Psychotraumatologie 2002; 3(4): 46
DOI: 10.1055/s-2002-35048
Bericht aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Würde des Menschen ist antastbar

Human Dignity can be injured. Psychotraumatherapie im Spannungsfeld zwischen parteilicher Abstinenz und SozialarbeitGabriele Kluwe-Schleberger1
  • 1Thüringer Trauma Zentrum
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Autorin:

Gabriele Kluwe-Schleberger

Thüringer Trauma Zentrum

Ziegenplan 12

98530 Rohr

Phone: Tel 036844 30833

Fax: Fax 936844 30834

Email: 320040633577-0001@t-online.de

Publication History

Publication Date:
23 November 2002 (online)

 
Table of Contents #

Zusammenfassung

Dieser Bericht aus der Praxis beschreibt die alltäglichen Probleme, die während der Traumaarbeit mit Asylbewerbern entstehen. Diese scheinen im therapeutischen Geschehen die ungelösten gesellschaftlichen Konflikte zu fokussieren: als TherapeutIn eingespannt zu sein zwischen Patienteninteressen und Juristen, Gutachten und Ämterwillkür, wohlmeinenden Helfersystemen, stark belastenden Wohnsituationen, diffizilen ethnischen Konflikten und der Notwendigkeit zu fachkompetenter Arbeit.

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Psychotraumatherapy in a Field of Conflict Between Abstinent Partiality and Social Work

This report describes the everyday problems during traumatherapy with refugees. These problems seem to focus on all the unsolved conflicts of our society. A therapist is caught between the needs of the patients and the jurists, the opinions of the experts and arbitrary acts of the welfare institutions, well-meaning helper systems, stressful housing conditions, difficult ethnic conflicts and the necessity of competent therapeutic work.

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Flüchtling und Asylant

Diese Worte lösen in Deutschland heftige Affekte und Abwehr aus: Schuld, Scham, Neid, Hass, Angst, die die entsprechenden Abwehrmechanismen auf den Plan rufen. Zwischen diesen Polaritäten entstehen Spannungsfelder, die in die Judikative, Executive, gesellschaftliche Institutionen, Gruppen, Helfersysteme hineinwirken und diese in Aktion und Reaktion definieren.

Diese Prozesse erreichen die Individuen, die mit ihrer eigenen transgenerationell determinierten Geschichte wieder zurückwirken auf die Systeme.

Als Psychotherapeutin bin ich in diesen Strukturen verhaftet, eingewoben, werde gerade in der Therapie mit Asylsuchenden mit den Auswirkungen wesentlich stärker konfrontiert als in fast jeder anderen Therapie. Wie ist in der Spannung therapeutisch zu arbeiten? Wieviel Solidarisierung ist notwendig, um Traumatherapie überhaupt in die Bewilligung zu bekommen.? Wie groß ist die Gefahr der Identifikation mit Opfern und/ oder Tätern, wenn der Druck durch Verwaltungsakte oder der Impact im Rahmen der Therapie groß wird, und die Verführung zur Suche nach einfachen Auswegen Entlastung im therapeutischen Prozess suggeriert? Wieviel Sozialarbeit muss, kann, darf, will ich als Therapeutin leisten? Wo überstrapaziere ich die Grenzen der parteilichen Abstinenz?

Wo und wie finde ich meine Hilfssysteme? Wieviel Einsatz ist notwendig - wieviel leistbar, um solche Systeme zu schaffen?

Ich werde in meinem Praxisbericht mehr Fragen aufwerfen statt Antworten zu finden, mehr Diskussionsstoff als Lösungen bieten. Etwas anderes wäre aus der Position einer ambulant tätigen Praktikerin vermessen.

Ein entstehender Diskurs, der Sensibilitäten und vielleicht irgendwann Einsichten und damit Veränderungen zu mehr sozialer Intelligenz - auch der normativen Kräfte- bewirkt ist sicher eine Utopie. Die Brisanz des Themas zu verdeutlichen hoffentlich möglich.

