Rehabilitation (Stuttg) 2003; 42(3): 177-179
DOI: 10.1055/s-2003-40101
Aus der DVfR
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Weiterentwicklung des G-DRG-Systems - Stellungnahme der Deutschen Vereinigung für die Rehabilitation Behinderter e. V.

Further Development of the German DRG System - The Position of the German Society for Rehabilitation of the Disabled
  • 1Deutsche Vereinigung für die Rehabilitation Behinderter e. V., Heidelberg
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Publication Date:
18 June 2003 (online)

Die Deutsche Vereinigung für die Rehabilitation Behinderter e. V. (DVfR), eine interdisziplinäre Vereinigung von Leistungsträgern, Leistungserbringern, Fach- und Berufsverbänden der Rehabilitation und Verbänden der Menschen mit Behinderungen, hat mehrfach zur Umsetzung des Fallpauschalengesetzes (FPG) in Deutschland Stellung genommen. Sie sieht bei einer Umsetzung der G-DRG auf der Grundlage des z. Z. erreichten und bis 2004 erreichbaren Entwicklungsstandes das derzeitige Versorgungsniveau mit Frührehabilitation und spezialisierten Versorgungsangeboten im Krankenhaus für Personen (1) mit Frührehabilitationsbedarf, (2) mit Akuterkrankungen bei vorbestehender schwerer Behinderung und (3) mit behinderungsassoziiertem spezialisierten Behandlungsbedarf nach wie vor gefährdet.

Der Projektbericht des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) und des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) über die Kalkulation der ersten deutschen Bewertungsrelationen für das G-DRG-System (vom Dezember 2002) bestärkt diese Befürchtungen. Zusammenfassend wird dort festgestellt: „Die Ergebnisse der Rohkostenkalkulation erweisen sich als sehr gute Grundlage für die abschließende Festlegung der Bewertungsrelationen” (Projektbericht Bd. 1, S. 8) und: „Wesentlichen Teilen der artikulierten Probleme einer nicht aufwandsgerechten Abbildung wird durch die Erstkalkulation deutscher Bewertungsrelationen und die Regelungen zur oberen Grenzverweildauer begegnet. Eine existentielle Gefährdung von Fachabteillungen sowie die unzureichende Versorgung von Patienten in den genannten Problembereichen ... im Optionsjahr wird durch drei wesentliche Faktoren verhindert: das Kalkulationsergebnis bildet insgesamt die Aufwandsproportionen gut ab ...” (ebd., S. 62).

Diese Aussagen treffen für die von der DVfR genannten drei Problemgruppen sicher nicht zu, wie inzwischen in zahlreichen Einzelstellungnahmen und durch Prüfkalkulationen anhand der vorliegenden Werte auch auf Krankenhausebene nachgewiesen werden konnte. Zwar werden im Bericht einige Problembereiche benannt, zu deren sachlich richtiger Beurteilung mehr Daten benötigt werden, die grundsätzliche Eignung der vorhandenen Daten für die Bildung von DRGs wurde jedoch nicht in Zweifel gezogen. Dies ist nicht nur deshalb problematisch, weil sich für einige Bereiche Unterdeckungen ergeben werden, sondern auch, weil andere Leistungen relativ überbezahlt und verteuert werden.

Einige Beispiele:

