Zentralbl Chir 2003; 128(2): 159-160
DOI: 10.1055/s-2003-37770-2
Kommentar

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B. Luther
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Publication Date:
11 May 2004 (online)

Die Autoren stellen einen interessanten Fall eines akuten Mesenterialarterienverschlusses dar, der mittels Fibrinolysetherapie erfolgreich behandelt werden konnte. Bei dem 80-jährigen Patienten, der bereits ein nicht näher definiertes deutlich erhöhtes Operationsrisiko hatte, war es plötzlich zu einer abdominalen Symptomatik gekommen. Das duplexsonographische Screening hatte einen Verschluss der A.mesenterica superior (AMS) aufgedeckt. Obwohl eine absolute Bradyarrhythmie ein embolisches Ereignis in dieser Darmarterie erklären könnte, deuten der vorliegende Diabetes mellitus und die allgemeine Angiosklerose eher auf die Möglichkeit einer arteriellen Thrombose hin. Gleichwohl war die gewählte Therapie vorerst erfolgreich, was duplexsonographische und MR-angiographische Befunde mit recht unterschiedlicher Qualität belegen. Da das Ausmaß der verbliebenen viszeralen Angiosklerose nicht näher geklärt werden konnte, begnügten sich die Autoren mit einer Dauerantikoagulation des Patienten und einer klinischen/duplexsonographischen Kontrolle.

Trotz dieses bemerkenswerten Behandlungserfolges bleiben viele Fragen offen, ohne deren Beantwortung aus der Kasuistik kein nachahmenswertes Behandlungskonzept für die Gesamtklientel der akuten viszeralen Durchblutungsstörung ableitbar ist.

1. Wie lange bestand die Ischämiezeit?
Es ist bekannt, dass bereits innerhalb weniger Stunden das therapeutische Fenster einer akuten mesenterialen Ischämie verschlossen ist und das Erfolgsorgan, der Dünndarm, einer Innenschicht- und schließlich auch Gesamtwandnekrose anheim fällt. Diese Vorgänge führen zu massiven mukosalen Blutungen mit hämodynamischer Wirksamkeit, und so nimmt es nicht Wunder, dass eine Lysetherapie bis in die 80er Jahre obsolet war und noch heute gefürchtet wird (Jamieson 1979, Katsumori 1998, Yamaguchi 1999). Lediglich in der Initialphase eines Mesenterialinfarkts ist eine Fibrinolysetherapie erfolgreich. Eher eignet sich zur adjuvanten medikamentösen Therapie die direkte Spülperfusion der AMS mit Vasodilatantien und Antioxidantien, die eine Appositionsthrombose verhindert und eine Spontanlyse des Gerinsels befördert, ohne das Blutungsrisiko zu erhöhen (Boley 1977, Luther 1996).

Um also die Ischämiezeit und die Genese des Verschlussprozesses im vorliegenden Fall näher bestimmen zu können, wären Hinweise zu Vorerkrankungen des Patienten, insbesondere seiner Angiosklerose und Prodromi (grippaler Infekt?, diabetische Stoffwechselentgleisung mit Exsikkose?, Blutdruckschwankungen?, vorausgegangene Diarrhoe? etc.) ebenso wichtig gewesen, wie die Beschreibung der medikamentösen Therapie (Betablocker, Kalziumantagonisten, Diuretika, ACE-Hemmer, Antikoagu-lantien) und der kompletten Laborchemie (Leukozytose, Acidose, Lacatatämie).

2. Welche Bildgebung ist bei Verdacht auf eine akute mesenteriale Ischämie der Golden Standard?
Die Autoren haben ihren Patienten mit nicht invasiven Methoden (Duplexsonographie und MR-Angiographie) diagnostiziert und kontrolliert. Ohne Zweifel sind beide Verfahren als Screening-Methoden sehr wertvoll, wenn sie auch entscheidende Nachteile haben, was die beigefügten Abbildungen gut belegen. So sind beide Verfahren nicht geeignet, die Qualität eines viszeralen Verschlussprozesses genau abzubilden, insbesondere Stenosen und Kollateralwege werden durch die Flusscharakteristik oft nur ungenau oder gar nicht dargestellt, was auch für die Peripherie des mesenterialen Gefäßbettes gilt. Auch infarzierte Dünndarmschlingen können nicht sicher dargestellt werden. Zusätzlich ist die Sonographie durch Luftüberlagerungen (paralytischer Ileus) und eine bestehende Adipositas des Patienten in ihrer Aussagekraft eingeschränkt.