Ich werde anstelle von Fallbeschreibungen exemplarisch Prozesse im sozialen Umfeld der PatientInnen skizzieren und Therapiephasen kurz einweben. Die Kürze ist für mich vor allem Selbstschutz vor sekundärer Traumatisierung.

Die weiteste Reise beginnt mit einem ersten Schritt auch die aus Krieg und Folter ins:

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Asylverfahren und -therapie

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Mein Weg

Seit 28 Jahren arbeite ich mit Gefolterten und Kriegstraumatisierten, mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, mit Einzelpersonen und ganzen Familiensystemen. Damals Sozialarbeiterin ohne abgeschlossenes Psychologiestudium, später als Psychotherapeutin.

1974 gab es weder das Wort Trauma für den Psychotherapiebereich, noch war das alte Wissen um Traumatisierung verfügbar. Methodisch profitierte ich von den therapeutischen Ansätzen aus der Frauenbewegung, der Hypnotherapie, der Körper - und Gestalttherapie.

Seit damals hat sich viel geändert:

Altes Wissen ist validiert worden mit moderner Technik, Therapieverfahren wurden optimiert und bieten den Betroffenen bessere Möglichkeiten auch nach extremer Leiderfahrung wieder einen Weg ins Leben zu finden. Wir haben eine Verfassung und auch ein anderes Asylrecht als noch vor 27 Jahren.

Was bedeutet das heute für den

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Weg der Asylbewerber

Neben deutschen Opfern der Stalinherrschaft und traumatisierten deutschen Flüchtlingen des 2. Weltkrieges, aber auch Stasiopfern behandle ich aktuell eine Familie und 2 Einzelpersonen verschiedener Ethnien, die allerdings in der gleichen Einrichtung wohnen. 2 weitere Personen sind im Status „Therapie begonnen”.

Beteiligte im System sind unmittelbar:

- das Sozialamt mit Fachgebietsleiter, Krankenscheinstelle, im Hintergrund der Sozialamtsleiter, dessen Stolz Einsparungen in Millionenhöhe sind, personell unterbesetzt

- das Gesundheitsamt mit einem im Prinzip wohlwollenden Amtsarzt, der massiven Repressalien (Regress - Androhungen) von seiten des Sozialamtes ausgesetzt ist. Noch uninformiert hinsichtlich Trauma,Traumafolgen und Traumatherapie. Eine kurze Überblicksveranstaltung im Gesundheitsamt ist geplant

die Ausländerbehörde - überwiegend freundlich bei klarer Rechtslage

die Polizei - uninformiert, hilflos, überfordert

Rechtsanwälte ohne Traumainformation. Eine Fortbildung ist vom Anwaltsverein geplant, stößt aber auf wenig Resonanz

Gerichte: dort arbeiten Juristen ohne Traumainformation. Sie sind zwar auch vom Anwaltsverein eingeladen, angemeldet zu der Informationsveranstaltung hat sich jedoch keiner der Richter

Gutachter verschiedenster Spezialisierungen

ein Asylbewerberheim in schlechtem Bauzustand, in dem die verschiedenen Ethnien und Religionen z.T. schwer traumatisiert zusammen wohnen müssen, z.B. Bosnier mit Serbokroaten etc.

eine „Sozialarbeiterin”, Angestellte des Heimbetreibers, die über ihre durch das Gesetz definierten Befugnisse hinaus handelt. Sie ist gelernte Friseurin.

Freundeskreis Asyl, organisiert von der Kirche, bietet Räumlichkeiten, organisiert Veranstaltungen u.a. zum Thema Traumatisierung

Flüchtlingsrat

Niedergelassene Ärzte

Schulen

Theatergruppe

Reporter

Arbeitsamt

Therapeutin

und als Betroffene: die Asylbewerber.

Mittelbar beteiligt sind Ministerien, Parteien, Landesverwaltungsamt aus dem mich ein Beamter fragte: „Sie wollen doch nicht wirklich Ausländer hier haben?”

Die Liste mag unvollständig sein, es sind jedoch die Institutionen und Personen, mit denen ich während der Therapieprozesse immer wieder persönlich, schriftlich und telefonisch Kontakt habe.