Problembereiche: Die im Projektbericht vorgestellte Analyse von Problembereichen, wie neurologische Erkrankungen, Querschnittlähmung, Epilepsie, Rheuma, multiple Sklerose, Unfallchirurgie, Frührehabilitation u. a., ist unzureichend. Nach unseren Analysen ist diese Aufzählung zudem unvollständig. Probleme ergeben sich bei allen drei von der DVfR genannten Personengruppen. Ungeeigneter ICD- und Prozedurenkatalog: Die zur Zeit berechneten DRGs sind als Vergütung für die Frührehabilitation unzureichend. Sie bilden lediglich den Ressourcenverbrauch der akutmedizinischen Behandlung, der operativen Prozeduren, der Beatmung und der Frühmobilisation ab. Die rehabilitativen Leistungsanteile können über den gültigen ICD- und Prozedurenkatalog nicht erfasst werden. Mangelnde Abgrenzung: Das unterschiedliche Qualitäts- und Leistungsspektrum von fachübergreifender bzw. fachspezifischer (neurologischer, kardiologischer und geriatrischer) Frührehabilitation und den Leistungen allgemeinstationärer Versorgung ist nicht differenziert erfasst.Wenn Leistungen der allgemeinstationären Versorgung, der Fachabteilungen und der interdisziplinären Frührehabilitationsabteilungen gleich bewertet und vergütet werden, obwohl ihnen ein ungleicher Ressourceneinsatz (Therapeutenteam, Therapiedichte), unterschiedliche Qualität und verschiedene Assessments zugrunde liegen, wird dies zu unzureichender Vergütung der Frührehaleistungen und damit zu einer Gefährdung dieses Angebotes führen. Ergänzende (komplementäre) Frührehabilitation: Eine Kalkulation von Leistungen zur Frührehabilitation im Akutbereich (Frührehabilitation zum „frühestmöglichen Zeitpunkt” nach § 39 Abs. 1 SGB V) fehlt völlig. Sie sind von den diagnosebezogenen Leistungen der Frühmobilisierung zu unterscheiden. Negativeffekte durch „Ein-Haus-Methode”: Im Projektbericht werden für Schlaganfallpatienten in Fachkliniken trotz höherer Verweildauer niedrigere Kosten ermittelt als in Nicht-Fachkliniken. Dieses Ergebnis scheint zweifelhaft (vgl. Stellungnahme der klinisch-geriatrischen Einrichtungen).Die Datenqualität ist für die Vergleichbarkeit der Leistungen verschiedener Kliniken mit unterschiedlichen Behandlungs- und Rehabilitationskonzepten nicht ausreichend und führt zu Ungerechtigkeiten bei der Bewertung und Finanzierung. Als problematisch erweist sich die "Ein-Haus-Methode" auch aus methodischen Gründen. Datenverzerrung: Insgesamt haben nach Informationen der DVfR zu wenige Akutkrankenhäuser mit neurologischen Fachabteilungen, in denen die schweren und schwersten Erkrankungen des zentralen Nervensystems behandelt werden, am Kalkulationsverfahren teilgenommen, d. h. die schwerkranken Patienten sind unterrepräsentiert. Verzerrungen sind deshalb wahrscheinlich. Schwerstbehinderte Patienten in Akutkrankenhäusern: Diese Patientengruppe kann mit den vorhandenen Daten nicht identifiziert und der Ressourcenverbrauch nicht erfasst werden. Dies liegt auch daran, dass entsprechende Daten in den Krankenhäusern noch nicht ausreichend erhoben werden.

Insgesamt kommt der Projektbericht aus methodischen und inhaltlichen Gründen zu unzulässigen Aussagen, die die Unzulänglichkeiten des DRG-Konzeptes für die drei Personengruppen verharmlosen, die kritische Situation der frührehabilitativen Versorgung im Krankenhaus negieren und die besonderen Versorgungsbedarfe von Menschen mit Behinderungen unterschätzen. Diese Problembereiche können nach den Erkenntnissen der DVfR und vieler Experten auch im Rahmen des InEK-Vorschlagsverfahrens (bis 31. 3. 2003) nicht kurzfristig gelöst werden, obwohl dies von verschiedenen Arbeitsgruppen, auch der DVfR, versucht wurde.

Die Gründe für die derzeit nicht ausreichende Erfassung der rehabilitativen Leistungsanteile durch akutmedizinisch definierte Diagnosegruppen wurden mehrfach erläutert und liegen u. a. darin, dass der Bedarf von Rehabilitationsleistungen nicht mit der Diagnose korreliert, dass Menschen mit schweren Behinderungen zusätzliche Ressourcen im Krankenhaus zu ihrer Versorgung benötigen und dass Menschen mit Behinderungen und einem besonderen, spezialisierten Behandlungsbedarf besondere Leistungen benötigen, die sich in den Prozedurenkatalogen bzw. den Diagnosekatalogen (noch) nicht abbilden lassen. Solche Leistungen müssen diagnoseübergreifend funktionsbezogen in einem Konzept erfasst und bewertet werden, das auf Wiederherstellung, Verbesserung bzw. Erhalt der Aktivitäten und der Teilhabefähigkeit im Sinne der ICF orientiert ist. Ein im klinischen Alltag praktikables und konsensfähiges Messinstrument für Funktionseinschränkungen ist jedoch zur Zeit noch nicht verfügbar. Auch mangelt es noch an ausreichenden Beschreibungen rehabilitativer Prozeduren.

Die DVfR ist jedoch der Auffassung, dass es sinnvoll und grundsätzlich möglich ist, ein geeignetes Patientenklassifikationssystem für die drei genannten Personengruppen zu entwickeln und dieses prozessoptimierend einzusetzen. Die DVfR tritt dafür ein, umgehend in einem konstruktiven, strukturierten Dialog Lösungsmöglichkeiten für diese Probleme zu erarbeiten.

