Zusammenfassung
Zielsetzung: Seit der Einführung der freien Kassenwahl in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Jahr 1996 nimmt die Fluktuation der Versicherten zwischen den Kassen stetig zu. Da bisherige Studien Wechselmotive hauptsächlich durch stichprobenbasierte Mitgliederbefragungen analysiert haben, wurden in der vorliegenden Arbeit statistische Zeitreihen (1996 - 1998) des Bundesministeriums für Gesundheit auf der Basis ihrer möglichen Marktrelevanz und Aussagefähigkeit ausgewählt, um Anhaltspunkte für die Kassenwechselmotivation eines Mitglieds zu erfassen. Methoden: Bei den ausgewählten Faktoren handelt es sich entsprechend dem betriebswirtschaftlichen „4-P” Marketing-Mix-Modell um die (1) Personalkosten und (2) Leistungsausgaben je Mitglied (als Kern-Produktspezifikationen), die (3) Beitragssatzhöhe und (4) -veränderung (als Preisspezifikationen), (5) die Gebäudekosten je Mitglied (Place; Vertriebs- bzw. Distributionsspezifikation), sowie (6) den Anteil an freiwilligen Mitgliedern und (7) Marktanteil (Promotion; sonstige Faktoren). Mittels einer multiplen Regression wurde der Einfluss der genannten Variablen auf die Mitgliederentwicklung der 39 untersuchten Krankenkassen (bzw. -gruppen /-verbände) bestimmt. Ergebnisse: Mit einem sehr hohen Bestimmtheitsgrad (R²) von 0,818 wurde festgestellt, dass - mit Ausnahme der Personalkosten - alle untersuchten Variablen eine hohe Erklärungssicherheit bieten (p < 0,05), um die Faktoren für einen Krankenkassenwechsel aus statistischer Sicht zu erklären. Höhere Leistungsausgaben haben negative Auswirkungen auf die Mitgliederentwicklung (gewichteter Koeffizient K = - 0,154, t: - 2,51 p = 0,01), höhere Personalkosten tendenziell positive (K = 0,084, t = 1,35, p = 0,18), ein überdurchschnittlicher Beitragssatz negative (K = - 096, t = - 9,64, p = 0,000), eine Beitragssatzerhöhung keine direkt messbaren (K = 0,000, t = 4,87, p = 0,000), höhere Gebäudekosten eine positive (K = 0,127, t = 2,05, p = 0,04), höhere Anteile an freiwilligen Mitgliedern leicht positive (K = 0,038, t = 4,04, p = 0,000) und ein hoher Marktanteil keine Auswirkungen (K = - 0,03, t = - 2,195, p = 0,03). Schlussfolgerungen: Die Kenntnis der Assoziationen der untersuchten Faktoren mit der tatsächlichen Mitgliederentwicklung gestattet es, innovative Anforderungskombinationen für neue Angebote in der GKV zu formulieren. Voraussetzung für diese Innovation ist allerdings eine weitere gesetzliche Liberalisierung des GKV-Marktes.
Schlüsselwörter
Krankenversicherung · Gesetzliche Krankenkassen (GKV) · Selektionsfaktoren · Determinanten · Deutschland
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Dr. rer. medic. W. Bücking
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