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Therapie

Anruf vom Freundeskreis, Herr N.: Es brennt wieder.

Eine Familie, 6 Personen, über lange Zeiten haben - bis auf das in Deutschland geborene Kleinkind - alle das gleiche erlebt. Das Gericht stellt schwerste Traumatisierungen fest. Die Frauen der Familie und die Kinder kamen über Ungarn, nach Deutschland, dann nach Holland, wieder nach Deutschland. Der Vater konnte sich vor seiner Rekrutierung absetzen. In Bosnien ist ihr Haus von den Leuten okkupiert, von denen sie gefoltert wurden.

Seltsamerweise wird nur für einen Teil der Familie der Asylstatus anerkannt. Soweit aus den Akten zu erkennen lag es an den Gutachten. Zwei der Kinder, eines davon schon in Deutschland geboren, und die Mutter sollen abgeschoben werden. Die Großmutter - durch 2 Kriege in Jugoslawien durch Folter traumatisiert, der deutschen Sprache nicht mächtig - und die anderen Kinder dürfen hier bleiben. Der Vater ist geduldet.

Die Situation ist traumatisierend, die Abschiebung - falls sie durchgesetzt würde - wäre desaströs für die Familie.

Wo sollten Mutter und Kinder hin? Das Haus okkupiert, die weitläufige Familie eleminiert, viele vor den Augen, auch der Kinder, zu Tode gefoltert. Das Gebiet, in dem sie lebten, von Serben besiedelt. Der Mitarbeiter steht unter Druck, will helfen, hat schon alle Therapeuten der Umgebung angefragt. Keiner will mit Asylbewerbern arbeiten.

Meine Warteliste ist schon 2 Jahre „lang”. Ich werde Termine finden. Erst einmal die Zusage, damit Zeit bleibt für die Anwälte und die Abschiebung aufgeschoben werden kann.

Nein- das ist nicht therapeutische Abstinenz, das ist Sozialarbeit. Traumatherapie erfordert einen möglichst sicheren Rahmen in der sozialen Realität. Der muss geschaffen werden, auch für die im Asylverfahren anerkannten Familienmitglieder.

Nun beginnt die Ochsentour durch die Amtsinstanzen.

Herr N. kontaktiert Sozialamt und Amtsarzt. Es wird schwierig. Es soll nur ein Besuch beim Neurologen erfolgen. Es gibt keinen anderen Behandlungsschein. Das reicht doch zur Therapie - oder? Asylbewerber müssen die kostengünstigste Behandlung bekommen. Neurologe und Tabletten sind billiger, als der niedrige Sozialamtssatz für Psychotherapie.

Telefonate mit dem Amtsarzt. Er ist wohlwollend, er weiß um schwere Schicksale. Die Familie bekommt ihre ersten Termine zur Diagnostik und Vorgespräche. Die Töchter sprechen perfekt Deutsch, die Mutter benötigt für Feinheiten Übersetzungen, die Großmutter will abwarten, wie die anderen vom der Therapie profitieren. Sie ist in hoher Übererregung. Panisch wiederholt sie immer ihre Erlebnisse aus diesem, aber auch aus dem Krieg, den sie als Kind erlebte; ihre Familie war eliminiert worden, die Mutter weggeschleppt. Später fand sie den vom Körper abgetrennten und verstümmelten Kopf der Mutter im Dreck. Sie benötigt Übersetzung.

Die Kinder hören diese Geschichten dauernd, die Oma muss immer reden.

Berichte schreiben und der Versuch, erst über den Amtsarzt zu gehen, hilft zunächst, bringt aber viel Ärger, vor allem für den Arzt. Stundenlange Telefonate und jede Menge Schriftverkehr mit dem Sachgebietsleiter, der Krankenscheinstelle, dem Arzt, Freundeskreis.

Herr N. vom Freundeskreis - auf den sollte ich mich lieber nicht beziehen. Er ist nicht angesehen im Sozialamt.