Bis eine ausreichende Erfassung und Bewertung im DRG-System möglich ist, fordert die DVfR, folgende Leistungsbereiche aus der DRG-Systematik auszunehmen:

Leistungen der Krankenhausabteilungen mit überwiegend rehabilitativen Leistungen, z. B. Abteilungen für indikationsübergreifende Frührehabilitation Abteilungen für indikationsspezifische Frührehabilitation (u. a. in Spezial- und Rehabilitationskliniken) Leistungen besonders spezialisierter Krankenhäuser oder Krankenhausabteilungen, z. B. für neurologische Erkrankungen (wie Schädelhirntrauma, Hypoxie, Schlaganfall, multiple Sklerose), Querschnittlähmung, Brandverletzungen, infantile Zerebralparese (spezialisierte orthopädische/kinderorthopädische Versorgung), Epilepsie, Amputation, schwere Atemstörungen (Beatmung) einschl. Mukoviszidose, Akutbehandlung von Menschen mit schwerer geistiger, körperlicher, seelischer oder Sinnesbehinderung bzw. Mehrfachbehinderung, geriatrische Erkrankungen einschl. Demenz, onkologische Erkrankungen, entzündlich-rheumatische Erkrankungen, Kinderneurologie, Neuro- und Sozialpädiatrie, Unfallchirurgie/Neurochirurgie Leistungen für schwerbehinderte Menschen mit behinderungsassoziiertem Mehrbedarf im Akutkrankenhaus, z. B. Mehrbedarf bei der Akutbehandlung im regulären Akut-krankenhaus von Menschen aller Altersgruppen bei schwererBehinderung (umfangreiche Leistungen der Pflege, der ergänzenden [komplementären] Frührehabilitation und ggf.der Überwachung und persönlichen Betreuung).

Auf Antrag des jeweiligen Krankenhauses sollte eine Vergütung nach tagesgleichen Pflegesätzen (Gruppe 1 und 2) oder eine Zuschlagsregelung (Gruppe 3) möglich sein.

Da für die Identifizierung und Vergütung der genannten drei Leistungsbereiche aus der Sicht der DVfR im DRG-System kurzfristig keine sachgerechten Lösungen gefunden werden können, begrüßt die DVfR den Entwurf des Fallpauschalenänderungsgesetzes (Kabinettsentwurf vom 26. 2. 2003), das vorsieht, besondere Einrichtungen zeitlich befristet aus dem Vergütungssystem herausnehmen zu können, und in dem das BMGS ermächtigt wird, Regelungen zur Korrektur/Herausnahme (noch) unzureichend abgebildeter Leistungen vorzunehmen.

Die DVfR erwartet, dass dieses Instrument vom BMGS entsprechend genutzt wird und so allen Beteiligten ausreichend Zeit eingeräumt wird, Lösungen für eine Einbeziehung der genannten Leistungsbereiche in das DRG-System oder andere sachgerechte Lösungen zu finden.

Eine vorrangige Aufgabe noch für 2003 ist aus Sicht der DVfR die Entwicklung von praxistauglichen Assessmentverfahren zur Identifizierung der Personengruppen mit besonderem Bedarf sowie zur Quantifizierung des erhöhten Behandlungsbedarfs als Kalkulationsgrundlage. Diese Aufgabe sollte von den Fachgesellschaften im Verbund mit dem BMGS und mit InEK-Unterstützung wahrgenommen werden. Für die Gruppe der Menschen mit schwerer Behinderung und behinderungsassoziiertem Mehrbedarf im Akutkrankenhaus fühlt sich jedoch keine Fachgesellschaft verantwortlich. Um dennoch ein solches Instrument rechtzeitig verfügbar zu haben, schlagen wir ein Projekt „Effiziente Ermittlung des behinderungsbedingten Mehrbedarfes bei schwerbehinderten Menschen im Akutkrankenhaus” vor. Für ein solches Projekt könnte die DVfR einen multiprofessionellen Projektbeirat stellen. Entsprechende Erfahrungen aus den Bereichen Kinderneurologie und Pflege (LEP, Leistungs-/Aufwandserfassung in der Pflege) oder wissenschaftlich erprobte Verfahren wie FIM (Functional independence measurement), EBI (Erweiterter Barthelindex) oder Früh-Reha-Barthelindex können dabei zugrunde gelegt werden. Für ein solches Projekt sind entsprechende Mittel bereitzustellen.

Unter den genannten Maßgaben unterstützt die DVfR alle Initiativen bei der Weiterentwicklung des G-DRG-Systems und bei Umsetzung des Fallpauschalengesetzes bzw. des Fallpauschalenänderungsgesetzes. Heidelberg, im März 2003

Deutsche Vereinigung für die Rehabilitation Behinderter e. V.

Friedrich-Ebert-Anlage 9

69117 Heidelberg

Email: info@dvfr.de

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