Die intraarterielle DSA hat demgegenüber wesentliche Vorteile. Sie ermöglicht die sofortige Katheterplazierung in das Ostium der Verschlussarterie, in diesem Fall die AMS und damit eine klare eindeutige Diagnostik, die für die Therapieplanung essentiell ist. Des weiteren kann ohne Zeitverzögerung eine angiologische Therapie, sei es Fibrinolyse oder Pharmakotherapie eingeleitet werden, was angesichts der noch hohen Letalität des Mesenterialinfarkts (MI) ebenfalls bedeutsam ist. Letztlich dient der liegengelassene Katheter jederzeit einer zweifelsfreien Qualitätskontrolle des Therapieergebnisses (Hagspiel 1999, Luther 2001).

3. In der Annahme, dass der Patient sich im Anfangsstadium der mesenterialen Ischämie befand, stellt sich die Frage: Warum Fibrinolyse und nicht Operation als dem sichersten und schnellsten Revaskularisierungsverfahren? Das Argument der Autoren, das für die Fibrinolyse ein deutlich erhöhtes Operationsrisiko des Patienten bestand, ist nicht ohne weiteres haltbar. Sie selbst geben für ihre Einrichtung eine perioperative Letalität von 25 % an, was für Patienten wie im vorliegenden Fall ungewöhnlich hoch erscheint. Es wurden leider keine Angaben zu kardialen und pulmonalen Leistungsparametern des Patienten gemacht, so dass der Leser diese Aussage nicht nachvollziehen kann. Vor allem deshalb nicht, weil bei Lyseassoziierten Komplikationen, die leider nicht diskutiert wurden, oder einem peritonitischem Abdomen eine Operation ja unausweichlich geworden wäre. Dazu kommt, dass ein Terminus wie gesteigertes Operationsrisiko ein rein subjektiver Begriff ist, den jede chirurgische Klinik anders definiert. So bleibt festzustellen, dass auch eine definitive gefäßchirurgische/viszeralchirurgische Therapie, deren Misserfolgsrate zwischen 3 und 8 % liegt, eine richtige und konsequente Behandlungsmethode gewesen wäre (Luther 2001).

4. Wie wurde die Lysetherapie durchgeführt?
Es bleibt unklar, welche Form der Fibrinolyse die Autoren über den bis vor die AMS eingebrachten Lysekatheter durchgeführt haben eine systemische oder eine lokale? Der heutige Standard ist die lokale Fibrinolyse, die auch im vorliegenden Fall angezeigt gewesen wäre, doch hierzu muss der Katheter in das Ostium der AMS eingeführt und vor den Verschlussprozeß positioniert werden.

Weitere Aussagen zur Wahl des Lysemittels warum rtPA und Urokinase?, warum nicht Streptokinase oder Monotherapie? sowie Dosierungsangaben bleiben unklar und sind für den Leser nicht nachahmbar. Wir haben in analogen Fällen 20 g rtPA appliziert ohne Blutungskomplikationen gesehen zu haben. Andere Autoren verwenden noch höhere Dosierungen (Boyer 1994, Nathan 1995).

Beachtet werden sollte auch, dass die Lysierbarkeit von älteren Gerinnseln oder von Cholesterinkristallembolien sehr unsicher und vermutlich nicht möglich ist (Turegano 1995). Was dann? Hier verbleiben offene Fragen, die nicht mit den zitierten Literaturen aus der chronischen mesenterialen Ischämie oder akuten renalen Ischämie beantwortbar sind.

5. Wie ist das Lyseergebnis zu beurteilen?
Sowohl klinisch als auch duplexsonographisch konnten die Autoren einen Therapieerfolg nachweisen. Lediglich in der MR-Angiographie zeigt sich eine verwaschene AMS, die wahrscheinlich wieder durchgängig, aber erheblich sklerotisch verändert ist. Die Konsequenz aus diesem Befund war für die Autoren die Dauerantikoagulation des Patienten. Wie hoch das Risiko für einen thrombotisch bedingten Remesenterialinfarkt im speziellen Fall wirklich ist, lässt sich aus der gewählten Bildgebung aber leider nicht ermessen.

