben, können ermutigen, selbst therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen; Schwellenängste können minimiert werden, indem Fachleute zunächst per E-mail kontaktiert werden - zusammenfassend elementare Bestandteile eines initiierten Heilungsprozesses. So bietet beispielsweise die DGZ [5] eine separate Rubrik für an Zwängen Erkrankte: Es werden typische Zwangsgedanken und -handlungen sowie verschiedene Erklärungsmodelle laiengerecht vorgestellt, Berichte von Betroffenen und eine kommentierte Literaturliste veröffentlicht und ein Forum zum Austausch unter Betroffenen als weiteres Hilfsangebot zur Verfügung gestellt.
Aber auch Betroffene initiieren eigene Webprojekte, mit dem Ziel eine Vernetzungsmöglichkeit unter Leidensgenossen zu schaffen. Herausragende Beispiele dafür sind die Sites: zwangserkrankungen.de [9] mit Störungsinformationen, einer Adressliste von Selbsthilfegruppen (bundesweit), Möglichkeiten zum interaktiven Austausch via Chat, Forum oder Mailingliste, Literaturhinweisen und weiterführenden Links sowie zwaenge.at [10], ein österreichisches Portal von Betroffenen für Betroffene, ihre Angehörigen und Interessierte. Hier findet man Aufsätze von Fachleuten zu Symptomatik und Behandlungsmöglichkeiten, professionelle Hinweise zum Umgang mit Zwangskranken, ein Diskussionsforum, viele Erfahrungsberichte und Buchtipps. Ein Hinweis zu einer hochfrequentierten englischsprachigen Selbsthilfe-Newsgroup mit aktuell ca. 60 000 Postings findet sich unter [11].
Abschließend seien noch einige Internetverweise zu Störungen genannt, die in nosologischer Nähe zu Zwängen eingeordnet werden können („Obsessive-compusive related disorders” (ORCD), Hollander 1993). Empfehlenswerte Informationen zur Trichotillomanie liefern für Fachleute [12, 13], für Betroffene [14]. Eine gute Anlaufstelle im Web für Menschen mit dem Tourette-Syndrom ist eine Homepage, die in Zusammenarbeit mit der Tourette Gesellschaft Deutschland (TGD e. V.) erstellt wurde [15]. Professionellen stellt Internet Mental Health eine Reihe von Ressourcen zu diesem Krankheitsbild zur Verfügung [16]. Für körperdysmorphe Störungen sei auf einen Buchauszug von Morschitzky (2000) hingewiesen, der online unter [17] abgerufen werden kann und in die Klassifikation, Symptomatik und Prävalenz dieser Erkrankung konzise einführt.
Internetadressen (Stand: 19.06.2003) 1 Internet Mental Health www.mentalhealth.com 2 pubmed: National Library of Medicine www.ncbi.nlm.nih.gov/PubMed 3 Obsessive-Compulsive Foundation www.ocfoundation.org 4 OCD-Organisationen: Übersicht www.ocdla.com/links.html 5 Deutsche Gesellschaft für Zwangserkrankungen www.zwaenge.de 6 Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie: Leitlinien „Zwangsstörungen” www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/ll/kjpp-007.htm 7 Obsessive-Compulsive and Related Disorders Research Program ocdresearch.stanford.edu 8 Forschungsschwerpunkt Zwangsstörungen am Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Uni München www.paed.uni-muenchen.de/∼ klin/trauma_projekte.htm#zwang 9 Online-Forum für Betroffene www.zwangserkrankungen.de 10 Österreichische Selbsthilfe-Seite www.zwaenge.at 11 englischsprachige Newsgroup zum Thema Zwangserkrankungen alt.support.ocd 12 Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie: Leitlinien „Trichotillomanie” www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/kjpp-013.htm#tricho 13 K. Zellhorst: „Trichotillomanie - Symptomatik, Klassifikation und verhaltenstheoretische Bedingungsmodelle” (Diplomarbeit) www.trichotillomanie.de/Dateien/zellhorst.pdf 14 Homepage einer an Trichotillomanie Erkrankten www.trichotillomanie.de 15 Tourette Syndrom Homepage für Deutschland www.tourette.de 16 Internet Mental Health: TouretteŽs Disorder www.mentalhealth.com/dis/p20-ch04.html 17 Morschitzky: „Dysmorphophobie” www.panikattacken.at/dysmorphophobie/dysmorphophobie.htm
Literatur
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1 Döring N.
Selbsthilfe, Beratung und Therapie im Internet. In: Batinic B Internet für Psychologen. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Göttingen; Hogrefe 2000: 509-547 - 2 Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie u. a. (Hrsg) Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter. 2. überarbeitete Auflage. Köln; Deutscher Ärzte Verlag 2003
-
3 Eichenberg C.
Internetbasierte Hilfe für Betroffene psychischer Störungen. In: Ott R, Eichenberg C Klinische Psychologie im Internet. Potenziale für klinische Praxis, Intervention, Psychotherapie und Forschung. Göttingen; Hogrefe 2003 - 4 Hollanders E (Hrsg) Obsessive-compusive related disorders. Washington, DC; American Psychiatric Press 1993
- 5 Morschitzky H. Somatoforme Störungen. Diagnostik, Konzepte und Therapie bei Körpersymptomen ohne Organbefund. Wien; Springer 2000
- 6 Sonnenmoser M. Zwangserkrankungen. Die heimliche Krankheit. Ärzteblatt. 2003; 6 267-268
Korrespondenzadresse
Dipl.-Psych. Christiane Eichenberg
Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie
Universität zu Köln
Höninger Weg 115
50969 Köln