Die Therapie ist bewilligt. Die Familie benötigt sofort therapeutische Hilfe, weder Mutter noch Kinder können in die Warteschleife. Es gibt kein Vertrauen zu Dolmetschern. Nein, die Therapie soll nur gemacht werden, wenn alle zusammen bleiben dürfen. Vater passt auf das Kleinkind und die Oma auf - in der Zwischenzeit.

Therapiebeginn - die Scheine sind da, aber die Bewilligung fehlt. Nein, die gibt es nicht. Therapie zu teuer, die können doch nicht richtig deutsch, Psychotherapie ist zu kompliziert, wenn man die Sprache nicht kann, außerdem ist das ganze 6 Jahre her. Die können kein Trauma mehr haben. Die können doch auch nach Leipzig fahren, da werden sie umsonst behandelt. Kein Gedanke über die weite Fahrstrecke, die Fahrtkosten, ggf. Übernachtungskosten, oder die Traumatisierung durch einen Therapeutenwechsel in einer sensiblen Phase: Hauptsache die Therapie kostet nichts. Angeblich könnten sie sofort einen Platz bekommen - stimmt nicht.

Dann wieder lag es angeblich daran, dass Neurologe und Psychologe verwechselt wurde. Dann doch wieder, es wurde vom Amtsarzt zuviel Therapie bewilligt. Er ist sehr vorsichtig geworden. Irgendwann ist es auf dem Tisch. Das Sozialamt hat ihm Regress angedroht.

Therapie für Großmutter gestrichen, die ist sowieso dement. Ich hatte schon längst informiert, dass die Dame von der Therapie Abstand nehmen wollte. Die Therapie wurde weitergeführt, auch ohne Kostenzusage.

„Butterfly hug” für die Mädchen, die der Mutter dolmetschen, Sicherungsübungen, Erklärungen. Die Intrusionen sind so präsent, oft getriggert durch die Großmutter, aber auch die Situationen im Asylheim (Gewalt, Polizeieinsätze, inquisitorische „Sozialarbeiterin”, extreme Verschmutzungen und Zerstörungen in der Einrichtung, Presse etc. ), dass ich mich relativ früh zur EMDR Behandlung und Traumakonfrontation entschließe. Ich gehe darauf nicht weiter ein. Vieles wüsste ich lieber nicht - und die Kinder haben alles miterlebt.

Immer wieder ressourcenorientiertes Arbeiten dazwischen. Den Mädchen macht das Spaß. Denen tut diese Form der Intervention gut. Sie beginnen ab und an zu lächeln.

In der Schule gibt es Ärger. Eine der Töchter verschläft häufig, wegen der durchwachten und albtraumdurchzogenen Nächte. Sie hat außerdem so eine krakelige Schrift. Das kann doch nicht sein. Die will nur nicht - sagt die Lehrerin. Außerdem die nicht durchgängige Aufmerksamkeit - da muss was passieren.

Gespräche mit der Schule, Aufklärung über Trauma. Ach so, sie schläft wirklich nicht - ja, aber besser schreiben könnte sie schon. Erklärungen, Angebote zur Info in der Schule fürs Kollegium.

Nein, das ist keine primär therapeutische Arbeit, nur, wie schaffe ich mir Hilfssysteme?

Der Mutter geht es langsam besser, auf niedrigem Niveau, aber sie ist nicht mehr akut suizidal - als Muslima besonders schlimm, solche Gedanken zu haben.

Zufällig erfahre ich, dass Amtsarzt und/oder Sozialamt Befragungen über die Therapie bei meinen Patienten durchführen. Die Fragen scheinen so gestellt, dass sie die Unsinnigkeit der Weiterführung der Therapie offenbaren sollen. Auch im Telefonat mit dem Amtsarzt gab es Einwürfe in dieser Richtung.

Aber es wird eine Infoveranstaltung zum Thema im Gesundheitsamt geben. Ich will ihn stützen in seinem Bemühen zu helfen. Bald wird es einen Psychiater dort geben. Vielleicht kommt er auch.

