Klinische Neurophysiologie 2003; 34(1): 1
DOI: 10.1055/s-2003-37751
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Neurophysiologische Hirnstammdiagnostik

Neurophysiological Brainstem DiagnosticsM.  Dieterich1
  • 1Neurologische Klinik, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
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Publication Date:
10 March 2003 (online)

Noch in den 80er- und frühen 90er-Jahren dominierte die Neurophysiologie die klinische Diagnostik und Forschung besonders durch Entwicklung und Anwendung der evozierten Potenziale und Ableitung von Hirnstammreflexen. Mit der Betonung der molekularen Grundlagenforschung einerseits und den Fortschritten in der Bildgebung andererseits haben sich die Schwerpunkte in den 90er-Jahren verschoben. Tatsächlich ist es so, dass die Bildgebung z. B. mit der hochauflösenden Magnetresonanztomographie (MRT) vieles leisten kann, was früher die neurophysiologischen Untersuchungen ermöglichten, wie strukturelle Schäden aufzuzeigen. So kann die MRT kleine, nur wenige Millimeter messende Läsionen oder Asymmetrien sichtbar machen, weshalb sie in einigen Bereichen wie der Diagnostik einer Hypokampussklerose als Ursache einer Epilepsie unersetzlich geworden ist. Aber auch die Bildgebung hat ihre Grenzen und negativen Aspekte. Neben den im Vergleich zu neurophysiologischen Untersuchungen meist deutlich höheren Kosten - die wir in Zeiten der DRGs nicht mehr außer Acht lassen können - ist die Aussagekraft zur Lokalisation im Hirnstamm oftmals der der Hirnstammreflexe deutlich unterlegen. Das trifft vor allem bei sehr kleinen umschriebenen Läsionen sowie bei diffusen Veränderungen des Hirnstamms zu. Jeder weiß, wie wenig selbst eine MRT in 2-mm-Dünnschichttechnik zur genauen Einordnung, z. B. einer Multisystemerkrankung wie der supranukleären Blicklähmung im Frühstadium, beitragen kann, wenn die Analyse der Okulomotorik bereits eindeutige pathologische Befunde aufweist.

Durch die Entwicklung neuer attraktiver Forschungsbereiche in den immunologischen oder molekularen Grundlagenwissenschaften hat sich zum Teil auch unser klinisches Interesse hierhin verschoben. Dies ist einerseits natürlich und verständlich, andererseits fehlen heutzutage häufig noch die klinische Relevanz und die therapeutischen Implikationen. Die molekulare Grundlagenforschung in der Neurologie liefert uns zwar schon für einige Erkrankungen wichtige Hinweise auf die zugrunde liegenden Pathomechanismen, aber von Therapiekonzepten - gar evidence-based - sind wir noch weit entfernt. Der notwendige Aufschwung solcher neuer Methoden und Teilgebiete in der Neurologie sollte daher nicht dazu führen, dass die gesicherten Erkenntnisse der klinischen Neurophysiologie zu sehr in den Hintergrund oder gar in Vergessenheit geraten, zumal uns heute eine ganze Batterie von Hirnstammtests zur Verfügung steht. Dieses Schwerpunktheft hat sich zur Aufgabe gemacht, den aktuellen Stand der neurophysiologischen Hirnstammdiagnostik mittels evozierter Potenziale und verschiedener Hirnstammreflexe darzustellen.

M. Dieterich

Prof. Dr. med. Marianne Dieterich

Neurologische Klinik · Johannes-Gutenberg-Universität Mainz

Langenbeckstraße 1

55131 Mainz

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