Bezüglich des abdominalen Befundes muss an enterale Perfusionsschäden gedacht werden, die u. U. eine viszeralchirurgische Operation nach sich ziehen. Dies war offenbar bei dem Patienten der Autoren inapperent.

Es bleibt zusammenfassend festzustellen, dass die Autoren mit ihrem eingeschlagenen Diagnostik- und Therapieplan Glück hatten und dem Patienten aus einer akuten Situation herausgeholfen haben. Die Akutlyse des frischen MI stellt also ein zukunftsträchtiges Teilkonzept eines Disease-Management-Programms dar und man darf auf weitere Erfahrungen der Autoren gespannt sein. Um die Prognose des Patienten klarer zu gestalten, stehen die genaue Abklärung des mesenterialen Verschlussprozesses und unter Umständen die präventive gefäßchirurgische Therapie noch aus.

Um die Methodik im Sinne der schwerstkranken Patienten mit akuter mesenterialen Ischämie den behandelnden Ärzten näher zu bringen, wäre insgesamt eine klarere Darstellung und gezieltere Diskussion erforderlich gewesen.

Literatur

  • 1b Boley S J, Sprayregen S, Siegelmann S, Veith F J. Initial results from an aggressive approach to acute mesenteric ischemia.  Surgery. 1977;  82 848-855
  • 2b Boyer L, Delorme J M, Alexandre M, Boissier A, Gimbergues P, Glanddier G, Viallet J F. Local fibrinolysis for superior mesenteric artery thromboembolism.  Cardiovasc Intervent Radiol. 1994;  17 214-216
  • 3b Hagspiel K D, Angle J F, Spinosa D J, Matsumoto A H. Angiography: Diagnosis and Therapeutics. In: Longo WE, Peterson GJ, Jacobs DL (eds). Intestinal ischemia disorders. Pathophysiology & Management. Quality Med Publish, St. Louis 1999; 105 - 154
  • 4b Jamieson A C, Thomas R JF, Cade J F. Lysis of superior mesenteric artery embolus following local infusion of streptokinase and heparin.  Austr N Z J Surg. 1979;  49 355-356
  • 5b Katsumori T, Katoh K, Takase K, Nishiue T, Tani N, Shirato M, Hino A, Fujimoto M, Maeda T. Intracerebral hemorrhage after transcatheter thrombolysis of non-occluding superior mesenteric artery thrombosis.  Cardiovasc Intervent Radiol. 1998;  21 419-421
  • 6b Luther B, Lehmann C, Schwilden E -D, Holzäpfel A. Perioperative intraarterielle Spülperfusion zur adjuvanten Therapie akuter intestinaler Durchblutungsstörungen.  Zentralbl Chir. 1996;  121 61-66
  • 7b Luther B. Intestinale Durchblutungsstörungen. Mesenterialinfarkt, Angina abdominalis, Therapieoptionen, Prognosen. Steinkopff Verlag Darmstadt 2001
  • 8b Nathan N, Wintringer P, Bregeon Y, Cassat C, Le Blanche A, Boulanger J P, Feiss P. Intra-arterial thrombolysis of acute mesenteric ischemia.  (frz) Ann Fr Anesth Reanim. 1995;  14 33-36
  • 9b Turegano Fuentes F, Simo Muerza G, Echenagusia Belda A, Fiuza Marco C, Palacios J T, Perez Diaz D. Successful intraarterial fragmention and urokinase therapy in superior mesenteric artery embolism.  Surgery. 1995;  117 712-714
  • 10b Yamaguchi T, Saeki M, Iwasaki Y, Ishikawa M, Hayakawa M, Sakuyama K, Ishikawa T, Ashida H. Local thrombolytic therapy for superior mesenteric artery embolism: complications and long-term clinical follow-up.  Radiat Med. 1999;  17 27-33

Prof. Dr. Dr. B. Luther

Klinik für Gefäßchirurgie und Nierentransplantation · H.-Heine-Universität Münster

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