Nein, auch das ist nicht therapeutisch abstinent.

Seit der Therapie habe die Familie wieder Hoffnung, sagen Mutter, Vater und Töchter. Oma ist in der Klinik. Ein Gutachtentermin steht an. Die Kinder sollen von einem Gerontopsychiater einer nahegelegenen Psychiatrie begutachtet werden. Das Gericht hat ihn bestimmt, und er hat den Auftrag angenommen.

Telefonate mit dem Freundeskreis, den Anwälten, Briefe auch ans das Gericht. Gutachtervorschläge - warten, Unsicherheit - Destabilisierung. Also wieder Ressourcen stabilisieren. Irgendwann ist das Gericht einverstanden und bestellt einen andern Gutachter. Jemanden von der Liste.

Trotzdem sie haben Angst, auch Angst, der Gutachterin zu sagen, was sich alles bei ihnen verändert hat in den fast 4 Jahren des Horrors. Angst, als verrückt zu gelten, Angst, etwas zu sagen, was vom Gericht nicht akzeptiert wird. Vielleicht ist es besser, gar nichts zu sagen. Da ist die Angst, angetriggert zu werden und auch Scham, dass man sich nicht im Griff hat, anders ist als die anderen. Dabei war man doch mal wer.

Die Würde des Menschen ist antastbar.

Die „Sozialarbeiterin” des Trägers will die Therapietermine. Sie will sie ans Sozialamt weiterleiten. Zur Traumafortbildung des Freundeskreises war sie nicht gekommen. Sie moniert die hohen Therapiekosten für die „Asylis”, die Deutschen bekommen das nicht.

Sie will die Familie kontrollieren. Informierte die Polizei, weil die Familie eine Videokamera hat. Ein Sozialhilfeempfänger mit dem Asylantensatz kann sich das nicht leisten. Es gibt regelmäßige Anrufe bei der Polizei- nicht nur in Bezug auf diese Familie. Ich erkläre Datenschutz, rufe die Mitarbeiterin im Sozialamt an. Die wollen geschützte Auskünfte von mir. Sachlich bleiben, distanzieren, die Situation entspannt halten. Anbieten, der Familie die Infos zu geben und sie entscheiden lassen, ob sie sie weitergeben. Eine Farce: machen sie es nicht, werden ihnen die Fahrkarten verweigert.

So geschehen bei der Begutachtung. Der Freundeskreis schoss das Geld vor und bekommt es nicht zurück, obwohl das Amt verpflichtet ist, die Fahrtkosten zur Begutachtung zu übernehmen.

Nein, schriftlich gibt es keine Einlassungen oder Ausführungen von Amtsseite.

Nichts ist wirklich greifbar, einklagbar und selbst wenn, woher käme das Geld.

Trotz der Unsicherheiten im realen sozialen Umfeld sind die therapeutischen Interventionen gute Hilfen.

Die subjektive Belastung ist auf der Belastungsskala „SUD” (Subjectiv Units of Disturbance, F. Shapiro) von dem Höchstwert 10 auf 5 runter.

Wenn es den andern besser geht, will der Vater wegen seiner Symptome auch in Behandlung kommen. Aber noch muss er auf das Kind und die Großmutter aufpassen, wenn die anderen zur Therapie kommen. Die alte Dame beginnt in Panik sogar nackt auf die Straße zu laufen, wenn sie bestimmte Geräusche hört. Ja, sie bekommt viele Medikamente, kriegt gar nichts mehr richtig mit.

Ein anderer Mann will in die Therapie. Er kämpft verzweifelt. Die niedergelassenen Ärzte hatten ihn mir schon vor längerer Zeit schicken wollen. Ich habe einige Briefe hier liegen, und er stand schon öfter vor meiner Tür. Er hat den Status der Duldung.

Die üblichen Telefonate - eine Stimme aus dem Sozialamt sagt: „Ach der, der will doch auch nur auf Trauma machen, wie die anderen.”

Distanz halten - recherchieren, woher das kommt. Die emsige „Sozialarbeiterin” wusste es und trug es weiter. Nein, was die niedergelassenen Ärzte da sagen, ist für das Sozialamt nicht relevant. Der will ja nur Therapie, um zu arbeiten.

Das ganze Spiel von vorn. 30 Stunden nach ca. fünf Monaten Bemühen. Es ist ein Anfang.

Ja , mit dem Arbeitsamt werde ich auch noch verhandeln, der Brief ist schon diktiert.

Gut, dass der Flüchtlingsrat auch unterstützt, allerdings auch belastend, da auch Unterstützung eingefordert wird.

Ob der Sachgebietsleiter oder der Amtsleiter diesmal die Einladung zur Fortbildung annimmt? Diesmal findet sie ja in seinem Haus statt.

Ja, das ist mehr als Therapie.

Ein anderer, dessen Therapie läuft, hat einen Deutschkurs belegt, damit die Therapie nicht vom Sozialamt gestrichen wird - wegen Therapieunfähigkeit aus sprachlichen Gründen. Reichte die Sprache mal nicht - was gar nicht so oft war, haben wir, wie ich es mit Kindern mache, mit Bilder malen gearbeitet. Die Bilder, die er malte, waren denen von den Kindern im Kosovo, die Bob Tincker mitgebracht hatte, sehr ähnlich. Nein- einen Dolmetscher hatte es nicht gegeben, auch die Kosten für den Kurs hat das Amt nicht übernommen.

Schriftliches liegt nicht vor.

Es gab Spenden, und eine Lehrerin nimmt ihn mit dem Auto mit.

Ich denke, solange die Traumata in der Gesellschaft abgewehrt werden -müssen ?- wird es dieses, beim Schreiben für mich physisch spürbares, Spannungsfeld geben. Solange wird der sozialarbeiterische Aspekt die therapeutische Arbeit mit diesem Klientel mit bestimmen. Allerdings ist eine ambulante Praxis mit dem Aufwand letztlich überfordert. Netzwerke und interdisziplinärer Zusammenarbeit sind notwendig.

Notwendig sind Informationen und Schulungen über die in der Natur der Sache liegenden Besonderheiten und die Entwicklung von Kriterien für die im System an Entscheidungen Mitwirkenden und deren Bereitschaft, dieses Wissen zu integrieren und umzusetzen.

Anmerkung: Informationen über die weitere Entwicklung des Vorgangs auch direkt bei der Autorin.

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Anhang:

Weitere Erfahrungen mit Flüchtlingen im Asylverfahren bzw. danach von Ingrid Röseler

Rentnerin (Kindergärtnerin / Reha- Fürsorgerin), ehrenamtliche Arbeit als kirchliche Ausländerbeauftragte/ Flüchtlingsrat Thüringen e.V.

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Failie:

1994-96: Ein irakischer Kurde aus Kirkuk, ein sog FAILI-Kurde erlebte als Kind die Deportation seiner Familie, engagierte sich beim Studium in Bagdad für die Anliegen der irakischen Kurden (nach Halabja), war im Gefängnis und wurde schwer gefoltert. Nach Entkommen und Flucht engagierte er sich für seine Landsleute und auch türkische Kurden in unserem Begegnungszentrum.

Sein Asylantrag wurde abgelehnt, trotz Angaben über o.g. Folter. Sein Aslyverfahren ging dennoch gut aus (§51 AuslG Genfer Flüchtlingskonvention), weil damals die Stellung eines Asylantrages in Deutschland nach Rückkehr schwer geahndet wurde und es eine Rückkehrgefährdung für irakische Kurden für (ca. ein Jahr gültig) gab!

Seine Erlebnisse brachte er in sehr eindrucksvollen Bildern zum Ausdruck. Allerdings hatte dies keinen Einfluss auf sein Verfahren.

Failie, wie wir ihn nannten, war ein sehr sensibler zeitweise schwer depressiver junger Mann mit einem weiten Herz. Leider habe ich keine guten Nachrichten von ihm erhalten. Er lebte in Berlin Kreuzberg mit einer Frau seines Landes und war immer nahe am „Absacken”. Er hatte wohl nie Gelegenheit seinen inneren Zerbruch durch so viele Demütigungen (auch danach in Deutschland) aufzufangen.

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Zeynel:

Die gesamte türkisch-kurdische Familie stand kurz vor der Abschiebung in die Türkei nach 5 Jahren Aufenthalt und abgeschlossenem Asylverfahren: Zeynels Angaben über Todesursachen seines Vaters nach Misshandlung, eigenem Gefängnisaufenthalt und detailliert beschriebenern Folter wurde als unglaubwürdig und erfunden, unsubstantiiert und vage in den Aussagen- verworfen .

Im Heim sei Zeynel sehr auffällig auch im Umgang mit Mitbewohnern und auch der Heimleitung, Wutausbrüche,Verschlossenheit, Teilnahme an Hungerstreiks waren bekannt. Nach unbedingter Ausreisepflicht ging die ganze Familie in die Schweiz (ohne Absprache mit der Ausländerbehörde, so dass es als Abtauchen galt ). Dort wurden sie nach 4 Wochen legalem Aufenthalt in einem Asylheim (nach Antrag ) geradezu aus der Schweiz nach Deutschland zurückgeprügelt (da gibt es einen Extra- Bericht, bei dem Ehefrau und Kinder selbst Betroffene waren). Bei der nächsten Ausreisepflicht kam es zu unserer Begegnung.

Mit Stellung eines 2. Asylantrages, dem keine aufschiebende Wirkung zugeordnet werden konnte, kam es dann zum Kirchenasyl, das über 3 Gemeinden wechselte, zuletzt 4 Jahre in Erfurt in der Ägidienkirche an der Krämerbrücke (Gesamtzeit von Dez. 96 bis März 2000).

In der Zeit wurde Zeynel über einige Ärzte behandelt mit Herzproblemen, Schlaflosigkeit, Ängsten in geschlossenen Räumen, Rücken- und Kniebeschwerden, und vor allem sehr wechselndem Verhalten in Familie und zu Landsleuten und uns.

1999 im Herbst bekamen wir, d.h. der Unterstützerkreis engagierte sich privat, einen Termin in der Institutsambulanz der TU in Dresden und Prof. Dr. Maercker erstellte ein Gutachten, das eine posttraumatische Belastungsstörung bestätigte. Danach kam es relativ kurzfristig zu einer Bundesamtsentscheidung für §51 AuslG nach Genfer Flüchtlingskonvention für die ganze Familie (Aufenthaltsbefugnis zunächst nur für ein Jahr).

Weiterbehandelt wurde er in Erfurt bei Dr. Koch und fuhr in diesen Tagen zu einer Kur nach Bayern. Schwere Magenstörungen hatte er noch in den letzten Wochen. Die Ehefrau, selbst in den Jahren des Kirchenasyl schwer mit Kopfschmerzen belastet, ernährt jetzt über ihr Arbeitsverhältnis die ganze Familie.

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Nuri:

Ein 59-jähriger Kurde besuchte unsere Beratung in Suhl. Er war ca im 3. Jahr im Asylverfahren auch kurz vor der Abschiebung.

Keiner nahm ihn für voll, da er sehr verlangsamt, sprachlich unverständlich auftrat, er kam uns vor wie unter Dauermedikamenten, oder sklerotisch. Erst in Beratungsgesprächen, die ohne weiteres möglich waren, da er ruhig und entschlossen unserem Sozialpädagogen berichtete, erfuhren wir die ganze Tragweite seiner Erlebnisse, seiner Ängste vor einer Rückkehr, und wir versuchten umgehend einen Termin in einem Behandlungszetrum auf eigene Faust zu bekommen. Unbedingt wollte er, gegen den Willen seines Anwalts, einen Folgeantrag stellen. Dieser wurde innnerhalb 2 Wochen abgelehnt, und ebenso die Klage, die schon keine aufschiebende Wirkung hatte. Dennoch hofften wir auf eine Duldungsverlängerung, da sein Anwalt einen Antrag auf Vorstellung beim Amtsarzt stellte und unsere Bemühungen angab.

Das war sozusagen ein Schuss nach hinten, denn dadurch wurde nur entschieden, dass Herr N.D. „begleitet” abgeschoben wurde da er evtl. Schwierigkeiten machen konnte. (das erfuhr ich nach einem Anruf bei Gericht über den Ausgang eines Eilantrages). Nuri wurde eines Samstags früh aus dem Heim geholt, in Handschellen abgeführt und Heimbewohner berichteten, dass er alles völlig willenlos mit sich geschehen ließ!! Was ist aus ihm geworden?

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Abdul:

Nach diesem Vorfall im Heim ist der 24jährige A. (türk. Kurde) nach Ablauf seiner „Duldung” abgetaucht und hat sich 8 Monate bei Verwandten usw. aufgehalten. Vom FL-Rat NS kam die Bitte um Hilfe, er sei suizidgefährdet, äußerte mehrmals konkrete Absichten usw.

Am 16.04. bekam er über die Notaufnahme ein Bett in der geschlossenen Abtlg. des Helios Klinikums in Erfurt. Z.Zt. reicht der Anwalt einen „Neu begründeten” Folgeantrag ein mit (schriftlich bestätigten) Angaben über Morde an Verwandten, bei denen er als 19-Jähriger zusehen musste. Ich hoffe, in den nächsten Tagen zu erfahren ob der Anwalt in Hildesheim weitergekommen ist auf dem Weg einer LEGALISIERUNG.

Beim Aufnahmegespräch in Erfurt wurde mir erst richtig klar, dass er tatsächlich Dinge zu verarbeiten hat, die er nicht überall aussprechen kann, die ihm die Kraft nehmen, den ungewissen Zustand kurz vor einer möglichen Abschiebung (am Beispiel Nuri im Nachbarheim) auszuhalten.

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Frau A.:

Der Sohn dieser Bosnierin bat uns im Suhler Kirchenkreisbüro um Hilfe für seine Mutter: sie sei sehr depressiv, schlafe nicht mehr, wäre schon in der Heimat früher krank gewesen, dann brach nach der Flucht das Leiden wieder auf. Wir nahmen Kontakt mit behandelnden Ärzten auf, baten diese den psychosozialen Dienst einzuschalten und erreichten einen Termin in Leipzig.

Der Amtsarzt genehmigte die Therapie und das Sozialamt bezahlte sogar die Reisen nach Leipzig. Wir sind sehr froh, dass alles so lief, nur ist das Damoklesschwert der Abschiebung immer noch über der Familie und belastet die Frau. Allerdings rief Herr Brehm vom Sozialamt neulich in unserem Büro an: wie das so sei, wenn jemand psychisch auffällig ist, wie wir damit umgehen würden und ob wir solche Zentren vermitteln könnten !!!! Nach Rückfrage, ob er denn da einen „Fall” hätte, bejahte er, erklärte sich aber nicht weiter, und wir bestätigten, dass so eine Behandlung nur über das Einverständnis des Amtsarztes und des Sozialamtes laufen könne, irgendwie wollte er uns „aushorchen”.War wohl auch nichteinverstanden mit der amtsärztlichen Entscheidung !

In allen Fällen, haben Flüchtlinge detailliert im Anhörungsverfahren Folter geschildert (mehr oder weniger ausführlich, soweit sie überhaupt nach so etwas gefragt wurden). In allen Fällen waren die Aussagen gegenstandslos und ohne Einfluss aufs Verfahren, ja wurden teilweise gar als Lüge bezeichnet.

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Autorin:

Gabriele Kluwe-Schleberger

Thüringer Trauma Zentrum

Ziegenplan 12

98530 Rohr

Phone: Tel 036844 30833

Fax: Fax 936844 30834

Email: 320040633577-0001@t-online.de

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Autorin:

Gabriele Kluwe-Schleberger

Thüringer Trauma Zentrum

Ziegenplan 12

98530 Rohr

Phone: Tel 036844 30833

Fax: Fax 936844 30834

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